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Einheitsherz im Stadtkanal in Potsdam - oder doch ein Treueherz aus dem Supermarkt?
© Peter Raddatz

Kolumne | PYAnissimo: Sammeln Sie Treueherzen?

Zwischen Einheitsfeier, Oktoberfest und Lebkuchen im Supermarkt hat unsere Autorin Steffi Pyanoe ein wenig die Orientierung verloren. Und sieht beim Feiern noch Verbesserungsbedarf.

Nur ein paar Tage nicht im Stadtzentrum gewesen, schon hat man was verpasst. Überall wird aufgebaut. Buden und so. Erst dachte ich Oktoberfest, aber das ist ja verboten, und dann war klar, dass es das andere Oktoberfest sein soll. Das hatte ich voll verdrängt. Wir sind eben keine Franzosen oder Amerikaner, denen der Nationalfeiertag in Fleisch und Blut übergegangen wäre. 

Andererseits, wer weiß, wie lange die brauchten, um sich daran zu gewöhnen. Ist bei denen ja viel länger her. Die Franzosen feierten den 14. Juli zunächst 90 Jahre als Föderationsfest, und erst ab 1880 war das der offizielle Nationalfeiertag. Die Amerikaner veranstalteten an ihrem 4. Juli in den ersten Jahren hauptsächlich Salutschüsse, Gebete und Musik. Unabhängigkeitstag hieß der erst später. Die Amerikaner hatten zudem das Pech, dass ausgerechnet am Datum des 4. Juli zwei ihrer Präsidenten starben, und einer am 9., weil er am Feiertag in sengender Hitze unbedingt patriotische Reden halten musste, dazu höllisch viel Eiswasser trank und sich eine Gastroenteritis zuzog. Das macht natürlich Eindruck.

Festverwirrung

Wir Deutschen haben den Feiertag in den goldenen Oktober gelegt, nichts kann uns passieren, außer dass wir die Orientierung verlieren: Ist noch Einheitsfeier? Oder doch heimlich Oktoberfest? Und Lebkuchen gibt’s ja auch schon - wenn die Buden plötzlich Glühwein ausschenken, sollten wir stutzig werden. Nun sind wir Potsdamer selber schuld an dem Dilemma. Wer im Stadtzentrum einen Platz der Einheit hat, muss damit rechnen, dass die Republik eines Tages anklopft. Jetzt müssen wir da durch. Ich auch. Nicht dass das falsch rüberkommt, ich will die DDR nicht zurück. Klar, der Sommer 1990 war schon komisch. Und so krachend vollgepackt!

Erster Urlaub in Großbritannien, als Au pair, wer hatte denn schon genug Westgeld? Danach ein Ostseewochenende und ein paar Tage in der Uckermark. Zur Erdung. Dann Potsdam. Im Heider auf Freunde warten. In der Galerie Staudenhof eine Fotoausstellung sehen über Potsdam vor dem Krieg. Ich staunte, wie anders es damals ausgesehen hatte. Im Tagebuch steht weiterhin: „Wollte Geld holen von der Sparkasse, aber die hatten zu, Mittagspause“. Weiß noch jemand, wie das war, als man sich am Schalter anstellen musste? Zum Einkaufen in die Wilmersdorfer. Es wurde: ein lila Pullover. Alle Frauen wollten sich jetzt auch sichtbar emanzipieren, Lila war sehr angesagt.

Bushido und Beethoven

Ist schon ganz ok, dieses Einheitsdings, denke ich. Dass wir jetzt den herrlich grünen Kanal mit schwarz-rot-goldenem Flatterband verunstalten, dazu ein Kunststoffherzmonster, das mich eher an die Treuepunkte meines Supermarkts erinnert als irgendein warmes Nationalgefühl hervorzurufen – das macht mich allerdings doch ratlos. Wir haben viel geschafft in diesem Land, beim Feiern ist noch Luft nach oben. Ein paar Liegestühle, von mir aus in schwarz-rot-gold, auf den Kanalrasen zu stellen und dort Eberswalder Würstchen zu grillen, während auf der Brücke die Kammerakademie mit Bushido Beethoven spielt – das machen wir dann beim nächsten Mal.

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