Demonstration von Klinik-Mitarbeitern: Protestzug bis vor das Rathaus
Mitarbeiter des Klinikums „Ernst von Bergmann“ haben in Potsdam gegen schlechte Arbeitsbedingungen protestiert. Der Aufsichtsratvorsitzende, Mike Schubert, erklärte sich "grundsätzlich gesprächsbereit".
Potsdam/Innenstadt - Bis nach oben in den Sitzungssaal der Stadtverordnetenversammlung konnte man sie hören: die Trillerpfeifen der Mitarbeiter des kommunalen Klinikums „Ernst von Bergmann“, die vor dem Rathaus standen. Ohrenbetäubend wurde beim angekündigten Protestzug am gestrigen Mittwoch gepfiffen. „Zumindest einen kleinen Tinnitus“ wünschte Verdi-Gewerkschaftssekretär Torsten Schulz scherzhaft den Mitgliedern des Stadtparlaments. Symbolisch waren vorher die Arbeitsbedingungen der Klinikmitarbeiter in einer blauen Urne vom Krankenhaus bis zum Rathaus zu Grabe getragen worden. Darin auf Zetteln aus Papier: Forderungen nach mehr Personal und besserer Bezahlung. Symbolisch wurde die Urne Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) übergeben.
Rund 150 Klinikmitarbeiter hatten sich am frühen Nachmittag für den Zug versammelt. „Die Patientenversorgung im Klinikum ist schlecht“, erzählte ein Mitarbeiter, der seinen Namen lieber nicht in der Zeitung lesen möchte. Pflegestandards könnten nicht eingehalten werden, die Messung von Vitalwerten bei Patienten falle unter den Tisch, chronische Unterbesetzung und ein hoher Krankenstand seien an der Tagesordnung. Der Grund sei der Personalmangel. „Ich schaffe es zeitlich nicht, meine eigene Qualitätsnorm einzuhalten“, sagte eine weitere Mitarbeiterin, die ebenfalls nicht genannt werden möchte. Ein anderer Mitarbeiter berichtete von ständigen Anrufen in der Freizeit. „Weil wir ständig einspringen müssen, ist die Arbeitsbelastung hoch. Man ist frustriert und genervt.“ Er gehe nicht mehr gern zur Arbeit und vielen seiner Kollegen ergehe es ähnlich.
Kein Tarifvertrag für die Tochtergesellschaften
3973 Menschen arbeiten in der Bergmann-Klinikgruppe in drei Krankenhäusern und sechs weiteren Tochtergesellschaften. Für die Beschäftigten in der Klinik in Potsdam gilt ein Haustarifvertrag, anders sieht es in den Tochtergesellschaften aus. Dort gebe es laut Verdi-Gewerkschaftssekretär Schulz entweder gar keinen oder nur einen abgespeckten Tarifvertrag. So würden die Mitarbeiter pauschal schlechter bezahlt.
Deshalb ist eine der Gewerkschaftsforderungen an die Stadt Potsdam als Gesellschafter des Klinikums, die vollständige Rückkehr in den kommunalen Arbeitgeberverband umzusetzen – und damit auch die Übernahme des aktuellen Flächentarifvertrages für den öffentlichen Dienst. Weiterhin fordert Verdi, die Personalsituation im Krankenhaus zu verbessern und die Ausgliederung von Arbeitsbereichen rückgängig zu machen.
Lohnkonkurrenz aus Berlin
Das Klinikum kontert die Vorwürfe. Man habe versucht, die bestehenden Tarifverträge auch von anderen kommunalen Kliniken in Brandenburg/Havel oder Cottbus mit Potsdam zusammenzuführen und gemeinsam weiterzuentwickeln, hieß es gestern vonseiten des Klinikums. Dieser Vorschlag sei von Verdi nicht aufgegriffen worden. „So soll eine abgespeckte Version des Flächentarifvertrags für den öffentlichen Dienst entstehen“, entgegnet Gewerkschaftssekretär Schulz auf die Erklärung des Klinikums. Dies entspreche nicht den Forderungen der Gewerkschaft.
Man brauche schnell eine Anpassung der Gehaltsstrukturen, um im Wettstreit um neue Mitarbeiter in der Pflege mithalten zu können, sagte Andrea Goschnick, stellvertretende Konzern-Betriebsratsvorsitzende der Bergmann-Klinikgruppe. Derzeit seien zum Beispiel von 1200 Stellen im Pflegebereich 35 Stellen unbesetzt und ausgeschrieben. Potsdam steht bei den Löhnen für Pfleger und Krankenschwestern in Konkurrenz zu Berlin: 400 bis 500 Euro mehr Gehalt bekommt eine Krankenschwester dort pro Monat. „Wir sind uns sicher, dass die Geschäftsführung im Sinne der Mitarbeiter eine angemessene und vertretbare Lösung finden wird“, sagte Goschnick zu den Gehaltsforderungen. Schon mehrfach hatte es in den vergangenen Jahren Kritik am Sparkurs des Krankenhauses gegeben. Klinikum und Stadt hatten das Vorgehen stets mit dem hohen Wettbewerbsdruck begründet. Nur so habe man das früher defizitäre Klinikum retten können.
Aufsichtsratvorsitzender Mike Schubert "grundsätzlich gesprächsbereit"
Die Stadt sei lösungsorientiert, hieß es gestern von Mike Schubert (SPD), Aufsichtsratsvorsitzender des Klinikums und Sozialbeigeordneter der Stadt, der sich der Kritik der Protestierenden vor dem Rathaus stellte. „Wir sind im Sinne der Beschäftigten unseres kommunalen Krankenhauses grundsätzlich gesprächsbereit“, erklärte er. Dazu stehe man im Austausch mit dem Betriebsrat des Klinikums. Gestern hatten bereits erste Gespräche zwischen der Geschäftsführung, dem Betriebsrat und dem Aufsichtsratsvorsitzenden stattgefunden. Verdi-Gewerkschafter Schulz hatte an dem Gespräch nicht teilgenommen, signalisierte aber Bereitschaft für künftige Gespräche. „Richtig ist, dass wir in der Pflege eine Anpassung der Vergütung brauchen, auch um im Wettbewerb um das Pflegepersonal mithalten zu können“, so Schubert. Die Geschäftsführung werde deshalb dem Betriebsrat ein konkretes Angebot vorlegen.
Unterstützung erhielt der Protest von den Linken im Brandenburger Landtag. Der Protest sei ein Alarmsignal, hieß es in einer Pressemitteilung. „Die Ausgliederung einzelner Bereiche, prekäre Beschäftigungsverhältnisse wie Leiharbeit, Werkverträge oder sachgrundlose Befristungen müssen rückgängig gemacht werden“, teilte der Potsdamer Landtagsabgeordnete Hans-Jürgen Scharfenberg mit.
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Lesen Sie weiter: Sachsa Niedzwiecki, Fachpfleger für Anästhesie und Intensivmedizin beim Klinikum "Ernst von Bergmann" fordert im Interview mit PNN mehr Personal.
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