Fachkräftemangel in der Justiz: Potsdamer Amtsgericht droht zu vergreisen
Der Altersdurchschnitt am Amtsgericht Potsdam ist recht hoch. Nur drei von 37 Richtern sind jünger als 49 Jahre. Und zahlreiche Richter gehen in den kommenden Jahren in Rente. Was bedeutet das für die Verfahren?
Potsdam - Der Rechtsstaat ist eigentlich auf funktionierende Gerichte angewiesen: Doch das Potsdamer Amtsgericht ist zunehmend überlastet, das Personal droht zu vergreisen. Ob das Justizministerium noch rechtzeitig gegensteuern kann, steht angesichts des Fachkräftemangels in den Sternen. Das gibt der Debatte um die überlastete Justiz in Brandenburg neue Nahrung.
37 Richter sollen am Amtsgericht jedes Jahr etwa über Tausende Straf- und Bußgeldsachen sowie Zivilstreitigkeiten urteilen. Doch 70 Prozent der Richter sind schon jetzt im reiferen Alter zwischen 50 und 59 Jahren, acht weitere Kollegen jenseits der 60. Und nur drei Richter sind unter 49 Jahre alt, wie Gerichtsvizepräsident Simon Welten auf PNN-Anfrage sagte.
"Jetzt wird man zusammen alt"
Diese ungünstige Altersstruktur sei als flächendeckendes Strukturproblem noch auf den Aufbau der Justiz nach 1990 zurückzuführen, erklärte Welten. „Damals gab es in relativ kurzer Zeit viele Neueinstellungen, jetzt wird man zusammen alt.“ Neue Richter seien nur sporadisch eingestellt worden. Dabei würden in den nächsten zehn Jahren am Amtsgericht mindestens 17 Richter in Pension gehen, „ein großer Erfahrungsverlust“, so Welten. Werde nicht endlich gegengesteuert, könne es – wegen des Fachkräftemangels – schwer mit der Neubesetzung der Stellen werden.
Auch in anderen Bereichen des Gerichts beginne es laut Welten altersmäßig „zu knirschen“ – etwa bei den mehr als zehn Wachtmeistern, von denen die meisten ebenfalls älter als 50 Jahre und einige nicht mehr in allen sicherheitsrelevanten Bereichen einsetzbar seien. Ferner mit 13 Arbeitskräften unterbesetzt sei der rund 100 Soll-Stellen umfassende Mittelbau des Gerichts, in dem etwa Protokolle geschrieben und die Akten verwaltet werden müssen. Das führe zu längeren Verfahrenslaufzeiten – nicht nur bei Zivil- und Strafsachen, sondern etwa auch massiv in den zuletzt über 4000 Nachlassangelegenheiten, die pro Jahr erledigt werden müssen. Und angesichts der wachsenden Stadt mit steigender Tendenz.
Anwälte sind frustriert
Lange Wartezeiten sorgen auch für Verdruss bei Anwälten, die nicht nur die Situation am Amtsgericht kennen. „Verfahrenslaufzeiten von mehreren Jahren erschweren die Arbeit zunehmend", kritisierte zuletzt der Vorstandsvorsitzende des Versorgungswerks der Rechtsanwälte in Brandenburg, der Babelsberger Jurist Jens Frick. Und: „Die Folge ist: Viele Bürger glauben inzwischen nicht mehr, dass ihnen in einem Rechtsstreit geholfen wird.“ Zudem würden lange Verfahrensdauern für Straftäter mildere Strafen bedeuten.
Dabei ist etwa am Amtsgericht der Personalbedarf bei den Richtern rein rechnerisch gedeckt, sagte auch Welten – praktisch würde aber eine alternde Belegschaft immer komplexere Aufgaben bewältigen müssen. So habe es im vergangenen Jahr einen massiven Anstieg bei den Bußgeldsachen gegeben – diese Zahl stieg von gut 2500 im Jahr 2017 auf rund 4250 im vergangenen Jahr. Ein Grund seien etwa die Geschwindigkeitsblitzer an der Baustelle der Autobahn 10 bei Potsdam. Viele solcher Geschwindigkeitsverstöße landeten vor dem Amtsgericht, speziell wenn Betroffenen Fahrverbote drohen. „Da wird dann mit allen Bandagen gekämpft.“ Doch in der Statistik seien die Bußgeldsachen als einfach zu bewältigen eingestuft, obwohl der Arbeitsaufwand immer mehr steige.
Amtsgericht nicht besonders effizient
Ohnehin sei das Amtsgericht mit seinen zwei Gebäuden in der Hegel- und der Jägerallee und dem Aktenarchiv in Kleinmachnow nicht effizient aufgestellt – gerade in Sachen Aktentransport. Dies verursache zusätzlichen Personalaufwand, welcher beim Bedarf nicht berücksichtigt sei. Problematisch sei auch, dass die wichtige Familienabteilung des Gerichts über keinerlei Räumlichkeiten verfüge, in denen etwa in Sorgerechtsstreitigkeiten eine Anhörung von Kindern in einem zeitgemäß kindgerechten Umfeld möglich sei.
Andere Fallzahlen – etwa im Jugendstrafbereich – würden hingegen seit Jahren sinken, im vergangenen Jahr gab es rund 600 solche Verfahren. Welten: „Das hängt aber auch damit zusammen, dass die ebenfalls stark belastete Staatsanwaltschaft in dem Bereich weniger anklagt.“ Gesunken sei auch die Zahl der Zivilfälle – etwa Streitigkeiten unter Nachbarn. Diese lag im vergangenen Jahr bei 3400 Fällen, ein Minus von 500 Verfahren. „Mutmaßlich nimmt die Neigung für außergerichtliche Streitbeilegung zu“, so Welten.
Andererseits würden die Ermittler manche komplexe Verfahren, die eigentlich an das Landgericht gehörten, wegen der dort noch längeren Verfahrensdauer immer häufiger am Amtsgericht anklagen – mit einer jedoch niedrigeren Straferwartung. In der Situation, sich Verfahren vom Hals zu schaffen, sei man aber noch nicht, sagte Welten: So stieg die Quote der Verurteilungen samt des Erlasses von Strafbefehlen zuletzt von 51 auf 57 Prozent.
Frage nach Fixierung
Ferner müsse das Amtsgericht in verstärktem Umfang Bereitschaftsdienste vorhalten, etwa im Hinblick auf freiheitsentziehende Maßnahmen in der Psychiatrie oder in Pflegeheimen. Dies gelte etwa für die Frage, ob ein besonders renitenter Patient fixiert werden darf. „Hierüber muss so schnell wie möglich vor Ort eine richterliche Anhörung erfolgen, was einen Bereitschaftsdienst von 6 bis 21 Uhr erfordert – ohne Extrapersonal.“
Dass der rechnerische Bedarf nicht immer den tatsächlichen widerspiegele, räumte auch ein Sprecher des von Stefan Ludwig (Linke) geführten Justizministeriums auf Anfrage ein. Jedoch sei das Amtsgericht schon zehn Prozent über Bedarf ausgestattet. Klar sei aber, dass erheblicher Einstellungsbedarf auf Justizstellen des Landes – wie eben das Amtsgericht – zukomme. Dafür stünden etwa Nachwuchsstellen für Proberichter zur Verfügung, in der Ausbildung würde man mit Berlin kooperieren. „Die Region ist für junge Juristen hoch attraktiv, weshalb hier weniger Probleme bei der Personalgewinnung zu erwarten sind als in anderen Bundesländern.“
Welten ist da nicht so sicher: Denn andere Bundesländer suchten eben auch Richter. Jura-Absolventen würden aus der Privatwirtschaft oder besser zahlenden Anwaltsbüros umworben.