Ahmad Mansours "Generation Allah" und das "Manifest der IS-Kämpferinnen": Zuflucht im Totalitären
Der Islamismus-Experte Ahmad Mansour fordert in seinem neuen Buch ein Umdenken im Umgang mit den Extremisten. Eine Rezension
In islamistisch rosaroten Farben sieht das Leben einer Frau so aus: Sie unterwirft sich ihrem Ehemann, bekommt viele Kinder und konzentriert sich auf Heim und Herd. Der Islam überlasse dem Mann die Führung, die Frau habe die „Ehre der Durchführung“, heißt es im Manifest einer Frauen-Brigade des „Islamischen Staates“ (IS). Inzwischen ist der Text auch auf Deutsch erschienen, versehen mit einem Kommentar der islamischen Theologin Hamideh Mohagheghi aus Paderborn.
Sie gibt die Verantwortung für ihr Leben ab
Geldverdienen ist beim IS Sache der Männer. Wenn Frauen eine Ausbildung machen, studieren und danach arbeiten, dann nur „notgedrungen, um der Gesellschaft außerhalb des Hauses zu dienen“ und nur an maximal drei Tagen in der Woche. Mit neun Jahren werden Mädchen verheiratet und ihrer wahren Bestimmung zugeführt – „bevor sie manipuliert werden“ durch andere als ihre Väter und Ehemänner.
Das krude Frauen-Manifest wurde von einer Gruppe französischer und britischer „Sittenwächterinnen“ verfasst, die in Raqqa, der „Hauptstadt“ des IS, unislamisches Verhalten sanktionieren, vermuten Experten vom International Centre for the Study of Radicalisation am Londoner King’s College. Die IS-Frauen rechnen mit allen gesellschaftlichen Errungenschaften ab, die westliche Feministinnen in den vergangenen 30 Jahren erkämpft haben. Gerade dadurch wollen sie andere Europäerinnen zur Ausreise nach Raqqa motivieren.
Kaum zu glauben, dass junge Frauen in Berlin oder Paris die Aussicht auf ein Leben als mundtote Befehlsempfängerin attraktiv finden. Doch für die 19-jährige Helena aus Bremen ist genau das die Erfüllung ihrer Träume. Ihr Vater verließ die Mutter, als sie fünf Jahre alt war. Ihre Kindheit war geprägt von der Angst, im Stich gelassen zu werden. Über eine Freundin gerät Helena in eine strenggläubige islamische Familie – und ist begeistert von den klaren Regeln und von der Bedeutung, die der Familie beigemessen wird. Sie tritt zum Islam über, die Gemeinde sucht ihr einen Mann aus, in den sie sich sogar verliebt.
Dass er ihr Vorschriften macht, etwa dass sie eine Burka zu tragen habe, empfindet die junge Frau nicht als Zumutung, sondern „als nehme er ihr eine tonnenschwere Last ab“. Sie gibt die Verantwortung für ihr Leben ab und fühlt sich aufgehoben. Denn ihr Mann verpflichtet sich im Gegenzug, ein Leben lang für sie zu sorgen – für Helena ist das die ersehnte Garantie gegen das Verlassenwerden.
Das Schicksal der jungen Frau ist nicht Teil des Frauen-Manifests. Der 39-jährige mehrfach ausgezeichnete Berliner Psychologe und Islamismus-Experte Ahmad Mansour beschreibt ihren Weg. In seinem Buch „Generation Allah“ zeichnet er auf beklemmende wie nachvollziehbare Weise nach, wie die junge Frau in das totalitäre Denksystem hineinrutscht – bis sie es sogar als „gottgewollt“ akzeptiert, dass sich ihr Mann eine Zweitfrau nimmt.
Mansour und seine Kollegen von der Beratungsstelle Hayat gehören zu den wenigen Experten in Deutschland, die sich mit den Mechanismen der Radikalisierung auskennen. Seit zehn Jahren diskutiert Mansour in Schulen und Jugendklubs mit Jugendlichen über den Islam, bildet Lehrer und Sozialarbeiter fort und fordert von Politikern, die Bekämpfung von ideologischer Radikalisierung zur Chefsache zu machen.
Die Islam-Verbände sind für Mansour nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems
Es ist ein großer Gewinn, dass Mansour seine Beobachtungen mit hunderten Gesprächen untermauern kann. So stellt er fest, dass bei den 15- bis 25-jährigen Deutschen mit muslimischen Eltern die Religion sehr wichtig für die Identitätsstiftung geworden ist. Die klaren Regeln bieten Orientierung, die Gemeinschaft in der Moschee vermittelt Geborgenheit und Anerkennung. Sie alle hält Mansour für potenziell verführbar durch Hassprediger. Da allerdings liegt die Schwäche des Buches. Denn Mansour lässt die Leser bewusst darüber im Unklaren, wie viele Jugendliche er auf dem Weg in die Radikalisierung sieht. Einerseits schreibt er von einer „breiten Masse“, die mit dem IS sympathisiere, von einer „Strömung innerhalb einer Generation“. Dann wieder ist von Einzelfällen die Rede und davon, dass „die wenigsten Jugendlichen, die sich zum Islam bekennen, radikal sind oder auf dem Weg in den Radikalismus“.
Seine Forderungen sind klar: Statt nach Anschlägen in blinden Aktionismus zu verfallen, brauche es eine durchdachte, flächendeckende und auf Langfristigkeit angelegte Präventionsarbeit – angeleitet und kontrolliert durch einen Präventionsbeauftragten in der Bundesregierung.
Die Islam-Verbände sind für Mansour nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems. Er wirft ihnen vor, in ihren Moscheen werde immer noch ein rückständiger „Buchstabenglauben“ vermittelt und Jugendliche durch einen Höllenglauben und „Angstpädagogik“ unmündig gehalten. Mansour hat sich dem kürzlich gegründeten liberalen „Muslimischen Forum Deutschland“ angeschlossen. Konservativen Theologen, die für eine behutsame Reform des Islam eintreten, steht er skeptisch gegenüber. Er wirft ihnen wie auch den Islam-Verbänden vor, sich vor der Auseinandersetzung mit den Fundamentalisten in den eigenen Reihen zu drücken.
Hamideh Mohagheghi dürfte seine Sicht bestätigen. In ihrem Kommentar zum Manifest der IS-Frauen-Brigade geht die Theologin leider kaum auf die theologischen Hintergründe des kruden Weltbilds ein. Es wäre interessant zu erfahren, aus welchen theologischen Quellen es sich speist und wer die Vordenker sind. Auf Mohagheghis mehrmals wiederholte Schlussfolgerung, das im Manifest gepriesene „einfache Leben“ stehe im Widerspruch zur modernen Technik, derer sich der IS bedient, wäre man auch selbst gekommen.
Ahmad Mansour: Generation Allah. Warum wir im Kampf gegen religiösen Extremismus umdenken müssen. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2015. 271 Seiten, 19,99 Euro.
Frauen für den Dschihad. Das Manifest der IS-Kämpferinnen. Kommentiert von Hamideh Mohagheghi. Herder Verlag, Freiburg 2015. 144 Seiten, 14,99 Euro.
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