Interview | Präsident des Deutschen Judo-Bundes: Potsdamer Daniel Keller fordert Mut zum Hauptamt
Keller ist nicht nur Deutschlands oberster Judoka, sondern auch Politiker. Ein Gespräch über "seinen" Sport und sportpolitische Aufgaben.
Haben Sie zur Ausführung Ihrer vielen Ämter eigentlich ein Zaubergerät, dass Ihren Tag länger als 24 Stunden macht, Herr Keller?
(lacht). Derzeit ist wirklich eine Menge zu tun, so dass der Tag für mich ruhig etwas länger sein könnte. Mit all den teilweise neuen Aufgaben muss ich mich erst einmal ein bisschen sortieren. Auf jeden Fall ist eine Sache für mich leider nicht mehr möglich – Trainer zu sein. Das finde ich sehr schade, weil es mir sehr viel gegeben hat. Aber als Trainer hat man viel Verantwortung für die Athleten, die zu einem ein stabiles Vertrauensverhältnis aufbauen müssen. Das klappt nicht, wenn ein Trainer nur unregelmäßig dabei sein kann. Und auch mein Amt als Präsident des Brandenburgischen Judo-Verbands habe ich jetzt abgegeben, weil da sonst Interessenkonflikte gedroht hätten.
Jüngst wurden Sie nämlich in Ihrer Heimatstadt Potsdam zum neuen Präsidenten des Deutschen Judo-Bundes gewählt, nachdem Sie bereits im Februar kommissarisch einen Vizeposten übernommen hatten. Der Verband zählt aktuell rund 134.000 Mitglieder und hat sich damit seit 2000 halbiert. Warum?
Es wäre zu einfach, wenn man das auf die steigende Konkurrenz durch andere Angebote zurückführt. Ein großes Problem ist die Organisation. Wie in vielen Sportarten fällt es auch im Judo immer schwerer, ehrenamtliche Helfer zu finden. Daher muss man anregen, was auch auf andere Sportarten mit denselben Problemen angewendet werden kann: Mut zum Hauptamt. Wir wollen die Vereine, die an der Schwelle zu einer professionelleren Struktur stehen, motivieren und dabei unterstützen, hauptamtliche Stellen zu schaffen. Dadurch können Trainingsangebote weitaus breiter aufgestellt werden. Brandenburg ist ein gutes Beispiel. Wir haben 66 Judovereine, davon haben 15 Vereine Hauptamt und diese 15 Vereine machen fast vier Fünftel aller Mitglieder aus.
Welche Möglichkeiten zur Verbesserung der Lage sehen Sie noch?
Wir müssen den Judosport im Bereich der Kindertagesstätten bundesweit mehr stärken. Da steckt viel Potenzial. Hierfür lohnt der Blick nach Potsdam, wo viel in dieser Hinsicht passiert: Mit unseren zwei Judovereinen sind wir in 25 bis 30 Kita-Einrichtungen unterwegs. Knapp jedes siebte Kind, das in Potsdam eingeschult wird, hat vorher schon mal Kontakt zu Judo gehabt, einem Sport, der koordinativ sehr gut schult. Dadurch gewinnen die Vereine Mitglieder. Uns muss es aber gelingen, noch mehr Kinder aus diesem Bereich dann anschließend in den Wettkampfsport zu bringen. Damit unser toller Sport auch gut wahrgenommen wird, müssen wir als Verband in unserer Öffentlichkeitsarbeit besser werden.
Wie steht es um den Leistungssport?
Wir müssen gewährleisten, dass Deutschland an der internationalen Judo-Spitze dranbleibt. Dafür wurde unter anderem eine Strukturreform vollzogen, die das Trainingsniveau steigern soll.
Um bei dieser Reform den Judo-Bundesstützpunktstatus in Brandenburg zu halten, wurde unter anderem von Ihnen ein Konzept mit dem Wechsel des Stützpunktstandorts von Frankfurt (Oder) nach Potsdam erstellt. Anfang 2019 gab es dafür grünes Licht vom Bundesinnenministerium und dem Deutschen Olympischen Sportbund. Wie bewerten Sie heute den Schritt?
Das drohende Aus der Bundesförderung hat uns gezwungen, uns in Brandenburg zu hinterfragen. Wir haben dann ein Konzept für die Zukunft geschaffen, mit dem die Leistungssportarbeit im Land effizienter wird. Potsdam bietet bessere Möglichkeiten der dualen Karriere und ist jetzt unser Leuchtturm. In Frankfurt läuft aber weiter die Nachwuchsförderung an der Sportschule. Wir haben festgelegt, dass ab der elften Klasse die besten Sportler in Potsdam zentriert werden, denn im Judo ist das wichtigste Trainingsgerät der Partner auf der Matte – wir wollen daher die Top-Leute frühzeitig zusammenbringen.
Nach langem Kampf erhielt Potsdam den Bundesstützpunktstatus aber nur bis Ende 2020. Muss man sich in Brandenburg jetzt gleich schon wieder Sorgen machen, dass danach alles hinfällig ist?
Auf keinen Fall. Die Bundeskaderzahlen in Potsdam entwickeln sich hervorragend. Wir sind im Nachwuchs sehr gut aufgestellt, so dass hier riesiges Potenzial für die Zukunft liegt.
Wie stehen die Chancen, dass jemand aus Brandenburg nächstes Jahr bei Olympia im Judo-Mutterland Japan kämpft?
Unsere größte Hoffnung ist Philipp Galandi, der schon im Erwachsenenbereich angekommen ist, zuletzt eine wahnsinnig gute Entwicklung genommen hat und viele Punkte für die Qualifikationsrangliste sammeln konnte. Trotzdem haben wir für 2020 eher noch Außenseiterchancen. Doch die Route für 2024 mit Top-Talenten wie Marlene Galandi und Erik Abramov ist ganz klar.
Was hat sich durch die Anerkennung als Bundesstützpunkt für den Judosport in Potsdam geändert?
Der Standort ist deutlich attraktiver geworden. So konnten bereits einige vielversprechende Sportler aus anderen Bundesländern hierhergelockt werden. Und künftig werden sicher noch mehr kommen.
Bundesstützpunkt ist eine schöne Sache für den Briefkopf. Aber fließen dadurch nun auch mehr Gelder in den Standort zur Finanzierung von Trainern?
Wir haben hier in Brandenburg unsere Hausaufgaben gemacht und erwarten jetzt in Zusammenarbeit mit dem Bundesinnenministerium und dem Deutschen Olympischen Sportbund, dass spätestens ab 1. Januar 2021 diese Übergangsphase beendet ist und wir dann auch die notwendigen bundesfinanzierten Trainerstellen bekommen. Bisher ist das Brandenburger Ministerium für Bildung, Jugend und Sport mit einer Zwischenfinanzierung eingesprungen. Mario Schendel hat zum 1. Dezember seine Lehrertrainerstelle an der Sportschule verlassen und ist nun als leitender Bundesstützpunkttrainer tätig. Christopher Schwarzer hat Schendels Stelle erhalten. So haben wir zumindest schon eine zusätzliche Stelle. Aber ab 2021 müssen weitere hinzukommen.
Wie steht es dabei um Yvonne Bönisch? Die Olympiasiegerin von 2004 hatte zu Beginn des aktuellen Olympiazykluses Potsdam wegen der damals unsicheren Stützpunktperspektive verlassen. Sie arbeitet seitdem sehr erfolgreich als Nationaltrainerin in Israel. Holen Sie Frau Bönisch nach Olympia 2020 zurück?
Sie ist in Israel dank ihrer herausragend guten Arbeit hoch anerkannt. Es wird sicherlich nicht einfach, sie von dort wieder loszueisen. Aber ich werde keinen Moment auslassen, ihr mein Herz zu Füßen zu werfen und ihr zu sagen: Komme bitte wieder zurück nach Potsdam! Wir werden ihr ganz klar und offensiv ein Angebot machen.
Im Gegensatz zu Deutschland kann Judo in Brandenburg immerhin auf stabile Mitgliederzahlen von rund 4700 Aktiven verweisen. In Potsdam sind sogar zwei Vereine mit positiven Tendenzen zu finden. Wie funktioniert das Zusammenleben von UJKC Potsdam und SV Motor Babelsberg?
Es ist eine spannende Genese, die die beiden Vereine haben. In den 1990er-Jahren gab es da schon einige Reibereien zwischen den Clubs, Zwist und Streit. Aber gerade in den vergangenen drei, vier Jahren wurde das überwunden. Jetzt herrscht eine sehr produktive Zusammenarbeit. Im Wettkampfbereich ist dabei klar geregelt: Bis zur sechsten Klasse sollen beide Vereine ihre Nachwuchsförderung umsetzen, dann ist der UJKC – auch über den Sportschulweg – zuständig, die besten Leute weiterzuentwickeln. In diesem Jahr haben beide Vereine auch eine gemeinsame Veranstaltung mit fast 200 Gürtelprüfungen durchgeführt.
In Ihren politischen Ämtern müssen Sie für den Sport auch über den Judo-Tellerrand hinausschauen. An welchen Stellschrauben muss auf Ebene des Landes Brandenburg gedreht werden?
Aufgabe ist es, die positiven Entwicklungen der vergangenen Jahre zu verstetigen. Dabei muss die Sportförderung weiter an die Mitgliederentwicklung angepasst werden – das heißt, es braucht entsprechend mehr Geld für den Landessportbund, die Trainer und Vereine. Ganz wichtig ist auch die Fortsetzung und der Ausbau des Kommunalen Infrastrukturprogramms KIP, das für die Sportstättensituation eine Erfolgsgeschichte ist. In Potsdam gibt es viele schöne Beispiele. Darüber hinaus möchten wir als Koalition eine noch stärkere Förderung von Maßnahmen in spezifischen Gruppen: den Bereich Kita, Frauen und Mädchen sowie Senioren. Und natürlich steht Brandenburgs Landesregierung weiter fest an der Seite der Leistungssportler.
Und jetzt der Blick in die Landeshauptstadt. Was muss sportpolitisch in Potsdam angepackt werden?
Vor allem ist es eine Frage der Sportstätten. Hier sollten wir darauf hinwirken, dass die Stadt die KIP-Projekte zur Sanierung von Sportstätten stärker unterstützt. Die Vereine müssen bei solchen Maßnahmen einen Eigenanteil übernehmen, der oft nicht gerade gering ist. Es ist erstrebenswert, dass die Stadt diesen Anteil übernimmt. Da werden wir unseren Kämmerer sicherlich noch ziemlich nerven müssen. In den nächsten Jahren werden aber schon bis zu 300 Millionen Euro in Kitas und Schulen investiert. Da müssen wir darauf achten, dass bei solchen Schulbauprojekten der Vereinssport vernünftig mitgedacht wird. Es dürfen nicht einfach nur Minimalanforderungen an Sportflächen erfüllt werden, sondern es müssen gleich wettkampffähige Hallen und Fußballplätze mit ordentlichen Größen und auch Zuschauerplätzen sein.
Welche Aufgaben sehen Sie in Potsdam abseits des Infrastrukturellen?
Potsdam ist eine stark wachsende Stadt. Die Mittel für den Stadtsportbund und seine Vereine haben sich in den vergangenen Jahren immer angepasst, weil das eine Pro-Kopf-Rechnung ist. Doch es gibt zusätzlich einen städtischen Haushalt zur Unterstützung der wichtigsten Ligamannschaften und Sportveranstaltungen, der seit Langem nicht gewachsen ist – obwohl neue Teams dazugekommen sind wie die Royals-Footballer. Da es im Kampf um Erfolg nicht funktioniert, den gleichen Topf einfach weiter aufzuteilen, muss das Gesamtvolumen hierbei angehoben werden. Dazu stecken wir auch schon in Gesprächen.
Herr Keller, was kann die Politik vom Judo lernen?
Wenn man auf der Matte steht, wird sich nichts geschenkt, da kämpft man bis zum bitteren Ende, bis zum Sieg des Einzelnen. Das haben wir im politischen Rahmen auch. Da kämpfen wir um jede Stimme, aber auch um die beste Idee, die wir umsetzen wollen. Aber Judo ist eine absolute Sportart des Respekts, bei der man sich nach dem Sieg wie auch der Niederlage verbeugt und danach gemeinsam zusammensteht. Das würde ich mir auch in den politischen Arenen wünschen: mehr Respekt und Fairness.
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