Baltimore, Ferguson, Cleveland ...: Die Polizei - dein Feind und Mörder
Jedes Jahr tötet die Polizei in den USA etwa 400 Menschen. Wie viele Schwarze von weißen Polizisten getötet werden, ist nicht genau zu ermitteln. Präsident Barack Obama spricht von einer „Krise“.
Sechs US-Polizisten, gegen die eine Staatsanwältin in Baltimore im US-Bundesstaat Maryland am Freitag Anklage erhoben hat, wurden inzwischen verhaftet. Ihnen wird wegen des Todes des jungen Schwarzen Freddie Gray Mord, Totschlag oder unterlassene Hilfeleistung vorgeworfen. Im Westen Baltimores aber, wo Gray am 19. April starb, gehen die Proteste weiter. In der Stadt herrscht noch immer Ausnahmezustand. Seit dem Tod des jungen Michael Brown in Ferguson, von Eric Garner in New York, Tamir Rice in Cleveland, Walter Sott in Charleston und jetzt Freddie Gray in Baltimore verlangen die Menschen auf den Straßen lautstark Gerechtigkeit und Konsequenzen gegen Polizeiwillkür.
Wie viele Afro-Amerikaner von Polizisten in den USA jährlich getötet werden, darüber gibt es keine verlässlichen Zahlen. Nach der Liste der sogenannten gerechtigfertigten Tötungen, die das FBI führt, starben im Jahr 2013 statistisch gesehen täglich 1,26 Menschen. Das sind 462 Menschen im Jahr. Die Zahl bedeutet sogar einen leichten Anstieg im Vergleich mit den Vorjahren. Von 2009 bis 2013 lag die Zahl zwischen 397 und 426. Das ergibt eine Auswertung der Zahlen durch die „New York Times“. Für 2014, das Jahr, in dem Michael Brown, Eric Garner und Tamir Rice starben, gibt es noch keine Daten. Dass es dabei gemessen am Bevölkerungsanteil mehr Schwarze als Weiße trifft, ist unbestritten.
FBI-Zahlen sind nicht vollständig
Eine Analyse des „Wall Street Journal“ zeigt, dass die FBI-Zahlen die Wirklichkeit höchstens zu Teilen abbilden. In 105 der 110 größten Polizeidistrikte hat die Zeitung für die Jahre von 2007 bis 2012 550 Polizei-Tötungen gefunden, die in den FBI-Daten gar nicht auftauchen oder in einigen Fällen keinem Distrikt zugeordnet wurden. Insgesamt fanden die Rechercheure mindestens 1800 Fälle, etwa 45 Prozent mehr, als das FBI erfasst hat. Und auch diese Auswertung zeigt eine relativ konstant steigende Tendenz. Für das Jahr 2007 zeigen die Daten 262 Fälle, für 2012 sind es 313 Tote.
Das Polizeirevier von Ferguson, schreibt das „Journal“, hat dem FBI demnach zwischen 1976 und 2012 einen Toten gemeldet. Der Tod von Freddie Gray wird in der Liste vermutlich nicht auftauchen, ebenso wenig wie der von Walter Scott - sollten die Polizisten wegen Mordes oder Totschlags verurteilt werden.
Es sind die Bilder von diesen sterbenden Schwarzen, die die Proteste so massiv werden lassen. US-Präsident Barack Obama hat diese Woche von einer „langsam anrollenden Krise“ gesprochen. Die „Interaktion“ zwischen Polizisten und schwarzen, zumeist armen Jugendlichen, werfe „beunruhigende Fragen“ auf. Jeder weiß, was gemeint ist: Längst ist bekannt, dass es im ganzen Land Polizisten gibt, die Schwarze per se als Bedrohung sehen und im Zweifel die Waffe ziehen. Nicht immer, aber nicht selten gemischt mit rassistischen Motiven. Aber im Gegensatz zu früheren Jahren gelangen jetzt die Bilder an die Öffentlichkeit. Und die Menschen sind schockiert.
Das Risiko, von einem Polizisten erschossen zu werden, ist für Schwarze, gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil, sehr viel höher als für Weiße. Das zeigt eine Analyse der FBI-Daten durch die Non-Profit-Organisation „propublica“. Für schwarze Teenager gilt ein 21-mal höheres Risiko. Die Schützen dagegen sind den Zahlen zufolge aber überproportional weiß.
In zehn Jahren wurden nur 54 Polizisten wegen tödlicher Schüsse belangt
Im vergangenen Jahrzehnt wurden nach Recherchen der „Washington Post“ jedoch überhaupt nur 54 Polizisten wegen tödlicher Schüsse belangt. In diesen Fällen gab es entweder Videoaufnahmen, aufgeflogene Falschaussagen von Kollegen oder dem Opfer wurde in den Rücken geschossen. Und von den 54 Angeklagten wurden die meisten freigesprochen. Die allermeisten Getöteten waren nicht bewaffnet. Obama hat jetzt eine umfassende Aufklärung gefordert. „Es ist absolut entscheidend, dass die Wahrheit ans Licht kommt“, sagte er. Der Gerechtigkeit müsse Genüge getan werden.
Staatsanwältin Marylin Mosby hatte am Freitag die Erkenntnisse der Behörde geschildert. Demnach zog sich Freddie Gray am 12. April während der Fahrt in einem Polizeivan tödliche Verletzungen am Rückgrat zu. Dass die Polizei ihm keinen Gurt angelegt hatte, sei der entscheidende Faktor gewesen. Gray sei in Handschellen und mit gefesselten Füßen ungesichert im Wagen gewesen als er sich das Genick gebrochen habe. Zeitweise habe Gray mit dem Gesicht auf dem Wagenboden gelegen, mit den gefesselten Händen auf dem Rücken. Seine Bitten um medizinische Hilfe hätten die Polizisten ignoriert. Selbst als er nicht mehr ansprechbar gewesen sei, habe keiner Hilfe geholt.
Die „Washington Post“ hatte unter Berufung auf ein Polizeidokument berichtet, dass ein Mithäftling im Van gehört haben will, wie der 25-Jährige seinen Körper „absichtlich“ gegen die Wände des Transporters geschlagen habe. Der Häftling saß mit Gray in dem Fahrzeug, die beiden waren allerdings durch eine Metallwand getrennt. Die Staatsanwältin geht nicht davon aus, dass sich Gray die schweren Verletzungen selbst zugefügt hat. Als der Transporter bei der Polizeiwache eintraf, war Gray nicht ansprechbar. Später fiel der 25-Jährige im Krankenhaus ins Koma. Er starb dort eine Woche später. Grays Rückenmark war nach Angaben der Anwälte seiner Familie am Genick zu 80 Prozent durchtrennt.
Barbara Junge