Bei frostigen Temperaturen: Potsdamer treffen sich zum Eisbaden
Kopfsache Kälteerfahrung: Bei frostigen Temperaturen treffen sich Potsdamer zum Eisbaden im Heiligen See. Eine Heilpraktikerin erklärt, wie man das aushält.
Potsdam - Drei Grad zeigt das Thermometer an, mit dem Josephine Worseck am Sonntagvormittag die Temperatur des Heiligen Sees misst. Obwohl jenseits von üblicher Badewärme, steigt sie kurz darauf im Bikini ins Wasser – und weitere 30 Menschen, die in den Neuen Garten gekommen sind, folgen ihr. In Badesachen, Unterwäsche oder nackt, aber fast immer mit Mütze auf dem Kopf und oftmals laut keuchend, läuft einer nach dem anderen in den See.
„Es geht unter anderem darum, Ängste hinter sich zu lassen und seinen Körper kennenzulernen“, sagt Worseck über dieses Eisbaden, zum dem sie gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Douwe van den Berg einmal im Monat in Potsdam einlädt. Dabei ist für Worseck der Heilige See bei Weitem nicht das kälteste Nass, in dem sie bislang gebadet hat. Mehrmals im Jahr fährt sie ins polnische Przesieka, wo Schmelzwasser von den Bergen hinabfließt und als Wasserfall ins Tal stürzt. „Das ist dann etwa minus zwei Grad kalt“, sagt sie.
Extremsportler als Vorbild
Regelmäßiges Eisbaden hat sich die 37-Jährige, die in Potsdam als Yoga-Lehrerin und Heilpraktikerin arbeitet, nach den Methoden des Extremsportlers Wim Hof beigebracht. Der ist bekannt für seine Rekorde im Eisbaden oder für Halbmarathonläufe im Schnee, barfuß, nur mit Boxershorts bekleidet. 2015 sieht Worseck einen Film über Hof, wie der in Badehose die Schneekoppe besteigt. „Ich habe mich gefragt: Wie geht das? Und können wir das vielleicht alle?“ Sie beginnt, sich mit den Methoden des Niederländers zu befassen, trifft ihn persönlich und lässt sich zur zertifizierten Wim-Hof-Trainerin ausbilden.
Seit 2017 bringt sie als solche auch anderen Menschen das Baden in eiskalten Seen näher. Unter Anwendung spezieller, von Hof entwickelter Übungen und Atemtechniken soll sich extreme Kälte positiv auf die menschliche Gesundheit auswirken. „Kälte lindert chronische Schmerzen, bei Rheuma zum Beispiel, aber sie kann auch bei Depressionen helfen und die Schlafqualität verbessern", sagt Worseck, die sich nach eigener Aussage Hofs Methoden nicht nur als Heilpraktikerin genähert hat, sondern auch als promovierte Molekularbiologin, die sie ist. Bevor sie sich 2017 als Yoga-Lehrerin selbstständig machte, war sie in einem Biotechnologie-Unternehmen im Business Development tätig. Durch die wissenschaftliche Brille sei so auch ihr erstes Buch entstanden – „Die Heilkraft der Kälte“ heißt es, und es erscheint im April 2020 im Münchener Riva-Verlag.
Trotz aller Theorien und Wissenschaftlichkeit steht für Worseck am Sonntag jedoch vor allem eins im Vordergrund: Der Spaß. „Es ist ein schönes Gruppenerlebnis, das im Gedächtnis bleibt.“ Normalerweise kämen zu den monatlichen Treffen an der von der Potsdamer Schlösserstiftung lediglich geduldeten Badestelle nahe der Hasenbrücke im Neuen Garten etwa 15 Interessierte, sagt sie. Warum es heute doppelt so viele seien, wisse sie nicht. Eine Erklärung: Das Wetter. Mit Frost und Sonne herrscht ideales Eisbadewetter.
Viele kommen mit Kindern
Viele sind mit ihren Kindern gekommen, die vergnügt zusehen, wie Vater oder Mutter bis zu den Oberschenkeln oder den Schultern im See stehen und bibbern. Vor dem Gang ins Wasser haben Worseck und ihr Partner sie zwar mit Atem- und Aufwärmübungen rund 30 Minuten vorbereitet, und im See geben sie weitere Tipps und reden beruhigend auf die Bader ein – doch einige halten es trotzdem nur ein paar Sekunden aus. Die wenigsten bleiben bis zu zwei Minuten drin oder schwimmen sogar ein paar Runden.
Bei vorbeilaufenden Spaziergängern stößt das Baden derweil auf großes Interesse: Viele bleiben stehen und sehen sichtbar erstaunt zu. „Alle Achtung“, ist von einem Vorbeilaufenden zu hören, „da wird mir ja schon vom Zugucken ganz anders“. Worseck, der solche Reaktionen nicht fremd sind, sagt jedoch, dass Eisbaden von nahezu jedem erlernt werden könne. „Es ist reine Kopfsache.“ Eine simple Trainingsmethode sei etwa regelmäßiges kaltes Duschen.
Wer aus dem Wasser kommt, redet nicht viel
Einer, der dabei ist, um herauszufinden, was es mit der „Kopfsache“ auf sich hat, ist Sirko Kühnicke. „Ich will wissen, wer am Ende stärker ist – der Kopf oder der Körper?“ Dass er es tatsächlich einen längeren Moment im Wasser aushält, scheint die These Worsecks zu stärken.
Wer gerade aus dem Wasser kommt, redet nicht viel – auch darauf hat Worseck die Teilnehmer vorbereitet. „Die Kälteerfahrung führt zur totalen Konzentration auf sich selbst“, sagt sie. Dennoch ist bei einigen herauszuhören, dass sie beim nächsten Treffen im Januar dabei sein wollen.
Damit jeder am monatlichen Eisbaden teilnehmen kann, ist es kostenfrei, wer kann und will spendet jedoch etwas. Gesammelt wird Geld für die Suppenküche der Potsdamer Volkssolidarität – für eine heiße Mahlzeit für diejenigen, die der Kälte unter Umständen nicht so leicht entfliehen können wie diejenigen, die sich nach dem Baden im Heiligen See zurück in ihr warmes Zuhause begeben. Am Sonntag kamen dabei rund 180 Euro zusammen.
Andrea Lütkewitz
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