Interview | Anna Luise Kiss: Potsdamer sollen Filmstadt-Orte suchen
Die Medienwissenschaftlerin Anna Luise Kiss sucht auch nach versteckten Hinweisen der Filmstadt Potsdam. Wer geheime Schätze und Orte kennt, kann ihr helfen, Mediengeschichte erlebbar zu machen.
Frau Kiss, Sie wollen das „filmische Gesicht“ der Stadt Potsdam erforschen. Warum lassen Sie dafür die Bewohner Indizien sammeln?
Ich kenne Potsdam sehr gut, bin aber keine gebürtige Potsdamerin. Die wirklichen Experten für diese Stadt sind natürlich die Bürgerinnen und Bürger. Ich erhoffe mir davon, etwas über die Stadt lernen zu können, über die versteckten Hinweise zum Thema Film im städtischen Raum.
Was erwarten Sie sich konkret?
Es geht um Film- und Mediengeschichte im städtischen Raum. Es ist noch offen, was am Ende herauskommt. Ein bisschen sollen auch die Bürger selbst entscheiden, was für sie zur Filmstadt gehört. Ich denke erst einmal an Straßen, die nach Filmschaffenden benannt sind, in der Stadt gibt es aber auch auf Wände gemalte Bilder von Filmstars, hier und da auch das Symbol einer Filmklappe aber auch Räume, die mit Filmrequisiten ausgestattet sind, von denen kaum jemand etwas weiß. Das alles gehört dazu.
Und dann einfach fotografieren?
Genau. Das kann man mit der Kamera oder dem Handy machen und per E-Mail schicken – oder auch ganz einfach mit unserer dafür bereitgestellten App. Das geht innerhalb von wenigen Minuten, auch anonym oder über Instagram. Wer sich nicht sicher ist, ob er etwas Bestimmtes fotografieren darf, der kann uns auch nur einen schriftlichen Hinweis schicken. Wir brauchen natürlich auch noch eine Angabe zum Ort. Und wer bei der geplanten Verlosung mitmachen möchte, sollte noch ein Kürzel mitschicken. Das erklären wir aber alles unserer Projektseite.
Sie berufen sich auf die sogenannte Bürgerwissenschaft. Eine nützliche Methode?
Die Bürger waren immer schon auch Wissenschaftler. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von heute sind nicht vom Himmel gefallen, die Geschichte der Wissenschaft wurde seit jeher von den Bürgern mitgetragen. In jüngster Zeit wird der Begriff „Citizen Sciences“ verstärkt bemüht, weil die Wissenschaften gemerkt haben, dass es immer schwieriger wird, in der gegenwärtigen Informationsflut die Wissenschaft für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Es ist ein größeres Bedürfnis entstanden, den Aspekt des gemeinsamen Forschens wieder in den Vordergrund zu stellen. Zum einen, um eine größere Aufmerksamkeit für die Wissenschaft zu schaffen. Aber auch, weil man erkannt hat, dass aus der Öffentlichkeit teilweise die besseren Fragen zur Gegenwart kommen. So ergeben sich sehr originelle oder innovative Zugänge zur Analyse der Daten.
Sie wollen sich also nicht einfach die Arbeit erleichtern?
Natürlich nicht. Es wäre einfacher, mit meiner studentischen Hilfskraft durch die Stadt zu fahren und die Daten selbst zu sammeln. Andererseits kennen die Einwohner aber auch Dinge, die wir nicht wissen können. Repliken an den Film in Hinterzimmern von Cafés, verborgenen Räume von Hotels oder Schulen oder auch in einem Laden, der eigentlich nichts mit Film zu tun hat. Hier ist so vieles denkbar. Die Idee geht aber auch weit darüber hinaus, die Bürger nur zum Sammeln von Daten einzuladen.
Sondern?
Sie sollen auch in die Auswertung und Analyse der Daten miteinbezogen werden. So können ganz frische und neue Perspektiven entstehen. Es geht darum, dass wir die Ergebnisse mit den Bürgern zusammen anschauen. Ich denke, dass hier so viele Geschichten über die Filmgeschichte der Stadt zu erzählen sind, die man nur herausbekommt, wenn man mit den Menschen selbst redet. Das Sammeln der Daten ist auch ein Anlass, miteinander ins Gespräch zu kommen.
Wozu brauchen Sie die einzelnen Informationen?
Wir wollen mit Hilfe dieser Daten eine Straßenkarte erstellen, die alle Fundstücke sichtbar macht. Das Gesamtbild soll sich auf einen Blick erschließen. Dann wollen wir gemeinsam mit den Bürgern diese Karte analysieren.
Ihre Ausgangsthese?
Ich habe mehrere Thesen, die beschreibe ich ebenfalls auf der Projektseite. Ein Beispiel: Ich gehe davon aus, dass sich filmische Fundstücke immer um zentrale Einrichtungen und Orte gruppieren. Zum Beispiel wäre zu erwarten, dass sich um das Babelsberger Filmstudio und das Thalia-Kino herum besonders viel tut. Aber genauso könnte es andere Knotenpunkte geben. Es kann aber auch sein, dass es bestimmte Achsen in der Stadt gibt, also keine Knoten. Das wollen wir herausfinden. Spannend wird auch, wenn sich einzelne Dekorationen in der ganzen Stadt wiederfinden lassen.
Sie wollen ein Analyse-Modell schaffen. Wozu?
Ich mache eine ähnliche Untersuchung zur dänischen Stadt Aarhus. Die Idee ist, am Ende die Imagebildung von sogenannte Filmstädten als diskursiven Prozess analysierbar zu machen. Das ist die Metaebene der Untersuchung. Das beinhaltet dann auch den Ansatz den räumlichen Aspekt mit den Bürgern zusammen zu erarbeiten: Diskurs nicht nur aus Texten, Bildern und Handlungen, sondern auch als Widerhall im Raum, der mit Hilfe der Bürger sichtbar wird.
Warum gerade Aarhus?
Die Stadt war in Sachen Filmproduktion zur Stummfilmzeit ähnlich produktiv wie Potsdam und steht zu Kopenhagen in einer ähnlichen Konstellation wie Potsdam zur großen Schwester Berlin. Aarhus ist dann aber einen ganz anderen Weg gegangen, die Stadt versteht sich heute mehr als Cultural Hub, referiert nicht mehr auf die Filmgeschichte, sondern mehr auf die Medien allgemein, auf die Smart City und die Fernsehproduktionen der Nordic Noir. Der Vergleich ist spannend, ich hoffe herauszubekommen, wie sich die Unterschiede in Kultur, Politik und der Stadtplanung auf die Imagebildung der jeweiligen Stadt ausgewirkt haben.
Sie haben auch nach Hollywood geschaut, als Referenzgröße?
Beim Thema Filmstadt kommt man daran natürlich nicht vorbei. Spannend ist aber auch, dass es in Potsdam immer wieder Referenzen auf Hollywood gibt. Nehmen sie den Supermarkt in der Marlene-Dietrich-Allee, hier werden ganz bewusst Referenzen auf Hollywood gesetzt. Natürlich würde es sich auch anbieten, beispielsweise nach Paris oder Rom zu schauen, aber ich finde den Vergleich mit Aarhus passender.
Die Stadt Potsdam ist im vergangenen Jahr auch zur „Unesco Creative City of Film“ ernannt worden. Was bringt dieser Titel der Stadt?
Erst einmal ist es retrospektiv eine tolle Würdigung dessen, was in der Stadt in Sachen Film alles passiert. Es ist aber auch eine große Verantwortung. Die Unesco wird sehr drauf setzen, dass unter dem neuen Label ganz vielfältige Aktivitäten sichtbar gemacht werden. Zum einen geht es um die Förderung des Films als Wirtschaftsfaktor. Es geht aber auch darum, für die Bürger Formate zu entwickeln, die weit über die Vermittlung der Filmgeschichte hinausgehen – und etwas mit der Gegenwart zu tun haben: Attraktive Angebote für Kinder, Jugendliche und Ältere. Film soll generationsübergreifend als Türöffner genutzt werden, um aktuelle Themen zu erschließen. Hinzu kommen die Vernetzung und der Austausch mit den anderen Unesco-Filmstädten untereinander.
Welche Rolle spielt aus Ihrer Sicht das Filmkulturerbe in der Stadt?
In Potsdam wird dieses Erbe besonders lebendig gepflegt. Das ist keine verstaubte Angelegenheit. Jährlich gibt es vielfältige Möglichkeiten dieses Erbe in verschiedenen Kontexten kennen zu lernen.
Zum Beispiel?
Noch bis zum 24. Januar werden im Filmmuseum sehr ungewöhnliche Fassungen verschiedener Filmklassiker gezeigt. Das sind zum Teil Fassungen, die sonst nicht zu sehen sind. So wird das Filmerbe lebendig gehalten. Dass ist immer auch ein Ansatzpunkt, nicht stehen zu bleiben. Wir schwelgen hier nicht nur in der Retrospektive, sondern suchen neue Perspektiven und immer den Bezug zur Gegenwart. Wir wollen diskutieren, Menschen zusammenbringen.
Da passt Ihr Projekt ja gut hinein.
Ich hoffe, dass das Konzept aufgeht. Das wäre wirklich wunderbar.