Potsdamer Stadtwerke-Skandal: Stadtwerke-Chef Böhme legt Funktionen nieder
Wilfried Böhme legt mit sofortiger Wirkung seine Funktionen als Stadtwerke-Geschäftsführer nieder, um nach eigenen Angaben Schaden vom Konzern abzuwenden. Wegen des Vorwurfs der Vetternwirtschaft und weil er Verwandte und Vertraute mit Verträgen versorgt haben soll, droht ihm nun ein Steuerstrafverfahren.
Potsdam Stadtwerke-Chef Wilfried Böhme hat am Freitagnachmittag mit sofortiger Wirkung seine Funktionen als Geschäftsführer der Stadtwerke und der Energie und Wasser Potsdam (EWP) niedergelegt. Das hat Böhme den Stadtwerke-Mitarbeitern in einer internen E-Mail mitgeteilt. Die Gesellschafter von Stadtwerken und EWP, die Stadt Potsdam und bei der EWP die E.dis als Minderheitengesellschafter, seien übereingekommen, dass dieser Schritt geboten sei, "um Schaden vom Unternehmenskonzern abzuwenden und einer objektiven Sachverhaltsprüfung nicht im Wege zu stehen".
Böhme schreibt weiter, er sei der Überzeugung, "dass ich stets gewissenhaft und loyal meine Aufgabe wahrgenommen habe". Die derzeit "gegen mich erhobenen Vorwürfe lassen es augenblicklich aber nicht zu, das Unternehmen so weiterzuführen, wie es jetzt geboten erscheint". Ein Neuanfang scheine ratsam. Er bedauere diesen Schritt, halte ihn aber für geboten. Böhme war nach eigenen Angaben seit 1997 im Unternehmen, leitet die Stadtwerke ab 2012 und die EWP ab 2011.
Vorwurf der Vetternwirtschaft: Werkvertrag Böhmes mit seinem Schwager
Gegen Böhme gibt es Vorwürfe von Vetternwirtschaft und das Finanzamt hat Steuerermittlungen eingeleitet. Wie die PNN in der Freitagsausgabe berichteten, ist ein Grund für das Vorgehen gegen Böhme ein Werkvertrag der EWP mit einer Bauschlosserfirma, deren Inhaber Böhmes inzwischen in den Ruhestand gewechselter Schwager ist. Nach PNN-Informationen sollen zwischen 2011 und Mitte 2015 jeweils mehr als 5000 Euro pro Monat an die Firma des Schwagers mit Sitz auf einem Stadtwerke-Areal am Heizwerk gezahlt worden sein; die EWP war offenbar der einzige Kunde der Firma. Daher bestehe Verdacht auf Scheinselbstständigkeit. Die von Böhme geführte EWP hätte sich auf diese Weise Steuern und Sozialabgaben gespart, weil der Schwager nicht bei der EWP angestellt war. Die Stadtwerke hatten die Existenz des Werkvertrags bereits vergangene Woche bestätigt. Zu Details äußerte sich der Stadtkonzern nicht und verwies auf Prüfungen. Nach PNN-Informationen soll Böhme auch einen befreundeten Ingenieur ebenfalls mit einem Werkvertrag über 5000 Euro monatlich seit 2011 versorgt haben.
Böhme wollte Steuerstrafverfahren entgehen
Laut „Bild“ und „BZ“ sollen Finanzbeamte bereits Büros der Stadtwerke durchsucht haben. Nach PNN-Informationen hat Böhme offenbar auf Druck von Jakobs selbst das Finanzamt informiert, aber keine Selbstanzeige gestellt. Vielmehr soll es sich um eine sogenannte Berichtigungsanzeige gehandelt haben, die Böhme beim Fiskus einreichte. Hintergrund: Es besteht die Pflicht, die Steuererklärung zu berichtigen, wenn man nachträglich erkennt, dass die Steuererklärung unrichtig oder unvollständig war und daher zu wenig Steuern gezahlt wurden. Bei einer Berichtigungsanzeige müssen dann die Steuer nur nachträglich gezahlt werden, strafrechtliche Folgen hat das nicht.
Das war nach PNN-Informationen auch Böhmes Ziel, er wollte einem Strafverfahren entgehen. Allerdings war es dafür zu spät. Das Finanzamt ist laut „Bild“ auf den Sachverhalt bereits aufmerksam geworden, bevor Böhme loslegte. Die Betriebsprüfung des Finanzamts war bereits im Gange. Bestätigt sich der Verdacht, würde Stadtwerke- und EWP-Chef Böhme ein Steuerstrafverfahren drohen.
OB Jakobs äußert sich nicht zum Fall
Oberbürgermeister Jakobs äußerte sich weder am Donnerstag, noch am Freitag zum Fall Böhme. Noch vor zwei Wochen hatte Jakobs den Vertrag mit Böhme um zwei Jahre verlängern wollen. Der entsprechende Beschluss des EWP-Aufsichtsrats wurde jedoch bislang nicht rechtsgültig. Böhme wird im Herbst 65 Jahre alt.
Mit Böhme hat der letzte der kaufmännischen Geschäftsführer den Stadtkonzern Stadtwerke und seine Tochter verlassen. Zuvor wurden bereits wegen Untreueverdacht und Ungereimtheiten bei Auftragsvergaben in Millionenhöhe die Geschäftsführer der Stadtentsorgung Potsdam (Step), Holger Neumann und Enrico Munder, suspendiert. Wirtschaftsjuristen und -prüfer hatten festgestellt, dass einer Ex-Step-Prokuristin zehn Jahre lang an den Kontrollgremien vorbei knapp eine halbe Million Euro Mehrvergütungen zugeschoben worden sind. Der Chef des Verkehrsbetriebs in Potsdam (ViP), Martin Grießner, hatte schon zuvor bekannt gegeben, dass er seinen Hut nimmt.
Nunmehr ist unklar, wer die Stadtwerke künftig führen soll. Dazu bemächtigt sind derzeit nur zwei Prokuristen.
Mehr Hintergründe dazu lesen Sie in der Wochenendausgabe der Potsdamer Neuesten Nachrichten
Lesen Sie weiter:
Nach der ersten Stadtwerke-Affäre gab es keinen echten Neuanfang. Das rächte sich. Jetzt sollte dringend der Leitspruch "Neue Besen kehren gut" im Konzern gelten, meint PNN-Autor Henri Kramer. Hier geht es zu seinem Kommentar >>
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