Theaterfestival Unidram in Potsdam: Widerstand der Körper
Theater mit politischem Auftrag: Das Theaterfestival Unidram zeigt am Mittwoch und Donnerstag „Gritos (Schreie)“ der brasilianischen Theaterkompanie Dos à Deux.
Potsdam - Körper wandeln über die Bühne, tasten sich langsam in verschiedenen Bewegungsmustern vor. Mal sind sie nackt, mal präsentieren sie sich in eleganter Robe. Sind als zweiköpfiger Mensch Frau und Mann zugleich. Oder verlieren ihr Haupt, können es mit dem restlichen Körper nicht mehr zu einer Einheit führen, manchmal sogar getrennt durch eine Mauer.
Ein wundersames Spiel der Körper, traumartig und absurd zugleich, zeigen die beiden Schauspieler Artur Ribeiro und André Curti von der brasilianischen Theaterkompanie Dos à Deux. Ihr Stück „Gritos“, was übersetzt so viel heißt wie Schreie, ist Mittwoch und Donnerstag im Rahmen des 26. Internationalen Theaterfestivals Unidram in der fabrik zu sehen.
Viele Fälle von Gewalt gegen Homosexuelle und Transsexuelle
In ihrem in drei Abschnitte geteilten Stück verhelfen sie dem sonst unsichtbaren, verborgenen Wesenskern eines Menschen zum Ans-Licht-Kommen. Sein eigentliches Ich darf er ansonsten nicht zeigen. Er erfährt von der Gesellschaft Verachtung und Ausgrenzung. Das Stück ist von brisanter Aktualität – und in Brasilien inzwischen verboten. Seit Jahren zählt Brasilien viele Fälle von Gewalt gegen Homosexuelle und Transsexuelle. „Es ist uns sehr wichtig, darüber zu sprechen“, sagt Ribeiro.
Seit dem Amtsantritt des rechtskonservativen Präsidenten Jair Bolsonaro Anfang des Jahres hat sich die Situation weiter verschärft. Hinzu kommt der Umgang mit den Waldbränden im Amazonas. Projekten im Kulturbereich droht die Zensur. Sie hätten nie gedacht, dass es so weit kommen würde, sagt der 50-jährige Curti. „Unsere Rolle ist es nun, zu kämpfen, die Dinge zu verändern.“ Die Kunst habe die große Aufgabe, all das zur Sprache zu bringen, sagt der 48-jährige Ribeiro. Trotz Verbot wollen sie ihr Stück weiterhin aufführen.
Ein altes Haus wollen sie in einen Ort des Widerstands verwandeln
Etwa 25 Jahre haben die beiden in Frankreich gelebt, studierten dort Tanz und Theater und etablierten sich anschließend in der französischen Theaterszene, bevor sie 2015 in ihr Heimatland Brasilien zurückgekehrt sind. Dort fanden sie ein brasilianisches Theater, das ihr Stück „Gritos“, das 2016 entstanden ist, finanzierte. Außerdem kauften sie in Rio de Janeiro ein großes, altes Haus, das sie nun in einen Ort des Widerstands für Künstler verwandeln wollen. Obwohl das Leben in Frankreich einfacher sei, hätten sie irgendwann gespürt, dass sie in ihr Heimatland zurückkehren müssen, um dort in den Widerstand zu gehen, meint Ribeiro. Keine einfache Aufgabe: Mehrere Institutionen, mit denen sie zuvor zusammenarbeiteten, sagten ihnen für weitere Projekte aus Furcht vor Sanktionen ab.
Ihr Stück, mit dem sie weltweit auf Tour gehen, steht aber auch in zahlreichen anderen Ländern in direktem Bezug zur politischen Lage. Immer mehr Menschen wählen rechte Parteien, hätten zunehmend Angst vor dem Anderen, meint Ribeiro. In ihrem Stück haben sie dafür eine anschauliche Metapher gefunden: Ein losgelöster Kopf im Käfig zeigt den Menschen, der den Bezug zur Realität verloren hat. An anderer Stelle ist ein zitternder Kopf nur über einen Holzstuhl mit seinen Händen verbunden. Ein groteskes Bild.
Die Ausdruckskraft des Körpers lassen sie für sich sprechen
Seit der Gründung ihrer Theaterkompanie 1998 in Paris richten sie mit ihren Inszenierungen den Fokus auf den Körper und dessen Ausdruckskraft, verzichten weitestgehend auf Sprache. Ihr Schauspiel bezeichnen sie als „Theater der Gesten“. Die beiden brasilianischen Künstler arbeiten dafür auch mit Marionetten, die so groß wie Menschen sind. Sie selbst bewegen sich dadurch vor allem im Hintergrund der Puppen. „Es ist eine Metamorphose von zwei Körpern“, erklärt Ribeiro.
Die beiden Brasilianer bedienen sich bei ihrem Spiel der ganzen Palette an Ausdrucksformen, verbinden Elemente aus Schauspiel und Tanz. Alles vermische sich, erklären sie. Ihr Stück lasse somit viele Deutungen zu, sagt Ribeiro. Und gebe „die Freiheit, Zugang zu seiner eigenen Geschichte zu finden.“
„Gritos“ ist am Mittwoch um 19 Uhr und am Donnerstag um 20.15 Uhr in der fabrik, Schiffbauergasse 10, zu sehen.