zum Hauptinhalt
Bei Lia Rodrigues' Stück "Formas Breves" kommt auch Klebeband zum Einsatz.
© promo/Sammi Landweer

Potsdamer Tanztage: Zwei Ideenwelten aus drei Koffern

Die brasilianische Choreografin Lia Rodrigues präsentiert eine Neubearbeitung von "Formas Breves" bei den Potsdamer Tanztagen. Sie ist zum ersten Mal seit zehn Jahren hier zu sehen.

Von Helena Davenport

Zur Zeit des Bauhauses sei man frei gewesen, sagt Lia Rodrigues. Frei in der Fantasie, fügt die brasilianische Choreografin hinzu. Heute habe man die Möglichkeit, alles zu wissen, der Stellenwert der Imagination habe sich verringert. Bei ihrem Stück „Formas Breves“, das sie in neubearbeiteter Form zum ersten Mal während der Tanztage auf die Bühne bringt, spielt die Imagination hingegen eine große Rolle. Es ist Oskar Schlemmer, dem Mitbegründer des Bauhauses, gewidmet, aber auch dem italienischen Schriftsteller Italo Calvino. Sie treffen sich – außerhalb von Raum und Zeit – in Rodrigues’ Stück. Wie ist das möglich? Auf die Frage, was die beiden gemeinsam gehabt hätten, antwortet Rodrigues mit einem feinen Lächeln: „Wahrscheinlich gar nichts“.

Ein Treffen, das gar nicht möglich ist

2002 erhält die zierliche Frau mit den dunklen Locken den Auftrag, eine Hommage an Schlemmer zu konzipieren. „Ich wusste nur wenig über ihn, es war sehr weit weg von meiner Kultur“, erinnert sie sich. Zu seinen Ideen und seiner Formsprache findet sie in Paris. Sie kopiert Abbildungen aus einem Katalog und zeigt diese ihren drei Tänzern in Form von Spielkarten. Sie sollen die Figuren des Bauhäuslers durch ihre Körpersprache nachformen. Zurück in Rio de Janeiro erhält Rodrigues einen weiteren Auftrag: eine Hommage an Calvino. Seine unter dem Buchtitel „Sechs Vorschläge für das nächste Jahrtausend“ versammelten Vorlesungen über Tugenden von literarischen Werken sollen im Zentrum stehen.

Rodrigues entschied sich, beide Hommagen zu einer zu verweben. „Wir haben die beiden gezwungen, sich zu treffen“, sagt sie. Und was passiert bei ihrem Meeting? „Ich denke, Schlemmer und Calvino fragen sich auch: Was machen wir hier?“, entgegnet Rodrigues. Was auf der Bühne zu sehen ist, gleicht einer Installation: Die Tänzer nehmen – auch mithilfe von Klebeband – eine Form nach der anderen ein. Um sie herum liegen die Spielkarten. Zu den Kurzformen, die titelgebend waren, hat sie Calvino inspiriert. Viele Hilfsmittel braucht die Brasilianerin nicht, alles muss in drei Koffer passen, sagt sie: „Ich habe etwas, das raffinierter ist als alles andere, nämlich menschliche Körper.“ Diese versuche sie, in gutem Zustand zu halten, alles andere müsse schlicht sein.

Die tiefe Verbindung zu Potsdam

Für die Fassung, die in Potsdam zu sehen ist, hat sie nur minimale Änderungen vorgenommen. Zu der Stadt hat sie einen ganz besonderen Bezug. Sie liebe es, hierher zu kommen. 2002 war sie in Europa noch eine Unbekannte, hatte einige Tanzhäuser angeschrieben, aber ausgerechnet die fabrik lud sie ein, in die Stadt ihrer Urgroßmutter. Sie habe es noch nicht geschafft, Spuren nachzugehen, aber bei Spaziergängen stelle sie sich oft vor, wie ihre Urahnin in Potsdam gelebt haben muss. So wie das Publikum sich die Vereinigung von Schlemmer und Calvino ausmalen kann, von zwei Personen aus zwei Zeitabschnitten, der eine aus Deutschland, der andere Italiener. Rodrigues sagt: „Es ist eine Aufgabe für unsere Imagination – ein Treffen, das gar nicht möglich ist.“ Das sei die wunderbare Freiheit der Kunst. (15. Mai, 19.30 Uhr und 16. Mai, 20.45 Uhr, fabrik, Karten ab 20 Euro)

Zur Startseite