Besuch in Groß Glienicke: Trocknen Brandenburgs Seen aus?
Hitze, Verdunstung, wenig Regen. Aber auch der Mensch trägt seinen Teil dazu bei, dass in Brandenburg viele Seen schwinden. Sind sie schon verloren?
Potsdam - Andreas Menzel legt sich ins Zeug. Für den See im Allgemeinen, für dessen frei zugängliches Ufer im Besonderen, im Moment allerdings dafür, ein Ruderboot mit gleichmäßigen Schlägen hinaus ins Weite zu bewegen, auf den Groß Glienicker See, dessen Wasserstand zuletzt so alarmierend gesunken ist, dass Menzel für den kommenden Donnerstag eine Bürgerversammlung dazu einberufen hat.
Die Ruder tauchen ins Glitzernde. Es ist die Woche der deutschlandweiten Hitzerekorde. Die Menschen sind Standbilder auf Stand-up-Paddles. Wasserqualität: ausgezeichnet. Nur ist von dem ausgezeichneten Wasser insgesamt immer weniger da.
Wassertiefe: Nur noch 40 Zentimeter
Und das schwindet aus vielen Brandenburger Gewässern. Es ist das erste Jahr, in dem das Freibad am Straussee bei Strausberg östlich von Berlin geschlossen ist. Es wäre ja auch mörderisch, bei einer Wassertiefe von 40 Zentimetern ein Bad mit Sprungturm betreiben zu wollen.
Im letzten Jahr vertrockneten am Rande des Großen Seddiner Sees südlich von Potsdam Muscheln und Schilf, nachdem der Wasserspiegel rasant gesunken war. Im Pastlingsee in der Niederlausitz starben 2015 Fische im Wert von 50.000 Euro. Um die Mecklenburger Seenplatte herum tragen die Wasserwanderer ihre Kanus über die trockenen Stellen. Um ganz Berlin enden Stege plötzlich im Trockenen. Der hydrologische Wochenbericht des Landesamts für Umwelt in Potsdam, erstellt von der Hochwassermeldezentrale, ist derzeit eher eine Niedrigwasserwarnung.
Akutes Niedrigwasser
Den Bericht gab es schon immer, heißt es im Landkreis Oberhavel, aber jetzt wird er auch gelesen. Als Konsequenz aus der Lektüre hat der Kreis wegen akuten Niedrigwassers die ungenehmigte Entnahme von Oberflächenwasser durch Privatleute verboten.
Wer am Badesee liegend den Blick von seinem Handy, von der Zeitung hebt, mit den Nachrichten von Dürren, Feuer in Brandenburger Wäldern, von der brennenden Arktis, dem fällt plötzlich der braune Streifen am Schilfgürtel ganz anders ins Auge. Unerwünscht wie ein grauer Haaransatz beim Menschen. Wird er nicht beständig breiter? Wie bedrohlich ist das? Sind bald die Seen weg, wenn das so weitergeht?
Menzel, Bauingenieur, Sachverständiger für Wärme- und Feuchtigkeitsschutz, war am Morgen schon schwimmen. Es ist einer dieser Tage, an dem der See mit seinen 67 Hektar allein durch die enorme Hitze geschätzt mehr als tausend Kubikmeter Wasser verdunsten wird. Wenn man Experten fragt, können sie keine genauen Zahlen nennen, sondern nur die Komplexität des Problems erklären: Verdunstung ist zum Beispiel abhängig von der Wasser- und Lufttemperatur, von Feuchtigkeit, Wassertiefe und Verschattungsgrad der Ufer, Versiegelung der Umgebung, Grundwasserbewegungen und Fließgeschwindigkeiten.
Dass im Sommer das Wasser nicht mehr einfach vom Himmel fällt, weiß man schon lange. Deshalb gibt es ja das ausgeklügelte System von Schleusen, Wehren und Auffangbecken im Winter, die bis hin zur Müritz im Sommer schluckweise Wasser abgeben. Flüsse und die mit ihnen verbundenen Seen sind eingehegt in ein System, in dem alles mit allem verknüpft ist und weit entfernte Phänomene miteinander zu tun haben.
Aber der Groß Glienicker See ist mit keinem anderen Gewässer verbunden.
Andreas Menzel ist diesem See in seinen 61 Jahren in allen möglichen Rollen begegnet. Er ist die lebende Langzeitbeobachtung. Aus Spandau, Hakenfelde, geboren 1958, hat er mit seiner Biologielehrerin am Gymnasium hier Proben gezogen und Fäkalkeime, E. coli, nachgewiesen. Sobald er ein Moped besaß, fuhr er zum Baden ans Ufer. 1974, da war er 16, galt der See als der Beste. Er war jugendlicher Schwimmer, passionierter Angler. 1994 ist er nach Groß Glienicke gezogen, auf die Brandenburger Seite. Mit seinen drei Kindern ging er, denn da lagen weniger Scherben, in die Badeanstalt auf die Halbinsel der Ost-, also der Berliner Seite. Das Freibad gibt es heute auch nicht mehr. Er hat noch erlebt, dass bei Starkregen alle Abwässer des Flughafens Gatow der Briten im See landeten.
„Ich bin Hobbypolitiker“ untertreibt Menzel. Einer mit langem Atem. Er ist Ortsbeirat in Groß Glienicke und kandidiert für die Freien Wähler für den nächsten Landtag. Vor zehn Jahren hat er die „Seenkonferenz“ seines Vereins „Freies Groß Glienicker Seeufer“ ins Leben gerufen, auf denen Experten ihr Wissen austauschen. Am Donnerstag wollen sie bei der Bürgerversammlung Auskunft über den dramatischen Abfall des Wasserspiegels. Die Wasserbetriebe und Vertreter der Stadt Potsdam sind eingeladen.
Wenn Menzel es einem zeigt, sieht man es sofort: Acht Meter sind es von der Wasserkante bis zu den Erlen, die einmal mit den Füßen im Wasser standen. Die unfreiwillige Landgewinnung vergrößert die Grundstücke der Anlieger, denn rechtlich gehört ihnen das neue Land.
Menzel hat die Sanierung des Sees verfolgt, als der überdüngte See mit kaum Sichttiefe in den 90er-Jahren behandelt wurde: Eisen hat das Phosphor gebunden, das dann zu Boden sank. Dort im Schlamm, dem Gedächtnisarchiv eines jeden Sees, liegt es noch. Der See darüber hat sich erholt, ist klarer geworden. Es könnte noch ein paar mehr große Wasserflöhe geben und die Wasserpflanzen bilden sich nicht so aus, wie sie müssten. Aber das sind Luxusprobleme.
Menzel hat gelernt, dass alles ein Für und Wider hat. Manches ist nur gut zu seiner Zeit. Die Kiefer zum Beispiel, die in Brandenburg üppig angepflanzt wurde, weil sie im Sommer so wenig Wasser verbraucht: Leider verdunsten ihre Nadeln auch im Winter Wasser, weshalb der Boden unter Kiefern im regenreichen Winterhalbjahr nicht so viel Wasser einlagern kann wie unter Laubbäumen.
Schilfgürtel sind schützenswert
Menzel hat auch gelernt, dass ungestörte Uferzonen und Schilfgürtel die natürlichen Reinigungs- und Filteranlagen für den See sind. Flache Badestellen, gut für kleine Kinder, stören aber in weiten Teilen den Boden in seiner Entwicklung. Dann die Sonnencreme. Die Freizeitnutzung! Nicht, dass er davon ausgenommen wäre. Sein eigener Vater, der sonst auf dem Bau arbeitete, habe den schwimmenden Kiosk erfunden. Wasserseitig näherte er sich beladen mit kaltem Bier und Gurken den Badebuchten, wo sie die Gurken aus Eimern an Menschen in Badehosen verkauften. Der Sohn fuhr immer mit.
Der Mensch macht ohnehin, was er will: 96 Stege gibt es auf der Berliner Seite. Menzel hat persönlich nachgezählt. Es ist ihm unvorstellbar, dass es für alle eine Genehmigung gibt. Er ist dafür, dass der Schilfgürtel geschützt wird und nicht jeder einfach seinen Steg in den Boden der sensiblen Uferzone rammen kann. Hier, links zu sehen, die Stege! Stege? Am Ufer steigen sie jetzt mit Leitern auf den Strand ab. Es ist eher eine Aussichtsterrasse mit Strandkorb drauf. Ihm fällt auf: Wenn die Stege jetzt gar nicht mehr ins Wasser führen – sind es dann überhaupt noch Stege?
Viele wässern aus dem See
Menzel zieht durch. Er war im Gymnasium in der Ruder-AG. Auf der Halbinsel tobt ein durstiger Sprenger. Unwahrscheinlich, dass das alles Leitungswasser ist! Jeder kann ja einfach eine Pumpe in den See hängen und seinen Garten wässern.
Doch ist es nicht ohnehin so, dass über die Jahrhunderte immer alles trockener wurde? „Das ist auch das Schicksal der Moore“, sagt Menzel und taucht die Ruder in die glitzernde Flut. Der Alte Fritz hat noch trockengelegt, zur Landgewinnung, um Gebiete bewohnbar zu machen. Jetzt hat sich das Problem umgedreht. Maßnahmen, die damals die Lage verbesserten, schaden heute.
Am Ufer schälen sich aufgeblasene Flamingos aus dem Gebüsch. Luftmatratzen und ganze Inseln mit Palmen voller heißer Berliner Luft. Ist vielleicht das Problem der trockenen Seen nur aufgeblasen?
Der See verliert seit 1961 Wasser
Seitdem der Groß Glienicker See Teil der eiszeitlichen Seenkette war, sind Moore vertrocknet und Tümpel verschwunden. Der Groß Glienicker See verliert seit 1961 Wasser, aus der einfachen Gleichung heraus: zunehmende Temperatur und Verdunstung bei gleich bleibendem Niederschlag. Oder bei sogar sehr viel weniger Niederschlag in den zurückliegenden Jahren. Aber alles, betont das Potsdamer Landesamt für Umwelt, was zunächst nach Klimawandel aussieht, kann auch ganz andere, konkrete Ursachen haben, die manchmal ein Rätsel bleiben. Eine einzelne Baumaßnahme kann dafür sorgen, dass sich Grundwasser einen anderen Weg sucht. Eine einzelne Bohrung kann ein Problem beheben.
Der Große Seddiner See hat einen Golfplatz nebenan, der jährlich 150.000 Kubikmeter Wasser entnehmen darf, da war der Verdacht gleich da. Aber auch die Bebauung um den See hat sich geändert. Und letztlich zählt, wer alles in der Umgebung Grundwasser entnimmt und welche Mengen von dieser Entnahme wieder in den See zurückgelangen. Das Fischsterben im Lausitzer Pastlingsee 2015 steht wohl mit dem Braunkohletagebau im Zusammenhang, ist aber noch immer nicht richtig geklärt. Für den See in Strausberg ist ein Gutachten in Auftrag gegeben. Im Verdacht steht zum Beispiel die Grundwasserentnahme durch ein Wasserwerk. Niedrigwasser bedeutet immer auch Oberwasser für Skeptiker.
Der See ist abhängig vom Grundwasser
Jeder See hat ein „Einzugsgebiet“, aus dem er sein Wasser erhält. Dieser See, so ohne Zuflüsse, habe ein sehr kleines, seitdem in den 90ern die Verbindung zum Sacrower See gekappt wurde. So ist er nun hauptsächlich abhängig vom Grundwasser. Aber woher mehr nehmen?
Menzel, stets gut informiert, erhält durch Taucher Nachrichten vom Grunde des Sees: kalte Grundwassersprudel im Boden. Das deutet auf einen Austausch des See- und Grundwassers hin. Auf der „8. Groß Glienicker Seenkonferenz“ am kommenden Donnerstag wollen die Bürger wissen, ob die Förderung des Wasserwerks Kladow Einfluss auf den Pegel des Groß Glienicker Sees hat.
Anruf beim Berliner Wasserwerk. „Wasser fällt ja nicht vom Himmel“, sagt die Pressesprecherin Astrid Hackenesch-Rump.
Es nimmt langsam komische Züge an.
„Zumindest in Brandenburg.“ Dann muss sie lachen.
Bis 1997 haben Rieselfelder dem See noch 300.000 bis 500.000 Liter Wasser jährlich zugeführt. Er hält auch deshalb weniger Wasser, weil die Einleitungen zurückgegangen sind, die über viele Jahre eben dreckige waren. Das ist die gute Nachricht.
Wenn die Berliner Wasserwerke den Überblick über das Grundwasser gewinnen wollen, befragen sie die 1240 eigenen Grundwassermessstellen um ihre neun Wasserwerke herum. Sie haben mit ihrem Grundwassermodell, einem computergestützten lernenden System, das mit den Daten der letzten Jahre gefüttert ist, die Stände geprüft. Danach hat das Wasserwerk Kladow keinen Einfluss auf die Höhe des Sees.
In den nächsten Jahren wird es Ärger ums Wasser geben
Auch die Wasserbetriebe wissen, dass die Anwohner täglich ihre Pumpen in den See hängen. „Da werden sich viele Leute in den nächsten Jahren ehrlich machen müssen“, sagt Hackenesch-Rump. Dann muss man nicht nur den Klimawandel bekämpfen, sondern widerstreitende Interessen klären.
Menzel hat hier am See schon viele Interessen verwirklicht gesehen. Darunter den Giftanschlag auf zwanzig Erlen mit DDR-Restbeständen eines Unkrautvernichters. DDT. Nachdem die 20 Erlen gefällt waren, hatte ein zu verkaufendes Grundstück plötzlich Seeblick. So sind die Menschen. Jeder hat seinen Horizont.
Die Sonne sengt. Die Uhr tickt. Gleich muss man das Ruderboot wieder abgeben. Es gibt keinen Hauptschuldigen in der Geschichte, niemanden, den man alleine verantwortlich machen könnte für das Niedrigwasser vieler Seen. Nicht einmal den Klimawandel. Menzel beugt sich über den Bootsrand, taucht seinen Hut ins Wasser und setzt sich das tropfende Ding auf den Kopf. Erfrischend rinnt es ihm auf die Schultern.
Menzel: Am Rande der Utopie
Es müsse einen Paradigmenwechsel geben, sagt Menzel. Böden müsse man wieder feuchter halten, weil gebundenes Wasser länger gespeichert wird, während Fließwasser an der Oberfläche verdunstet. Wasser soll nicht fließen, sondern sickern. Das Ziel müsse nicht sein, zum Beispiel Regenwasser gesammelt über die Abwässerentsorgung in die Nordsee abfließen zu lassen, man müsse es wieder dem Boden zuführen. Es langfristig vielleicht sogar wieder verrieseln lassen. „Der Platz wäre da.“ Menzel weiß, dass er hart am Rande der Utopie argumentiert: Wenn man, sagt Menzel, die Leute bloß dazu kriegen könnte, nichts Kontaminiertes mehr in ihre Toiletten zu spülen!
Wie man so mit Menzel in einem Boot sitzt, ist trotz allem völlig klar, dass einen ausgetrockneten Groß Glienicker See niemand von uns erleben wird. 67 Hektar Wasser! Zumindest an dem Tag, als die Infotafel am Ufer aufgestellt wurde. Noch ist Zeit, sich kluge Lösungen zu überlegen. 4,5 Millionen Kubikmeter Wasser werden nicht schon in diesem Sommerloch, auch nicht im nächsten verschwinden.
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