Ein Einzelfall mit Auswirkungen: Potsdams Wassergebühren auf dem Prüfstand
Das Verwaltungsgericht Potsdam hält mehrere Potsdamer Gebührensatzungen für Wasser und Abwasser für fehlerhaft und nichtig. Die hohen Wasserpreise seien nicht nachvollziehbar.
Potsdam - Es geht um einen Einzelfall mit einem Streitwert von 1631 Euro – aber das am Verwaltungsgericht Potsdam gefällte Urteil im Streit zwischen einem Potsdamer Ehepaar und der Landeshauptstadt, vertreten durch den Oberbürgermeister, birgt Sprengstoff weit darüber hinaus. In der Urteilsbegründung, die den PNN vorliegt, stellen die Richter die Rechtmäßigkeit der seit Jahren im Bundesvergleich hohen Potsdamer Gebühren für Trinkwasser und Abwasser grundsätzlich in Frage.
Nach Auffassung des Gerichts ist das Potsdamer Modell, nach dem verschiedene kommunale Stadtwerke-Unternehmen sich gegenseitig quersubventionieren, nicht zulässig. Auch die Umlage der Kosten der Rekommunalisierung der Potsdamer Wasserversorgung auf die Wasserpreise – das stets vom städtischen Energieversorger Energie und Wasser Potsdam (EWP) ins Feld geführte Argument für die hohen Preise – halten die Richter für nicht zulässig. Rechtskräftig ist das Urteil noch nicht, die Stadt hat beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg Berufung eingelegt, wie eine Gerichtssprecherin den PNN bestätigte.
Gericht stimmt Klägern zu
Geklagt hatte ein Potsdamer Ehepaar, es geht um die Gebührenbescheide für Trinkwasser und Abwasser für ihr Grundstück aus den Jahren 2010, 2011 und 2012. Die Kläger beanstandeten aus ihrer Sicht unangemessene und nicht nachvollziehbar begründete Gebührenerhöhungen. Sie beklagten zudem, dass das städtische Unternehmen EWP Gewinne aus den Wasser- und Abwassergebühren zulasten der Wasserkunden und auf Kosten höherer Wasserpreise zur Quersubventionierung im Stadtwerke-Verbund nutze. Das Gericht gab ihnen, sieben Jahre, nachdem die erste Klage erhoben worden war, nun in weiten Teilen recht und hob die Gebührenbescheide auf.
Aus der Urteilsbegründung wird auch deutlich: Die Stadt hat im Verfahren offenbar gemauert, sie hat zu mehreren Punkten trotz gerichtlicher Aufforderung nicht die nötigen Informationen zur Aufklärung geliefert. Sie sei ihrer „prozessualen Mitwirkungspflicht“ nicht nachgekommen, konstatieren die Richter.
Die Gebührenbescheide, so heißt es in der Urteilsbegründung, „sind rechtswidrig“. Denn die zugrundeliegenden Gebührensatzungen für Wasser und Abwasser, erlassen im Dezember 2007 durch das Stadtparlament im Paket für die Jahre 2008 bis 2012, seien fehlerhaft und damit nichtig.
Gewinne sind nicht rechtens
Die Richter sehen mehrere Probleme mit den Satzungen. Dabei berufen sie sich auf das sogenannte Kostenüberschreitungsverbot aus dem brandenburgischen Kommunalabgabengesetz. Demnach sei es grundsätzlich nicht zulässig, dass die Stadt in Form der EWP mit den Wassergebühren Gewinne erzielt. Eventuelle Überschüsse müssten stattdessen in eine Senkung der Gebühren fließen. Auf Grundlage eines Vertrags aus dem Jahr 2004 zahle die EWP sämtliche Gewinne – abzüglich einer Ausgleichszahlung an den Mitgesellschafter E.Dis AG – an die stadteigenen Stadtwerke. Doch das Kostenüberschreitungsverbot könne auch durch das in Potsdam gewählte Konstrukt, in dem die Stadt über die Stadtwerke nur mittelbar Gesellschafter der EWP ist, nicht umgangen werden, erklären die Richter: „Die von der EWP erzielten Gewinne muss die Stadt sich daher so zurechnen lassen, als wäre sie direkt an der EWP beteiligt.“
Welchen Anteil die Wasserpreise bei dieser Gewinnabführung haben, konnte im Prozess laut den Richtern nicht geklärt werden: Offenbar hat die Stadt den Anteil herunterspielen wollen, ohne allerdings konkrete Zahlen zu nennen.
Die Richter liefern in der Urteilsbegründung aber ein anschauliches Rechenbeispiel: Selbst wenn man davon ausgehe, dass die Wassergebühren nur für fünf Prozent des EWP-Gesamtgewinnes stehen, hätte das für die Kunden im Jahr 2010 einen Preisunterschied von fünf Cent pro Kubikmeter Trinkwasser gemacht. 2012 hätten die Kunden pro Kubikmeter Trinkwasser sechs Cent, beim Abwasser acht Cent sparen können, wenn die Gewinne nicht an die Stadtwerke abgeführt worden wären.
Kalkulation nicht plausibel
Ein weiteres Problem sehen die Richter in den Kalkulationen für die einzelnen Jahre, die sie aus verschiedenen Gründen für nicht plausibel halten. Laut Kommunalabgabengesetz müssten eventuelle Mehreinnahmen aus Gebühren spätestens zwei Jahre später in Form einer Gebührensenkung für die Kunden ausgeglichen werden, führen sie aus. Das sei bei der Kalkulation für 2011 schon aus Zeitgründen gar nicht möglich gewesen: Denn erstellt worden sei die Kalkulation im Dezember 2009, als die entsprechenden Ergebniszahlen für 2009 noch nicht vorgelegen haben könnten. Die Stadt Potsdam habe trotz eines entsprechenden Hinweises in der Verhandlung keine neue nachträgliche Kalkulation für 2011 vorgelegt, merken die Richter an.
Mit einem Fragenzeichen versehen sie auch die in den Gebührenkalkulationen jeweils zu niedrig angesetzten jährlichen Wasserabsatzmengen. Allein im Jahr 2008 habe es dadurch beim Trinkwasser mehr als 1,9 Millionen Euro Mehreinnahmen gegeben. Dieser Überschuss sei aber nicht – wie vorgeschrieben – gebührenmindernd in die Kalkulation spätestens des übernächsten Jahres eingeflossen.
Fehlende Auskunftsbereitschaft der Stadt
Besonders brisant: Die Richter positionieren sich auch in der Frage, ob die Kosten für die Rekommunalisierung der Potsdamer Wasserversorgung vor fast 20 Jahren auf die Wasserkunden umgelegt werden können. Ob und in welchem Ausmaß das tatsächlich passiert, konnte das Gericht zwar – erneut wegen fehlender Auskunftsbereitschaft der Stadt – nicht klären. Die Kosten dürften aber nicht auf die Wassergebühren umgelegt werden, schreiben die Richter unter Berufung auf einschlägige Urteile.
Hintergrund ist ein Geschäft mit Potsdams Trinkwasser aus den 1990er-Jahren, mit dem die hohen Potsdamer Wasserpreise bis heute erklärt werden. Für das Gericht stellt es sich wie folgt dar: 1998 verkaufte die Stadt für 167 Millionen DM 49 Prozent der Gesellschafteranteile des damaligen Wasserbetriebs Potsdam, dem Vorgänger der EWP, nach einer europaweiten Ausschreibung an die private Eurawasser. Als sich dann abzeichnete, dass die Eurawasser die Wassergebühren stark anheben würde, kaufte die Stadt im Jahr 2000 die Anteile zurück.
Zumindest für den Zeitraum 2008 bis 2010 stellte das Verwaltungsgericht in der EWP-Bilanz noch aus diesem Geschäft stammende jährlich beglichene Forderungen in Höhe von zwischen 3,974 und 4,217 Millionen Euro fest. Weil der Erlös aus dem Teilverkauf des Wasserbetriebes seinerzeit aber in den städtischen Haushalt geflossen sei, ergebe sich „gewissermaßen spiegelbildlich die Folge, dass Kosten, die der Stadt durch den Rückkauf der Anteile im Zuge der Rekommunalisierung entstanden sind, (...) nicht über die jeweiligen Gebühren refinanziert werden dürfen“, so die Richter.
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