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Regisseurin Annekatrin Hendel.
© Gregor Fischer/dpa

Interview mit Annekatrin Hendel: „Wo bleibt dabei die Lebensgier?“

Regisseurin Annekatrin Hendel spricht über ihren Film „Schönheit und Vergänglichkeit“, den sie im Potsdamer Thalia-Kino vorstellt, über Ost-Frauen und Freiheit.

Von Helena Davenport

Frau Hendel, wieso „Schönheit und Vergänglichkeit“?
 

Sven Marquardt ist ja Dozent an der berühmten Ostkreuzschule für Fotografie. Und ich habe ihn getroffen, als er gerade sein Thema für die Studenten gefunden hatte: „Schönheit und Vergänglichkeit“. Er überraschte mich damit, dass er selbst auch zu dem Thema fotografisch arbeiten wollte. Und damit, dass er Dome, sein Modell aus Ostzeiten, fotografieren wollte. Da habe ich gedacht: Das will ich unbedingt drehen. Wie Sven Marquardt nach mehr als dreißig Jahren wieder mit Dome, die im Osten eines seiner wichtigsten Foto-Modelle war, zusammenarbeitet. Auch ich hatte die „Marilyn des New Wave“, wie sie einst genannt wurde, über 30 Jahre lang nicht gesehen. Ich war total neugierig.

Robert Paris ist der Dritte im Bunde.

Er kam erst später dazu, zufällig. Er, der früher auch Fotomodell bei Sven Marquardt war, hat in Domes Wohnung die vergänglichen Fenster repariert und dann war das Trio für diesen Film auf einmal komplett. Der Film erzählt also von diesen drei Freunden mit einem gemeinsamen Start, deren Werdegang geprägt ist von ihrem künstlerischen Blick auf die Welt, von Radikalität und Offenheit. Und von der unbedingten Sehnsucht nach Individualität und Rebellion, aber auch vom Älterwerden, von Liebe und Freundschaft in zwei deutschen Werte-Systemen. Mich beschäftigt schon lange die Frage: Wo stehen wir eigentlich heute? Mit „wir“ meine ich die letzte Erwachsenen-Generation der DDR, die im Prenzlauer Berg ihr Unwesen trieb, als sie jung war. Deren Wege dann nach der Wende sehr stark auseinander gegangen sind.

Sie haben früher zusammen Mode gemacht. Welche Bedeutung hatte Mode zu jener Zeit?

Uns prägte ein Lebensgefühl, das den Prenzlauer Berg bis heute legendär macht. In den frühen 80er Jahren gab es junge Menschen wie Dome, Robert und Sven, eingebunden in einen großen hermetischen Freundeskreis, dem langweilig war, der besonders sein, der auffallen wollte. Sie haben wie Punks zu dieser Zeit überall auf der Welt gegen alles Mögliche aufgemuckt. Speziell in diesem Kreis waren die Ausdrucksmittel Mode und Fotografie. Es gab einfach keine coolen Klamotten im Osten. Die mussten dann selber gemacht und in Szene gesetzt werden. Dann sind sie auf den Trichter gekommen, dass man in dieser Mangelgesellschaft das Zeug auch verkaufen könnte. Marktlücken gab es ohne Ende. Auf Schwarzmärkten wurden ihnen die Sachen – Jacken, T-Shirts und Schmuck – aus den Händen gerissen. Auch ich hatte eine gut laufende Produktionsstrecke mit Jacken. Und viele haben nie mehr so viel Geld verdient wie damals. Das war nicht Modedesign im üblichen Sinn, das war erst mal reines Geldverdienen.

Im Film wiedervereint: Dominique Hollenstein und Sven Marquardt.
Im Film wiedervereint: Dominique Hollenstein und Sven Marquardt.
© Filmstill: itworks

Im Film werden auch Bilder von Modeschauen eingeblendet.

Wir hatten uns in verschiedenen Trupps überlegt, unser Geld zu investieren und Shows zu machen. Die Frauen waren die Zugpferde, aber die Männer haben auch mitgenäht und sind auch gelaufen. Die Modenschauen wurden nach und nach immer opulenter, Bands wurden eingebunden. Die Klamotten wurden immer besser. Ich war da nicht so begabt und habe mich dann rasch ins Theater zurückgezogen. Aber es gab natürlich welche, die sich als besondere Talente herauskristallisiert haben. Dome beispielsweise. Die tollste und bedeutendste Modetruppe war „CCD – Chic, Charmant und Dauerhaft“. Daraus wurde eine größere Formation namens „Allerleirauh“. Mehr Leute, mehr Klamotten, die in der Herstellung immer aufwendiger, fantasievoller und kostbarer wurden. Die Shows haben mehr und mehr große Hallen gefüllt. Dann wurde daraus „Rauhensee“ und Ende der 80er „Rauhwerk“. Mindestens 150 Leute und Musiker machten mit. Das war eine ganz erstaunliche Entwicklung über maximal sechs Jahre. Dome und Robert waren Teil davon und Sven hat unabhängig davon die Leute fotografiert. Seine Fotografien waren sensationell und werden auf Auktionen heute zu Höchstpreisen versteigert.

Wie war es denn möglich, solche Riesenevents auf die Beine zu stellen? Gab es da niemanden, der gesagt hat: Das geht so aber nicht?

Irgendwie wurde sowohl der Verkauf der Klamotten geduldet und irgendwie auch die Shows. Natürlich war die gesamte Organisation immer mit Schwierigkeiten verbunden. Aber jetzt – wenn du ein riesiges Event machst – ist das ja auch aufwendig und schwer zu realisieren. Damals war es schwer, an den Ost-Entscheidern vorbei Räume zu finden, heute hängt alles am Geld. Vielleicht verklärt man solche Sachen auch, aber ich kann mich nicht daran erinnern, dass ein Vorhaben gescheitert ist. Nicht ohne Grund hat sich 1990 der junge Jean Paul Gaultier dafür interessiert. Die Sicht, mit der die Medien oft auf die Zeit im Osten schauen, stimmt mit dem, was ich gelebt und gesehen habe, nicht überein. Diese DDR kenne ich gar nicht. Wobei es mir hier gar nicht um die Vergangenheit geht. Die erzählt sich automatisch nebenher. Mir geht es eher um die Frage, ob und wie man überhaupt Eigenständigkeit und Selbstbestimmtheit leben kann, in der Vergangenheit, aber auch im Heute. Man kann auch heute sehr konform sein, vor seinen Chefs buckeln und seine Kollegen mobben und denunzierten. Man kann genau das aber auch nicht tun. Heute wie früher.

Annekatrin Hendel.
Annekatrin Hendel.
© Martin Farkas /promo

Gibt es etwas, was Sie aus der Zeit vermissen?

Die 80er waren natürlich unsere Jugendzeit. Und das wir seit 30 Jahren einen Migrationshintergrund im eigenen Land haben, ist irgendwie komisch. Aber der Systemwechsel lässt mich eine Sache wirklich vermissen: Eine bestimmte Art Freiheit. Ohne soziales Risiko das zu machen, was man will. Das ging im Osten gut, weil eben das Geld keine Rolle gespielt hat. Das ist eine Freiheit, die man sich heute nicht mehr vorstellen kann. Dass es egal ist, ob man Geld verdient oder wie viel man verdient, weil die Drei-Zimmer-Wohnung 60 Mark kostet. Dass es deshalb auch egal ist, ob man nach den Maßstäben der anderen funktioniert oder eben nicht. Wenn man heute nicht funktioniert, fliegt man raus aus dem System, muss unter der Brücke pennen. Ist man eben selber Schuld. Unsere Gesellschaft heute hält Versager selten aus. Daran habe ich mich nach 30 Jahren noch immer nicht gewöhnen können. Und dann vermisse ich Leidenschaft. Gut, das kann auch damit zu tun haben, dass ich jetzt älter bin, aber ich denke da an ein unbekümmertes Aufeinanderzugehen. Sich befreunden, verlieben – das ist schwieriger geworden, glaube ich. Auch die Leidenschaft und das Engagement für Sachen, die nicht am Geld hängen. Über das Wort „Machtmissbrauch“ bezogen auf unsere Jugendzeit muss ich jetzt oft nachdenken. Mir fällt dazu nicht viel ein.

Wie meinen Sie das?

Sicher gab es so etwas immer: Wo Macht ist, gibt es wohl auch Missbrauch. Ich finde das niedlich, dass es heute den Traum von einer Gesellschaft wie der unseren ohne Machtmissbrauch gibt. Unsere Verhältnisse, die große Kluft zwischen Arm und Reich, zwischen vielen Abhängigen und wenigen Unabhängigen verführt aus meiner Sicht geradezu zu Machtmissbrauch. So wird gerade etwas bekämpft, was der Gesellschaft immanent ist. Dafür stellen wir uns immer mehr Regeln auf und erfinden ein Verbot nach dem anderen. Das empfinde ich als sehr unsexy. Wo bleibt dabei die Lebensgier? Die Leidenschaft, das Zufällige, das Ungeplante, das Individuelle? Für mich als Filmproduzentin ist die gähnende Langeweile hier im heutigen Prenzlauer Berg, wo ich mein Büro habe, von Vorteil und gut fürs Geschäft. Ich beklage mich also nicht. Aber als junger Mensch hätte ich diese Atmosphäre, die sich bis in die letzten Winkel der durchsanierten Wohnungen zieht, verachtet. Sie werden doch sicher jetzt schon, wenn Sie 1989 geboren sind, über Ihre Rente nachdenken, oder? Darüber hat von uns doch keiner in ihrem Alter nachgedacht. Was großen Raum gelassen hat für Kreativität, Spaß und Freude.

Woran liegt es, Ihrer Meinung nach, dass es diesen Raum nicht mehr gibt?

Ich weiß gar nicht, ob es den Raum nicht mehr gibt. Man muss ihn sich nehmen, denke ich. Und eben nicht das machen, was vorgegeben ist. Nehmen wir noch einmal meine Generation. Die 90er Jahre waren ein kolossaler Einschnitt für uns alle. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, ist es so, als ob eine Bombe eingeschlagen wäre. Wir haben das damals so nicht empfunden, es wurde viel gefeiert. Aber jemand wie Sven Marquardt musste aufhören zu fotografieren, weil seine Fotos nicht gefragt waren. Die haben das von den neuen Auftraggebern gewünschte Bild der Ostler in Trabis und den Neubaublocks nicht wiedergegeben. Er hat coole Fotos gemacht – die wollte keiner haben, die haben wohl nicht ins vorgeformte Bild über den Osten gepasst. Und dann ist er eben ins Nachtleben abgetaucht.

Er beschreibt im Film, dass es Orte der Vergänglichkeit gab, die ihm Freiheit gegeben haben. Gibt es solche Orte heute noch?

Ich sag mal so: Das Berghain ist ja nicht ohne Grund ein Anziehungspunkt. Das ist eine hergerichtete Ruine – da zieht es jedes Wochenende Tausende aus der ganzen Welt hin. Dass das Morbide und das Abgründige einen Charme besitzen, und dass das Vergängliche auch eine Qualität hat, wissen wir doch. Wenn ich Robert Paris’ Fotografien sehe, staune ich, wie krass und schlimm unser Berlin eigentlich aussah, mit den ganzen Einschusslöchern in den Fassaden. Das sah aus wie direkt nach dem Krieg, aber tatsächlich war der Krieg ja auch nicht so lange her. Und eigentlich befinden wir uns heute doch auch noch immer in der Nachkriegszeit, nur dass die Fassaden glatt sind. Wenn wir die Einschusslöcher noch sehen würden, wäre es vielleicht leichter zu verstehen, dass unsere deutschen Seelen noch oft mit dem verlorenen Krieg zu tun haben. Ohne Quatsch! Fassaden picobello, aber das lullt auch ein und lässt uns unsere Geschichte vergessen.

Sie wohnen in Brandenburg, pendeln nach Berlin. Wie fühlt sich das an? Gibt es da eine Diskrepanz?

Diese Leute, die Erfolg und Gesundheit ausstrahlen, während sie sich um einen Parkplatz prügeln, habe ich jeden Tag um mich, wenn ich in meinem Berliner Büro bin. Am Abend und am Wochenende ziehe ich mich dann lieber nach Brandenburg zurück. Ich ziehe das Spießbürgerliche Leben am Rand von Berlin vor. Das ist mit Garten und ich sehe nicht mehr so viele Leute, die sich gegenseitig mit schlechter Laune und Yogamatte auf dem Gepäckträger mit ihren teuren Fahrradkarren versuchen zu überholen.

Robert Paris kommt im Film vor, auch über seine Mutter, Helga Paris, wird gesprochen. Die Fotografie steht in Ihrem Film im Zentrum. War das so geplant?

Für mich ist es ganz wichtig gewesen, diese beiden tollen Fotografen, Sven und Robert, die ja Freunde waren, zu zeigen. Das sind zwei Ausnahmekünstler. Der eine hat nur zeitweilig sein Handwerk hingelegt und damit auch seine Kunst. Robert hat es bis heute niedergelegt. Ich finde aber die Fotografien von Robert Paris, die er von diesem 80er-Jahre-Berlin gemacht hat, wirklich meisterhaft. Und die Fotografien von Sven Marquardt aus den 80ern haben mich damals schon betört. Wenn man es nicht daneben schreiben würde, würde man möglicherweise gar nicht sehen, dass sie aus den 80er Jahren sind. Ich finde auch Marquardts heutigen Weg außerordentlich. Als ich 2015 mit dem Film begonnen habe, war das noch überhaupt nicht absehbar, dass er so erfolgreich werden würde. Kunst interessiert mich und ich mache meist Filme über Künstler. Ich hätte ja auch einen Film über einen Bauarbeiter und eine Gärtnerin drehen können – gern hätte ich das gemacht, aber das ist nicht meine Welt. Da kenne ich mich nicht aus.

Es werden auch Rollenbilder von Frau und Mann thematisiert. War das auch ein Ziel?

Das beschäftigt uns ja heute gerade wieder viel. Ich finde es interessant, wie Sven das heutige Frausein im Film beschreibt. Das ist natürlich sehr subjektiv, aber besser kann man das eigentlich gar nicht machen. Und Dome als lebendiges Beispiel verkörpert das sichtbar. Da erzählt sich viel von selbst. Man sieht eine Frau, die Mitte 50 ist, und die all das hat, was die Ostfrauen ausmachte, die ich toll fand.

Was ist denn, Ihrer Meinung nach, an Dome so besonders?

Die Frauen, die damals in dieser Modeszene mitgewirkt haben, haben alles gemacht. Sie wurden früh Mütter – wobei Dome aus Gründen, die sie im Film formuliert, selbst keine ist –, sie haben künstlerisch ihr Ding gemacht, sie waren frech, haben geliebt, gelacht, haben sich aber auch trennen können, wenn sie genug hatten. Die DDR hatte eine der höchsten Scheidungsraten der Welt, Trennungen wurden meist ausgelöst von Frauen. Und die Frauen haben sich generell nicht als Opfer gefühlt. Aber das ist nur ein Aspekt. Es ist sehr komplex.

Wieso sind Ost und West noch immer so weit entfernt voneinander?

Ich finde das überhaupt nicht schlimm, dass das voneinander weit entfernt ist. Ich finde es angemessen. Das hat doch damit zu tun, dass die Teilung Deutschlands ein Ergebnis des Zweiten Weltkriegs war. Es gab vierzig Jahre lang eine jeweils andere Entwicklung in beiden Teilen. Das eine Deutschland wurde, plakativ gesagt, von den Amerikanern geprägt, und das andere von der Sowjetunion. So ist meine Generation, die nach dem Mauerbau geboren wurde, in einem osteuropäisch geprägten Land groß geworden. Die BRD wurde unterstützt und die DDR musste für den Krieg an die Russen blechen. Das sind völlig andere Voraussetzungen und dass sich unter diesen Voraussetzungen die Menschen unterschiedlich entwickeln, ist doch völlig klar. Das ist jetzt natürlich sehr verkürzt dargestellt.

Ist es denn falsch, dass gewisse Bilder von der DDR, wie etwas aus „Good Bye, Lenin!“, so populär geworden sind?

Nein, das ist nicht falsch, aber es ist nur eine Facette, die gesehen wird, als wäre es die einzig mögliche Lebensweise in der DDR gewesen: sich unterbuttern zu lassen und unbedingt in den Westen zu wollen. Es wollten viele in den Westen, aber die meisten sind ja hiergeblieben. Das wird vollkommen vergessen. Ich bin aus Wut darüber vor 15 Jahren zum Filmemacher geworden.

Wie kann man es trotzdem erreichen, dass beide Seiten wieder etwas miteinander zu tun haben wollen?

Viele wollen das ja. Ich selbst lebe mit einem Mann der aus dem Westen kommt. Auch wir merken jeden Tag, dass wir aus ganz unterschiedlichen Kulturkreisen kommen. Vielleicht wäre es gut, diese Unterschiede einfach erst einmal ernst zu nehmen. Dann entstehen ganz klare Fragestellungen. Um die kann man sich dann kümmern. Es ist ja auch wirklich schon einiges passiert, finde ich. Aber es ist auch viel nicht passiert. Die Chefs der blauen Partei machen es uns vor, die interessieren sich ordentlich für die Ostler. Und man sieht also: Es funktioniert, da wächst einiges zusammen. Leider.

>>„Schönheit und Vergänglichkeit“, Filmgespräch im Babelsberger Thalia, am heutigen Freitag, 6. Dezember um 20 Uhr

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