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"Es müssten endlich empfindliche Geldstrafen her für Leute, die die Tiere füttern", sagt Philipp Cachée.
© Gregor Fischer/dpa

Wildschweinplage in Potsdam-Mittelmark: „Bogenjagd klingt nach Aktionismus“

Die Bogenjagd auf Wildschweine in Potsdam-Mittelmark soll bald beginnen. Ballistik- und Jagdexperte Philipp Cachée hält davon nicht viel. 

Herr Cachée, Sie sind Sachverständiger für forensische Ballistik und kennen sich mit Schusswaffen aller Art, also auch mit Pfeil und Bogen, aus. Sie sind in Ihrer Freizeit selbst aktiver Jäger. Womit schießen Sie eigentlich auf Wildschweine?

Ich verwende ein handelsübliches Jagdgewehr mit selbstgeladener bleifreier Munition, welche hoch effektiv im Wildkörper wirkt.

Was halten Sie von dem Vorschlag des Stahnsdorfer Bürgermeisters, die Tiere mit Pfeil und Bogen zu erlegen?
Meiner Meinung nach ist das nicht die Lösung des Problems, maximal ein kleiner Baustein für den Ernstfall. Es bietet keinerlei Vorteile gegenüber einer Jagd mit Schusswaffen, im Gegenteil, es ist gefährlich und kaum erfolgversprechend. Das kann man in der weitläufigen Wildnis, zum Beispiel in den USA, machen, da mag das funktionieren. Da warten die Schützen dann stundenlang in voller Tarnung, manchmal sogar auf dem Baum sitzend, dass die Tiere so dicht rankommen, dass man auch treffen kann. Um eine entsprechende tödliche Wirkung zu haben, braucht man eine Entfernung von 20 bis 30 Metern. Die Stelle, die tödlich ist, ist wiederum nur handflächengroß. Und selbst wenn man mit dem Pfeil trifft, dauert das Sterben durch einen Pfeil länger als bei einem Schuss mit einer Kugel aufgrund der Energieabgabe in den Wildkörper. Die Tiere verbluten innerlich. Wird eine Sau nur angeschossen, rennt diese dann in Panik durch die Gegend und stellt eine noch weit größere Gefahr da. Will man das ernsthaft innerorts?

Die Verfechter der Idee sagen, es ist weniger gefährlich, weil es keine Querschläger gibt.
Querschläger kann es auch bei Pfeilen geben. Bei jedem Schuss egal ob Kugel oder Pfeil kann es zu einem Querschläger kommen, wenn das Ziel von einem Pfeil verfehlt wird oder die Kugel, wie bei Jagdmunition üblich, durch den Wildköper fliegt und danach noch viele Meter ein Risiko darstellt. Der Schütze muss dafür Sorge tragen, dass im Hintergrund niemand gefährdet wird. Deshalb ist eine Jagd innerorts in der Tat eine gefährliche Sache. Aber – und das ist vielleicht das größte Missverständnis in dieser Diskussion – es gibt eben nicht nur die Alternativen: Weiter so wie bisher oder Bogenjagd.

Sondern?
Es gibt Schusswaffen, Munitions- und Technik-Kombinationen, welche hier Abhilfe schaffen könnten, ohne zu experimentieren. Es bräuchte dafür praxiserprobte Sondergenehmigungen, die dann eben von den Verantwortlichen erteilt werden müssten.

Was genau müsste man anders machen?
Es geht zum Beispiel um die Wahl des Kalibers. Das Jagdgesetz schreibt hier eine Mindestgeschossenergie vor, die für einen schnellen, waidgerechten Tod sorgt. Diese Werte sind so großzügig festgelegt, dass man sie temporär durchaus unterschreiten und trotzdem waidgerecht jagen könnte. Es gibt schallgedämpfte halbautomatische Waffen, wenn diese noch mit Unterschallmunition geladen werden, kann dies in Kombination mit einer speziellen Munition und Wärmebildzieltechnik hoch effektiv sein. Wärmebildtechnik im Übrigen ist auch ein absoluter Zugewinn an Sicherheit: Da sehe ich auch deutlich, ob irgendwo am Feldrand noch ein Spaziergänger unterwegs ist. Die richtige Technik macht das Jagen erfolgreicher und sicherer, das ist wichtig, gerade wenn es um die Jagd in Ortschaften geht. Selbst der Landesbetrieb Forst setzt solche Geräte seit diesem Jahr erfolgreich ein, um den Schwarzwildbestand zu reduzieren. Wäre diese Technik jedem Jäger zugänglich, hätte vielleicht auch der Stahnsdorfer Jagdpächter mehr Strecke und könnte das Problem so in den Griff bekommen. Bundesländer wie Bayern oder Baden-Württemberg erteilen diese Genehmigungen für Wärmebildgeräte mittlerweile sehr großzügig.

Das heißt, die Politik ist gefragt, hier mutiger Ausnahmen zu zulassen.
Genau. Aber eben nicht die Bogenjagd. Das klingt nach reinem Aktionismus. Damit soll vermutlich ein Präzedenzfall geschaffen werden und die wissenschaftliche Begleitung soll die Zulassung erleichtern. Das alles lenkt aber nur davon ab, einen wirksamen, sinnvollen Plan zu erstellen, wie man das Problem, zu viele Wildschweine in Stahnsdorf oder anderen Siedlungen, in den Griff bekommt.

Wie sähe so ein Plan aus?
Erstens Ausnahmen für Jäger wie eben beschrieben. Dann frage ich mich: Warum hat Stahnsdorf keinen Stadtjäger? Es könnten Drohnen mit Wärmebildkameras eingesetzt werden, um zu erfahren, wo sich die Tiere abends stadtnah aufhalten. Wildkameras könnte man aufstellen. Das gibt es alles schon, wird erfolgreich bundesweit praktiziert, man muss es nur hier anwenden. Ein Stadtjäger muss außerdem schnell erreichbar und einsatzbereit sein. Da muss man über eine Zusammenarbeit mit der kommunalen Ordnungsbehörde nachdenken. Aber ganz wichtig ist vor allem die Prävention.

Sie meinen, dass die Tiere gar nicht erst in die Ortschaften kommen?
Ja. Es müssten endlich empfindliche Geldstrafen her für Leute, die die Tiere füttern.

Was genau fällt denn alles unter den Begriff „Tiere füttern“?
Dazu gehört die illegale Entsorgung von Gartenabfällen im Wald. Frisch gemähtes Gras oder Fallobst ist für die Schweine eine Leckerei. Dann müssen Gartengrundstücke wildsicher eingezäunt sein. Weiterhin müsste die Kommune im Spätsommer zügig die ganzen leckeren Eicheln und Kastanien entsorgen. Das alles zieht die Tiere an.

Andererseits heißt es, wenn der Sommer wieder so trocken wird, gibt es gar nicht so viele Schweine.
Ja, das kann sein, in trockenen Sommern verhungern die Jungtiere. Aber die verbliebenen kommen noch stärker an die Orte heran und suchen alternative Futterquellen. Die Jagdbehörde könnte deshalb sogar wegen Dürre eine Notzeit verfügen und Futterstellen im Wald einrichten. In einem bestimmten Umkreis ist die Jagd verboten, um die Tierarten zu schützen.

Das klingt nach sehr viel Aufwand für einen Stadtjäger.
In der Tat muss man da auch mal über eine Aufwandsentschädigung für den Stadtjäger nachdenken. Auch Bogenschützen, mal ganz hypothetisch, müssten ja bezahlt werden. Ich denke, die Politik ist gefragt, hier alle Spielräume auszunutzen. Beim Wolf gibt es ja bereits sogenannte professionelle Entnahmeteams. Die brauchen wir auch für Wildschweine. Ausgewählte, eigens geschulte Jäger ausgerüstet mit entsprechenden Genehmigungen und Werkzeugen können das Problem kurzfristig in den Griff bekommen. Zurzeit ist es eher ruhig, aber im August, spätestens im September sind die Schweine wieder da.

Das Interview führte Steffi Pyanoe

Philipp Cachée, 36, ist Sachverständiger für forensische Ballistik mit einem Büro in Berlin und selbst Jäger. Sein Revier liegt in Potsdam-Mittelmark, angrenzend an eine Ortschaft.
Philipp Cachée, 36, ist Sachverständiger für forensische Ballistik mit einem Büro in Berlin und selbst Jäger. Sein Revier liegt in Potsdam-Mittelmark, angrenzend an eine Ortschaft.
© Maria Parussel

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