Bilanz nach acht Jahren: Was bleibt von Monika Grütters' Kulturpolitik?
Altlasten, Neubauten, Herzensangelegenheiten - eine Bilanz von Monika Grütters' Amtszeit als Kulturstaatsministerin. Ob sie weitermachen kann, ist ungewiss.
Ob sie die Kulturbaustellen des Bundes weiter beaufsichtigen wird? Aus der Politik will Kulturstaatsministerin Monika Grütters sich jedenfalls nicht verabschieden; als Spitzenkandidatin der Berliner CDU steht sie auf Platz eins der Landesliste.
Der Rest hängt vom Wahlausgang ab. Sollten die Christdemokraten nach dem 26. September und den Koalitionsverhandlungen wieder entscheiden dürfen, wer das schöne Büro im achten Stock des Kanzleramts bezieht, mit Panoramablick über Tiergarten und Regierungsviertel, würde die 59-Jährige wohl weitermachen.
Lust und Energie dazu hat sie reichlich. Wobei sie sich kürzlich im „Spiegel“-Interview laut fragte, ob eine dritte Amtszeit weniger sie selber als „vielleicht doch die Mitarbeiter, die Kultureinrichtungen oder auch die Kommentatoren ein wenig anstrengen könnte“.
Ja, Monika Grütters kann anstrengend sein. Als Schnellrednerin, Überzeugungstäterin und Kämpfernatur, die seit ihrem Amtsantritt im Dezember 2013 weniger verwalten als gestalten will und sich gerne in Auseinandersetzungen stürzt, als seien sie ihr ureigenstes Element. Sich durchsetzen, das hat sie als eins von fünf Kindern schon früh gelernt, erzählte die gebürtige Münsteranerin einmal.
Die Künste sind frei. Aber wer ihre Rahmenbedingungen verantwortet, hat auch konkrete inhaltliche Vorstellungen, Grütters jedenfalls mehr als ihr Vorgänger Bernd Neumann. Etwa bei der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, der größten weitgehend vom Bund verantworteten Institution, deren Reform Grütters in die Wege geleitet hat. Darauf ist sie stolz. Explizit fordert sie, dass die Staatlichen Museen und Forschungseinrichtungen unter dem SPK-Dach größere Strahlkraft entwickeln, eigenständiger agieren, mehr kooperieren.
Dem „Weiter so“ hat Grütters eine Absage erteilt
Aber der Erneuerungsprozess erweist sich als ungemein zäh, die internen Beharrungskräfte sind groß. Die jüngsten, knapp vor der Wahl verkündeten Personalentscheidungen lassen da aufhorchen. Klaus Biesenbach als neuer Nationalgalerie-Chef, ein neues Duo auch beim Hamburger Bahnhof – der Politik des „Weiter so“ hat Grütters eine Absage erteilt.
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Damit nach der Evaluation des Wissenschaftsrats und den Empfehlungen der Reformkommission nicht nur ein Reförmchen herauskommt, sondern eine zukunftsfähige, publikumsorientierte, wendige Stiftung, müssen vor allem Gesetze geändert werden. Der Bund-Länder-Stiftungsrat kann sich in der jetzigen Form nur selber abschaffen. Ob das Grütters’ Amtsnachfolger:in gelingt – oder ihr selbst, falls sie bleibt?
Auch beim Humboldt-Forum, dem Prestigeprojekt der Kulturnation, hat sie sich immer wieder eingemischt. Sie sorgte dafür, dass die mächtige Preußenstiftung nicht Herrin über das Schloss wurde, berief Neil McGregor in die Gründungsintendanz und 2018 Hartmut Dorgerloh zum Generaldirektor des Universalmuseums.
Seitdem ist das Haus mit Berlin-Schau, Humboldt-Uni-Flächen und den Ethnologischen Sammlungen sowie dem Asiatischen Museum seitens der SPK in ruhigere Fahrwasser geraten. Drei Tage vor der Bundestagswahl eröffnen mit den beiden oberen Etagen endlich auch die Museen. Aber noch muss zusammenwachsen, was unter dem Schlossdach vereint ist.
Sie will die Rückgabe aller Objekte, die aus Unrechtskontexten stammen
Die heftig diskutierten Fragen von Kolonialismus, Raubkunst und Restitution sind ebenfalls nicht vom Tisch. Hier fordert Grütters größtmögliche Transparenz, vermisst, wieder in Richtung Staatliche Museen, wegweisende Initiativen bei der Provenienzforschung und plädiert für die Rückgabe aller Objekte, die aus Unrechtskontexten stammen. Egal, wie viele es sein mögen. So unmissverständlich hat SPK-Präsident Hermann Parzinger sich bis heute nicht geäußert.
Auch das Museum der Moderne für die Schätze des 20. Jahrhunderts auf dem Kulturforum, die in der frisch sanierten Neuen Nationalgalerie zu wenig Platz haben, ist eine von Grütters’ Herzensangelegenheiten. Hier stehen ebenfalls noch Fehden ins Haus. Die ursprünglich veranschlagten 200 Millionen Euro haben sich bereits so gut wie verdoppelt, der Bundesrechnungshof kritisiert den Herzog-&-de Meuron-Entwurf als überteuert und klimaschädlich.
Nun bedeutet Kulturpolitik nicht nur die Realisierung von Neubauten und das Flottmachen schwerfälliger Tanker. Was die Zahlen nach zwei Amtsperioden betrifft, kann Grütters’ Bilanz sich sehen lassen. Auf 2,1 Milliarden Euro beläuft sich ihr Budget mittlerweile, 73 Prozent mehr als bei ihrem Start vor acht Jahren. Hinzu kommen die Corona-Töpfe, zwei Milliarden Euro für das von ihr energisch erkämpfte „Neustart Kultur“-Programm und 2,5 Milliarden für den Sonderfonds, der zur Ausfallabsicherung von Kulturveranstaltern aufgelegt wurde.
Die geringe Wertschätzung der Kultur in der Pandemie hat sie geschmerzt
Wird die Kultur in Deutschland zur Staats- und Repräsentativkunst, mag man sich bei so viel Etatsteigerung fragen? Ein Blick auf den Föderalismus rückt den Eindruck der Zentralisierung schnell wieder zurecht. Laut Kulturfinanzbericht 2020 gab die öffentliche Hand vor Corona insgesamt 11,4 Milliarden Euro für die Kultur aus.
44 Prozent stemmen die Kommunen, knapp 39 Prozent die Länder, 17 Prozent der Bund, und davon gehen 60 Prozent an Einrichtungen außerhalb Berlins, auch nach der Aufstockung des Hauptstadtfinanzierungsvertrags. Zwar zwingt die Pandemie vor allem die Kommunen zum Sparen. Trotzdem dürfte der Löwenanteil der Zuständigkeiten den Playern vor Ort vorbehalten bleiben.
Außerdem musste Monika Grütters, die politisch im Berliner Abgeordnetenhaus Karriere machte (und ihren glücklosen Landesvorsitz 2019 an Kai Wegner abgab), in der Pandemie erleben, wie wenig Wertschätzung die Künste in der Bundespolitik am Ende genießen. Auf den Krisengipfeln wurden die Kulturstätten unter Freizeiteinrichtungen einsortiert, neben Spielhallen, Wettbüros, Bordellen.
Das hat Deutschlands oberste Kulturlobbyistin geschmerzt. Und so sehr ihr angesichts der Existenznot vieler Kulturschaffender das Herz blutete, kamen die Neustart-Milliarden nur sehr allmählich bei den Betroffenen an. Im Juni 2020 angekündigt, wurden bis Februar gerade erst 500 Millionen Euro für Hilfsmaßnahmen bewilligt und nur ein Bruchteil tatsächlich verteilt. Das passt nicht zu Grütters’ berühmt-berüchtigter Ungeduld.
Es ging nicht anders, verteidigte sie sich unermüdlich. Wer sonst außer den Fachverbänden (Bühnenverein, Musikrat etc.) hätte die Mittelvergabe organisieren können? Eine komplizierte Bürokratie, dazu der Verweis auf die Hartz-IV-ähnliche Grundsicherung für Soloselbstständige, das hat viele erbost. Grütters wehrte sich vehement gegen das Schlechtreden des Sozialschutzpakets. Und sie machte sich für den fiktiven Unternehmerlohn stark, allerdings vergeblich.
Und ihre Personalpolitik? Dorgerloh beim Humboldt-Forum, Carlo Chatrian und Mariette Rissenbeek als Nachfolge-Duo von Dieter Kosslick bei der Berlinale, Raphael Gross beim Deutschen Historischen Museum, der dem Haus endlich wieder spannende Ausstellungen beschert, Bonaventure Ndikung ab 2023 am Haus der Kulturen der Welt (HKW), drei neue Männer bei den Staatlichen Museen. Dass Grütters für mehr Gleichstellung und Diversität in Führungspositionen wirbt, konnte sie nur teilweise einlösen.
Mehr Frauen an die Macht, mehr Vielfalt, auch in der Kultur ist das leichter gesagt als getan. Ob sie noch schnell eine neue Leitung für die Berliner Festspiele findet nach der überraschenden Vertragsaufkündigung von Thomas Oberender zum Jahresende? Die Festspiele sind wie das HKW beim Bund angesiedelt.
Grütters will die Künste nicht instrumentalisiert wissen
In Sachen Meinungsfreiheit und Identitätspolitik spricht sich die wertkonservative bekennende Katholikin gern in beiden Richtungen gegen allzu scharfe Töne aus. Zum Welttag des Buches verurteilte sie im Tagesspiegel Hass und Hetze seitens jener Minderheit, die im Netz oder den sozialen Netzwerken (sie ist ja auch für die Medien zuständig) „von Zensur und Diktatur schwadroniert“. Gleichzeitig warnt sie vor dem „moralisierenden Machtwort, das andere Sicht- und Sprechweisen als kränkend, beleidigend oder diskriminierend stigmatisiert“.
Der Spaltung der Gesellschaft und der Ausgrenzung Einhalt gebieten, das ist für Grütters nicht zuletzt eine Sache der Kultur. Dem anderen näherkommen, auch dem Fremden, eine Basis für Verständigung schaffen, dafür wirbt sie in Essays und Reden ebenso wie für eine lebendige Erinnerungskultur. Der wachsende Antisemitismus macht ihr Sorgen, auch die Gefahr einer historischen Relativierung des Holocaust.
Kulturpolitiker müssen nicht diskursfest sein. Aber es tut gut, wenn sie eine Haltung an den Tag legen, klug moderieren und argumentieren. Grütters will die Künste jedenfalls nicht instrumentalisiert wissen. Die Beschwörung der Systemrelevanz der Kultur behagt der Germanistin und Kunsthistorikerin nicht, klingt es doch nach einer Vereinnahmung für außerkulturelle Zwecke.
Apropos Vereinnahmung. Wie wäre es, 23 Jahre nach der Installierung des Amts unter Kanzler Schröder, mit einem richtigen Kulturministerium und nicht nur mit dem Status einer Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien? Grütters war lange dagegen. Staatsministerin im Kanzleramt, das bedeutet kurze Wege zur Macht; mit Angela Merkel versteht sie sich dem Vernehmen nach gut. Inzwischen wirbt Grütters durchaus für ein eigenes Haus. Und für die Verankerung der Kultur als Staatsziel im Grundgesetz – womit sie in ihrer Partei jedoch eine Minderheitenposition vertritt.
Mehr Selbstachtung der Kultur: Allen Corona-Verwerfungen zum Trotz ist Monika Grütters überzeugt, dass der Stellenwert der Künste in Politik und Gesellschaft in den letzten Jahren deutlich gestiegen ist. Aber was, wenn die Kultur in einem Ministerium nur im Verbund mit Bildung oder Bau ressortierte? Sie wäre garantiert nachgeordnet, wie Grütters zuletzt etwa in der „FAZ“ befürchtete.
Dann lieber der kleinere, eigenständigere Staatsminister-Posten. Es wäre ja auch schade um den grandiosen Panoramablick aus der luftigen Höhe des Kanzleramts.