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Bettina Reinfeld, Reisebüro Reiselust-Inhaberin.
© Ottmar Winter

Tourismus in der Coronakrise: Reisefrust statt Reiselust

Potsdamer Reisebüros stehen wegen der Coronakrise vor dem Aus. Sie haben teilweise Schulden bis 22.000 Euro und fordern ein temporäres bedingungsloses Grundeinkommen. 

Potsdam - Gerade einmal zwei Jahre ist es her, dass Bettina Reinfeld eine Filiale ihres Reisebüros Reiselust am Johannes-Kepler-Platz in Potsdam eröffnet hat. Sie renovierte die heruntergekommenen Räume. 25.000 Euro investierte die Inhaberin damals für die Eröffnung ihrer Filiale Am Stern. Nun sind sie und ihre Mitarbeiter damit beschäftigt, das etwa 60 Quadratmeter große Geschäft wieder auszuräumen. Aufgrund der Coronakrise wird das Büro dicht machen.

Reinfeld ist schon lange in der Tourismusbranche tätig, seit mehr als 20 Jahren betreibt sie das Reisebüro Reiselust in Michendorf. Krisen, sagt die 48-jährige Betriebswirtin, habe es immer mal wieder gegeben. Sie nennt zum Beispiel die Folgen des 11. September 2001. „Aber so etwas Allumfassendes gab es noch nie“, meint Reinfeld.

Das Reisebüro in Potsdam hat keinerlei Einnahmen mehr, die vier Mitarbeiter und ein Auszubildender sind in Kurzarbeit. Das Problem ist nicht nur, dass aktuelle Einnahmen ausbleiben, sondern auch, dass Beratungs- und Vermittlungsleistungen der vergangenen Monate unbezahlt sind. Denn die Provisionen für gebuchte Urlaube werden oft erst kurz vor Reiseantritt, also Monate später, an die Reisebüros gezahlt. Die großen Reisekonzerne würden diese nun aber nicht mehr auszahlen. „Wir haben den ganzen Winter über umsonst gearbeitet“, macht Mitarbeiterin Katrin Menz die Situation deutlich.

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Katrin Menz, Robin Mlodzian, Bettina Reinfeld und Amelie Heider (v.l.) vom Reisebüro Reiselust.,
Katrin Menz, Robin Mlodzian, Bettina Reinfeld und Amelie Heider (v.l.) vom Reisebüro Reiselust.,
© Ottmar Winter

Schulden in Höhe von 22.000 Euro

Das Reisebüro habe bereits Schulden in Höhe von 22.000 Euro. Derzeit kümmern sie sich kostenlos darum, dass ihre Kunden von den Reisekonzernen eine Rückerstattung bekommen. Da der Vermieter, eine Wohnungsbaugenossenschaft, dem Reisebüro bei der Miete nicht entgegenkommen konnte, muss das Potsdamer Geschäft zum 30. Juni geschlossen werden. „In sechs Wochen ist einem die Lebensleistung durch die Finger geronnen“, sagt Reinfeld.

Sie konzentriert nun alles auf die Filiale in Michendorf. Denn dort werde ihnen die Miete von dem privaten Vermieter vorübergehend erlassen. „Wir hoffen auf das Wunder“, sagt sie. Wenn das nicht komme, müsse es Entlassungen geben. Sie verweist auf verschiedene Szenarien vom Kompetenzzentrum Tourismus des Bundes. Das realistische Szenario geht von einer vollständigen Erholung des internationalen Tourismus bis März 2023 aus. Der Binnentourismus kann demnach bereits im Sommer 2021 mit einer Normalisierung rechnen. Aber das Reisebüro Reiselust verkauft ausschließlich internationale Reisen, vor allem in den Mittelmeerraum.

„Ich könnte niemanden guten Gewissens wegschicken“

Dass von Reisen derzeit grundsätzlich abzuraten ist, da stehen beide voll hinter. „Ich könnte niemanden guten Gewissens wegschicken“, betont Reiseverkehrskauffrau Menz. Sie wolle in dieser Situation gar keinen Massentourismus verkaufen, so die 37-Jährige. Ärgerlich sei aber, dass der Schaden zu wenig ausgeglichen werde, sagt Reinfeld. Die 9000 Euro, die sie von der Investitionsbank des Landes Brandenburg (ILB) bewilligt bekommen hat, seien längst verpufft. Ausschließlich ein Teil der Betriebskosten, darunter Personalkosten, Provisionsausfälle, Versicherungen und andere Nebenkosten, sei davon abgedeckt worden.

Reinfeld selbst, Mutter von zwei studierenden Kindern, lebt derzeit von ihren Ersparnissen. Die Betriebswirtin fühlt sich verglichen mit großen Konzernen ungerecht behandelt. Sie wünscht sich eine angemessene Entschädigung, „um ein Jahr überbrücken zu können“. Kleine Reiseveranstalter und Reisebüroinhaber würden zu wenig wahrgenommen, finden beide. „Wir wollen gehört werden“, so Menz.

Demonstration am 13. Mai geplant

Ähnlich sehen es auch viele andere Reisebüros. Vergangene Woche demonstrierten Inhaber bundesweit, um auf ihre prekäre Lage aufmerksam zu machen. Die nächste Demonstration ist für den 13. Mai geplant. In einem offenen Brief haben sich 30 Reisebüros aus Potsdam und Brandenburg, an dem auch Bettina Reinfeld beteiligt ist, an die Landesregierung sowie auch an Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) gewandt. „Durch die Coronakrise wird der gesamten Tourismusbranche die Geschäftsgrundlage entzogen. In den kommenden Wochen droht der komplette Zusammenbruch vieler Unternehmen und ganzer touristischer Wertschöpfungsketten“, heißt es darin. Die Beteiligten weisen auch auf die besondere Situation der Tourismuswirtschaft hin, die nicht wie andere Geschäftszweige nach acht Wochen wieder Einnahmen generieren kann.

Daher fordern die Reisebüros unter anderem bedingungsloses Unternehmereinkommen in Höhe von 1000 Euro für zwölf Monate, einen Tourismusfond für gesunde touristische Unternehmen sowie eine gemeinsame Veranlagung des Steuerjahres 2019 und 2020. Außerdem kritisieren die Reisebüros, dass sie den Kunden seit sechs Wochen kostenfrei zur Seite stehen. Großveranstalter wie Tui würden diese Aufgabe nicht übernehmen, dieser habe dennoch bereits 1,8 Milliarden Euro Staatshilfen erhalten. „Nichts davon kommt bei uns im Reisebüro an“, bemängeln die Inhaber in dem Brief.

„Jede Krise hat auch eine Chance"

Wie es mit Bettina Reinfelds Reisebüro in Michendorf weitergeht, bleibt vorerst offen. Aus Reiselust werde Reisefrust, sagt sie ein bisschen zynisch. Sie habe ihren Beruf geliebt, betont Reinfeld. „Aber wir können nicht ewig darauf warten, dass noch ein Rettungsschirm kommt.“ Wenn dieser ausbleibe, werde es das Reisebüro am Ende des Jahres nicht mehr geben. Ihre Mitarbeiterin Katrin Menz schaut sich bereits nach einer neuen Stelle um. Und auch die Inhaberin wagt bereits den Gedanken daran, in ein anderes Berufsfeld zu wechseln. Trotz der Krise und der dramatischen Situation für die Reisebranche lassen sie ein wenig Optimismus durchblicken. „Jede Krise hat auch eine Chance“, sagt Bettina Reinfeld. Man müsse das Beste daraus machen. Und es sei eine Möglichkeit für die Gesellschaft, vieles neu zu überdenken.

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