Corona-Ausbruch am Bergmann-Klinikum: „Sie hätte nicht sterben müssen“
Dorothea Neuwirth war die 40. Covid-Patientin, die im Bergmann-Klinikum verstarb. Ihre Tochter erhebt nun Vorwürfe gegen die Klinikleitung und fordert Aufklärung.
Potsdam - Sie durfte Abschied nehmen. Ihre Mutter ein letztes Mal sehen. Mit Schutzanzug zwar, Handschuhen, Mundschutz, Gesichtsschutz. Doch sie war da. Das ist Ulrike Neuwirth jetzt ein Trost. Nur wenige Stunden später starb ihre Mutter. Es war Donnerstag, der 23. April. Dorothea Neuwirth war 84 Jahre alt. Sie war der 40. Mensch, der seit dem 26. März mit oder nach einer Corona-Infektion im Potsdamer Bergmann-Klinikum verstorben ist.
Ihre Tochter spricht öffentlich darüber, auch vor der TV-Kamera des ZDF-Politmagazins „Frontal 21“ im Rahmen einer gemeinsamen Recherche mit den Potsdamer Neuesten Nachrichten. Die Sendung wird am Dienstag (28.4., 21 Uhr) ausgestrahlt. Sie tue es, sagt Neuwirth, weil sie möchte, dass die Geschehnisse um den Corona-Ausbruch im Klinikum aufgeklärt werden. Die nun durch den Oberbürgermeister beurlaubte Geschäftsführung des kommunalen Klinikums hatte bereits Versäumnisse und Fehler eingeräumt. Man habe den Ausbruch zu spät erkannt und deshalb nicht adäquat reagiert.
"Das bin ich meiner Mutti schuldig"
Ulrike Neuwirth sagt, ihre Mutter habe zwar Vorerkrankungen gehabt, „aber sie hätte nicht sterben müssen“. Nicht jetzt, nicht am Virus. Sie wirft den Verantwortlichen im Klinikum vor, gegen klare Vorgaben verstoßen und die Gefahr unterschätzt zu haben. Dafür sollten diese zur Rechenschaft gezogen werden. Daher werde sie juristisch gegen das Klinikum vorgehen und sich der Strafanzeige der Deutschen Stiftung Patientenschutz anschließen, sagt Neuwirth. „Das bin ich meiner Mutti und den anderen Opfern schuldig.“ Die Stiftung hatte am 15. April Strafanzeige gegen das Klinikum gestellt wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung und des Verdachts des Verstoßes gegen das Infektionsschutzgesetz. Ob Ermittlungen aufgenommen werden, prüft die Potsdamer Staatsanwaltschaft seither. Es heißt, es fehlten noch Unterlagen.
Dorothea Neuwirth sei am 18. März von der Lungenstation – der Klinik für Pneumologie – auf die Geriatrie verlegt worden, sagt ihre Tochter. Man habe sie dort zwei Wochen aufpäppeln wollen nach der bereits sechswöchigen Krankenhauszeit, die sie wegen ihrer Vorerkrankung hinter sich hatte. Doch dazu kam es nicht. Neuwirth wurde mit dem Coronavirus infiziert – dass dies anderswo als auf der Geriatrie geschehen sein könnte, glaubt ihre Tochter nicht. Seit dem 18. März herrschte dort Besuchsverbot; am 29. März lag laut Schreiben des Gesundheitsamts das positive Testergebnis für sie vor.
Davon, dass ihre Mutter überhaupt getestet worden war, hatte Ulrike Neuwirth ihren Angaben nach nichts erfahren – obwohl sie per Patientenvollmacht über die Behandlungen ihrer Mutter zu entscheiden hatte. Wie Neuwirth berichtet, habe sie am Donnerstag, dem 26. März, noch eine geplante Operation mit der Klinik besprochen; am Freitag (27. März) habe eine Ärztin wiederum Bedenken geäußert, ob die OP ratsam sei. Am darauffolgenden Wochenende habe sie ihre Mutter per Handy im Klinikum nicht erreicht – und auch niemanden auf der 88-Betten-Station. Nach PNN-Recherchen zeigten am 27. März bereits Dutzende Patienten auf der Geriatrie Covid-19-Symptome.
"Die Mitarbeiter tun alles, was sie können"
Neuwirth erfuhr am Montag, dem 30. März, von der Corona-Infektion ihrer Mutter. Am Morgen dieses Tages habe das Klinikum ihr noch mitgeteilt, ihre Mutter solle entlassen werden und bekomme ein Sauerstoffgerät mit nach Hause. Von Corona sei keine Rede gewesen. Wenige Stunden später habe sie wieder auf der Station angerufen und erst auf Nachfrage erfahren, dass ihre Mutter Corona-infiziert sei. Wie gefährlich das für ihre Mutter als Risikopatientin sein könnte, sagten ihr die Ärzte nach Aussagen von Neuwirth nicht. Stattdessen habe man vorgehabt, sagt Neuwirth, ihre Mutter trotz positivem Testergebnis in die "häusliche Quarantäne" zu schicken, denn sie habe ja keine Symptome gehabt. Doch dies sei nicht infrage gekommen, da sie im Betreuten Wohnen gelebt habe.
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So kam Dorothea Neuwirth auf die Covid-Station des Klinikums. Dort habe sie drei Wochen gekämpft, die Covid-Erkrankung mit einem vermeintlich milden Verlauf fast überstanden, schildert ihre Tochter. Ihre Mutter habe nur an Atemnot gelitten – diese sei der Vorerkrankung zugeschrieben worden. Zuletzt sei ein Abstrichtest sogar negativ gewesen. Doch dann sei alles plötzlich schnell gegangen. Am Donnerstagmorgen habe sich ihr Zustand rapide verschlechtert, das Virus habe die Lunge zerstört. „Der Arzt sagte mir, sie wird es nicht schaffen.“ Noch am selben Tag starb Dorothea Neuwirth.
Das Klinikum teilte den PNN mit, gern die Fakten in diesem Fall darlegen zu wollen, da sie "zu gänzlich anderen Schlussfolgerungen führen". Aufgrund der über den Tod hinausgehenden ärztlichen Schweigepflicht sei man jedoch gezwungen, sich an diese zu halten.
Ulrike Neuwirth sagt, sie habe „auf die große Klinik vertraut“ und erwartet, dass man „die Gefährdeten schützt“. Wichtig ist ihr, dass ihre Kritik nicht den Mitarbeitern des Klinikums gelte: „Die Ärzte und das Pflegepersonal tun alles, was sie können.“ Ihr gehe es um die Verantwortlichen.
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