So war das Q3Ambientfest: Wo Edelstahlschüsseln zu Kirchturmglocken werden
Sebastian und Daniel Selke feiern einen experimentellen, aber einsamen Geburtstag ihres Q3Ambientfests - im Livestream aus der fabrik Potsdam.
Potsdam - Musik in einer Pandemie ist ein Versprechen der Einsamkeit. Statt hinaus in die Nacht zu ziehen, klappte man in der heimischen Küche den Laptop auf: Samstagabend bei YouTube, experimentelle Musik wurde von den Veranstaltern Sebastian und Daniel Selke versprochen, die nicht nur sympathisch durch den Stream in feinstem Denglisch moderieren, sondern auch selbst in Tasten und Saiten greifen werden. Ein Versprechen, das gehalten wurde.
Im Klammergriff der Erwartung
Das Festival lief von Freitag bis Sonntag. Am Samstag gab es zunächst Einblicke ins Wohnzimmer von Grand River, hinter dem sich die Musikerin Aimée Portioli verbirgt: minimalistischer Ikea-Elektro, die Kamera blickt regungslos über ihre Schulter und hält den Beobachter im Klammergriff der Erwartungshaltung. Die Musik baut sich schwebend und sphärisch auf – und bricht leider ziemlich abrupt ab.
Abgelöst wurde sie durch Resina: Die polnische Cellistin und Komponistin donnerte eine derart gruselige Atmosphäre ins vernebelte Gegenlicht, dass einem ganz bange wurde. Erbarmungslos kroch die Angst tentakelig aus dem Instrument, sodass man sich fröstelnd am Küchentisch festkrallte. Ganz schön creepy!
Überall knarzt und wabert es
Laure Boer knüpft nach einer quälend langen Pause nahtlos an, nur wesentlich ungruseliger als die Vorgängerin. Die Berliner Künstlerin reichert ihre Loopings mit Geräuschen an, singt etwa in antike Telefonhörer, kratzt mit einem Violinenbogen über Saiten, überall knarzt und wabert es, eine Edelstahlschüssel schleicht sich als Kirchturmglocke ein. Sehr experimentell, verwirrend – und ganz ohne Applaus klingt das Konzert schließlich aus. Wie ungerecht.
Ganz zum Schluss noch mal die Brüder Selke am Flügel und am Cello, überschattet von der Sehnsucht, live dabei zu sein: zarte, traurige Kompositionen, passend zum einsamen 5. Geburtstag des Festivals. Was bleibt, ist die Hoffnung darauf, dass der Spuk im kommenden Jahr vorüber ist: Dauerhaft lässt sich Livemusik einfach nicht ins Homeoffice verbannen.
Oliver Dietrich