Ta-Nehisi Coates' Roman "Zwischen mir und der Welt": Was es heißt, in den USA schwarz zu sein
Er ist im Jahr der Proteste zur intellektuellen Stimme der Afro-Amerikaner geworden. Ta-Nehisi Coates' Buch ist eine brutale Offenlegung. Eine Rezension.
„Und eines Morgens unterwegs in den Wäldern stieß ich auf einmal darauf“, lauten die ersten Worte eines Gedichts des afro-amerikanischen Schriftstellers Richard Wright aus dem Sommer 1935. Worauf er stößt, das sind die verbrannten Überreste eines unbekannten Mannes. In erster Person lässt Wright in seinem Gedicht „Between the World and Me“ die Details eines Lynchmords an einem Schwarzen erleben: „ein verlassener Schuh“, „der Geruch von Benzin“, „der Gin wanderte von Mund zu Mund“, „meine Haut haftete am blubbernden heißen Teer“. Am Schluss ist Wright eins mit dem Opfer geworden, „nun bin ich trockene Knochen und mein Gesicht ein steinerner Schädel“.
Die Angst hat Ta-Nehisi Coates sein Leben lang begleitet
Wright wurde 1908 auf einer Plantage in Mississippi geboren und hat dort den Terror des Ku-Klux-Klan erlebt. Er selbst ist entkommen. Doch sein Gedicht vermittelt eine tiefere Wahrheit: Es hätten auch Wrights Überreste sein können, die da auf dem Waldboden liegen. Jeder Afro-Amerikaner spürt die Gräuel des Lynchens an und in sich. Und die mörderische Geschichte lebt als Angst in den Körper von Schwarzen fort. Sie hat Ta-Nehisi Coates sein Leben lang begleitet.
2015, in einem Jahr des Protests und der Unruhen gegen rassistische Gewalt, nimmt der afro-amerikanische Kulturkritiker und Schriftsteller Coates seine Leser mit auf eine Reise der Angst. Sie führt vom Ghetto der frühen 70er Jahre in West-Baltimore über eine Studentenzeit im schwarzen Washington („Chocolate City“) bis in die rauen Straßen von New York. Nach der Lektüre kann man erahnen, was es bedeutet, als Schwarzer in den Vereinigten Staaten zu leben. Coates‘ Buch „Between the World and Me“ ist eine brutale Offenlegung geworden.
Im Sommer 2014 erschoss in Ferguson, Missouri, der weiße Polizist Darren Wilson den schwarzen Teenager Michael Brown. Auf Staten Island starb der Afro-Americaner Eric Garner im Würgegriff eines Polizisten, Renisha McBride wurde in Detroit von einem Hausbesitzer niedergeschossen, als sie um Hilfe suchte, der zwölfjährige Tamir Rice starb in Cleveland mit einer Spielzeugpistole in der Hand. Die Liste der Namen ist lang. „Zu viele Namen“, schreibt Coates, der spätestens seit dem vergangenen Jahr die prägnanteste Stimme der afro-amerikanischen Intellektuellen ist. Mit seinem Buch, das nun in Deutschland erschienen ist, hat er den Toten der jüngeren Vergangenheit ein schriftliches Denkmal gesetzt.
„Und eines Morgens unterwegs in den Wäldern stieß ich auf einmal darauf“ – so beginnt Coates sein Buch und stellt damit eine historische Kontinuität vom Ku-Klux-Klan bis nach Ferguson her. Auch heute spüre jeder Afro-Amerikaner den Tod eines jeden Michal Brown in sich: „Rassismus ist eine viszerale Erfahrung“, schreibt Coates, eine, die in den Eingeweiden sitzt. Die gehobenen Hände der Demonstranten in Ferguson hießen nichts anderes als das, was Richard Wright ausgerückt hat: „Es hätte jeder von uns sein können.“
In seinem Buch rechnet Coates aber noch viel grundsätzlicher mit der tödlichen Konstruktion von Rasse in den Vereinigten Staaten ab. 2015 ist er dafür mit dem National Book Award 2015 ausgezeichnet worden, weil er in seinem Buch den Rassismus in den USA „nicht nur porträtiert“, hieß es in der Begründung. Das Buch sei ein „präziser Angriff auf ein System, das schwarze Leben durchweg wertlos macht“. Mit „Between the World and me“, sei es Coates gelungen einen „essentiellen Text für jeden denkenden Amerikaner“ zu schaffen.
In seinen Augen ist Barack Obama ein Beschwichtiger
Coates ist 1975 in Baltimore geboren. Er ist dort aufgewachsen, wo 40 Jahre später der junge Schwarze Freddie Gray sterbend aus einem Polizeiwagen getragen wurde und ein ganzer Stadtteil revoltierte. Aber Coates macht nicht den einzelnen Polizisten (oder den einzelnen Weißen oder Schwarzen) als Schuldigen aus. „Die Zerstörer sind nicht beispiellos böse, sondern schlicht Menschen, die das Erbe unseres Landes richtig deuten, bis heute.“ Es liest sich, als ob die Menschen nicht den kleinsten Spielraum für die Entscheidung darüber hätten, welche Rolle sie in den gegebenen Strukturen spielen. Aber der streng strukturalistisch denkende Coates diskutiert diese philosophische Frage nicht. Für ihn ist es offenbar keine Frage.
Das Amerika, das Ta-Nehisi Coates präsentiert, ist schon auf der Unterdrückung des schwarzen Körpers aufgebaut. Rassismus ist nicht der Fehler, sondern die Grundlage des Staates. Coates ist deshalb schon lange ein vehementer Kritiker des ersten schwarzen US-Präsidenten. In seinen Augen ist Barack Obama ein Beschwichtiger der im System angelegten, im Zweifel tödlichen Unterdrückung.
„Between the World and Me“ ist in Form eines Briefes an seinen 15-jährigen Sohn Samori geschrieben. „Du bist bis elf Uhr abends aufgeblieben, um die Anklageverkündung abzuwarten“, erinnert Coates den Sohn darin. Es sei die Woche gewesen, als dieser erfahren habe, dass der Mörder von Michael Brown ungeschoren davon komme. „Und als stattdessen verkündet wurde, dass es keine (Anklage) geben würde, hast du gesagt ,ich muss los‘ und bist in dein Zimmer gegangen, und dann hörte ich dich weinen. Ich kam fünf Minuten später zu dir und habe dich nicht in den Arm genommen, ich habe dich nicht getröstet, weil ich es für falsch hielt, dich zu trösten.“ Brutal ist nicht nur Coates Offenlegung der schwarzen Angst. Brutal ist auch sein Blick in die Zukunft.
Coates hat das Gedicht von Wright entliehen, die Form des Briefes geht auf den afro-amerikanischen Schriftsteller, Intellektuellen und Sozialkritiker James Baldwin zurück. In einem fiktiven Brief an seinen 14-jährigen Neffen diskutiert dieser 1963, 100 Jahre nach Abschaffung der Sklaverei, die zentrale Rolle der Rassenkonstruktion in der amerikanischen Geschichte. Mit der gewählten Form versucht Coates nicht zuletzt, das Erbe von James Baldwin anzutreten. Mit Erfolg. Auf dem Buchrücken der amerikanischen Ausgabe findet sich eine einzige Würdigung. Die Schriftstellerin Toni Morrison, intellektuelle Leitfigur (nicht nur) der afro-amerikanischen Intellektuellen, schreibt dort: „Ich habe mich gefragt, wer die intellektuelle Lücke füllen würde, nachdem James Baldwin gestorben war. Es ist eindeutig Ta-Nehisi Coates.“
Ta-Nehesi Coates: Zwischen mir und der Welt. Aus dem Englischen von Miriam Mandelkow. Hanser Berlin, Berlin 2016. 240 Seiten, 19,90 Euro.