Lit:potsdam 2021: Zum Auftakt die Frage nach dem Ich
Das Literaturfestival Lit:potsdam wurde live im Garten der Villa Quandt von Sharon Dodua Otoo und Mithu Sanyal eröffnet – mit Witz und der Frage nach der Herkunft.
Potsdam - Lachen kann Ventil für Wut und Ratlosigkeit sein, aber auch einfach für Freude. Im luftigen Garten der Villa Quandt wurde am Dienstagabend viel gelacht, und in dem Gelächter steckte von allem etwas. Es war eine Eröffnung zu begehen: Das Literaturfestival Lit:potsdam feierte, nach dem Appetizer der Fachkonferenz im Garten der Villa Schöningen, den Auftakt seiner 9. Ausgabe.
Aber natürlich feierte man vor allem die Tatsache, dass man hier überhaupt wieder zusammensitzen konnte. Nur getestet oder geimpft und nur mit Maske, aber: live unterm Frühsommerhimmel. Man feierte die Literatur, den Sommer, aber auch das Durchhaltevermögen. Sich selbst. Die Festivalmacher:innen hatten keine Option B in der Hinterhand, hatten alles darauf gesetzt, vor Publikum auftreten zu können. Analog oder gar nicht, das hatte Kuratorin Karin Graf als Devise ausgegeben.
Geladen waren Sharon Dodua Otoo und Mithu Sanyal
Lachen spielt schon im Vorabgeplänkel der Eröffnungsreden eine Rolle, im Verstolperer von Richard Gaul, dem Vorsitzenden vom Verein lit:pots. Gaul vertut sich bei einem Namen der Geladenen und kommt von da zu den Beschränkungen des Alten weißen Mannes, als der er sich selbst beschreibt. Damit ist man schon beim wichtigsten Thema des Abends: Wer spricht in der deutschsprachigen Literatur über wen – und warum sind das so selten schwarze Menschen oder People of Colour?
Geladen waren Sharon Dodua Otoo und Mithu Sanyal. Beide haben in diesem Frühjahr viel beachtete Romandebüts vorgelegt: Otoo „Adas Raum“ und Sanyal „Identitti“. Beide beschäftigen sich darin mit den vielzitierten „hybriden Identitäten“ von Menschen, deren Ich sich aus mehreren Herkünften zusammensetzt. In beider Schreiben spielt Humor eine Hauptrolle. Und wer die beiden da auf der Bühne sah, vermutete: nicht nur im Schreiben.
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Vier Frauen in vier Jahrhunderten
Otoo erzählt in „Adas Raum“ von vier Frauen in vier Jahrhunderten – oder ist es nur eine? Ada heißt sie jedes Mal, lebt im 15. Jahrhundert in Westafrika, wo Otoos Eltern herkommen, oder im 19. Jahrhundert in England, wo Otoo geboren wurde. Oder im 21. Jahrhundert in Berlin, wo Otoo selbst seit vielen Jahren lebt. Ob diese Frauen schwarz sind oder weiß, man weiß es nicht. Und es spielt auch keine Rolle. Eine Rolle spielt, sagt Otoo: Wie wir sie uns vorstellen.
Man muss in „Adas Raum“ ungemein aufpassen, wer gerade Ich sagt: Es könnte auch ein Reisigbesen, ein Türknauf oder ein Reisepass sein. In Otoos Bachmann-Preis-gekürter Erzählung „Herr Gröttrup setzt sich hin“ war es ein Frühstücksei. Das ist witzig und vor allem lädt es ein, wozu Otoo ausdrücklich ermuntert: Perspektivwechsel.
Im Garten der Villa Quandt appelliert sie angesichts der Rassismus-Debatten, statt gekränkt Vorwürfe von sich zu weisen, die Perspektive derer einzunehmen, die sich rassistisch beleidigt fühlen. „Man sollte auf den Effekt schauen, nicht auf die Intention.“ Dafür bekommt sie Applaus. Und ja, Humor sei ihr Mittel, um damit umzugehen – aber nicht der einzige Weg.
Neuer Trend der "Identitätsliteratur"?
Gegen den Gedanken, einem neuen Trend der „Identitätsliteratur“ anzugehören verwehren sich beide Autorinnen. „Ist das ein Genre? Wusste ich gar nicht“, witzelt Sanyal. Beide sagen: In aller Literatur geht es doch letztlich um die Frage „Wer bin ich?“. In Sanyals Roman „Identititti“ bekommt diese Frage einen markanten Twist. Roman-Professorin Saraswati, eine Person of Colour, ist Expertin für Postcolonial Studies in Düsseldorf – und erweist sich als Lügnerin: Sie ist weiß, hat eigentlich einen deutschen Allerweltsnamen. Ein Tabubruch, aber worin genau besteht der?, fragt Sanyal. In der Annahme einer fremden Identität? Im Ausschlachten dessen für die eigene Karriere?
Pikant wird die Debatte im lauschigen Garten, als Moderatorin Anne-Dore Krohn sich als Jury-Mitglied der Leipziger Buchmesse outet. Da knistert kurz die Luft. Als die Jury im April eine Liste der Nominierten veröffentlichte, war darunter keine einzige Person of Colour. Auch Sanyal und Otoo nicht, obwohl beide vielbesprochene, viel gelobte Romane geschrieben hatten, Krohn zufolge „die besten dieses Frühjahrs“. Gern hätte man die Jurorin dazu gehört. Die aber bittet wieder die Autorinnen zu Wort und überlässt das Podium den Ideen, wie es künftig diverser werden kann im Literaturbetrieb.
Eine Quote ist kein Allheilmittel, aber ein Anfang, das finden beide. Und warum nicht ein nächster Bachmann-Wettbewerb nur mit schwarzen Autor:innen vor einer Jury nur mit People of Colour? Nicht weil schwarze Autor:innen automatisch besser als weiße wären, sondern weil man einfach mehr kennen sollte. Die zwei Autorinnen auf dem Podium sind sich einig: Let’s do it. Und sie lachen.