MeToo am Theater: „Vorsicht, es kann ganz schnell zu Ende sein“
Der Volksbühnen-Eklat um Klaus Dörr rückt Sexismus zurück ins Scheinwerferlicht. Hat sich an den Bühnen genug getan? Ein Gespräch mit Bettina Jahnke, der Intendantin des Potsdamer Hans Otto Theaters.
Bettina Jahnke ist Regisseurin und Intendantin des Hans Otto Theaters in Potsdam. Nach den MeToo-Vorwürfen gegen den Intendanten der Volksbühne, Klaus Dörr, forderte sie gemeinsam mit anderen Kulturschaffenden dessen Rücktritt. Im Interview kritisiert sie die Macho-Strukturen am Theater und sagt: „Weibliches Führungsverhalten ist ein anderes.“
Frau Jahnke, in der Petition, die den Rücktritt von Klaus Dörr forderte, stehen Sie bei den Unterzeichnenden ganz vorne. Was hat Sie bewogen?
Zunächst denkt man natürlich: Es muss die Unschuldsvermutung gelten. Man muss erst einmal abwarten und Herrn Dörr auch zu Wort kommen lassen. Was dann aber ausschlaggebend für mich war: die Angst, dass das unter den Teppich gekehrt wird. Dass die Politik das im Hinterzimmer entscheidet und die Dinge wieder nicht ans Tageslicht kommen. Die sexuellen Belästigungen, um die es geht, stehen juristisch ja unter dem Radar, daher fand ich es wichtig, ein Zeichen zu setzen.
Dörr wird eine Mischung aus Förderung und Übergriffigkeit vorgeworfen, Belästigung durch Blicke, Kommentare, Herabwürdigung. Frage an Sie als Frau: Was davon haben Sie erleben müssen?
Das Perfide an dieser Art von Mann ist, dass sie sich die Schwachen aussuchen. Die, die in der Beschäftigung am abhängigsten sind. Die Assistent:innen, Berufsanfänger:innen. Ich habe ähnliches erlebt, gehörte aber schon immer zu den Frauen, die sich wehren konnten, eine große Klappe hatten. Das ist aber eine persönliche Konstitution. Man muss die Schwächsten der Schwachen schützen, deswegen finde ich es wichtig, die Stimme zu erheben.
„Weibliches Führungsverhalten ist ein anderes“, sagten Sie, als Sie in Potsdam antraten. Wie würden Sie das beschreiben?
Ich glaube, dass wir nicht so anfällig sind für Status- und Machtgebaren. Frauen gehen anders mit Macht um, pflegen ein anderes Miteinander, eine andere Führungskultur. Da ist die sexuelle Komponente nicht so ausgeprägt, wie das schnell bei Mann und Frau passiert. Da vermischt sich dann etwas, wo Grenzen nicht klar gesetzt werden. Als Führungskraft ist es das A und O, dass man sich korrekt verhält.
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Thomas Schmidt schreibt in der Studie „Macht und Struktur im Theater“, dass 55 Prozent der Theaterschaffenden Machtmissbrauch erfahren haben. Frage an Sie als Intendantin: Wie beugen Sie dem vor?
Erst einmal muss man fragen: Was ist Machtmissbrauch? Das ist in der Kunst ein sehr luzider Begriff. Ich will das nicht kleinreden, nur beschreiben, wie schwierig es ist, das Thema zu greifen. Was wir hier tun ist, dass wir verstärkt im Team arbeiten. Dass wir die Macht aufteilen. Wir haben einen sehr starken Betriebsrat und ein Leitungsgremium von sieben Personen, mit dem wir auf Augenhöhe arbeiten. Petra Kicherer und ich sind zwei gleichberechtigte Geschäftsführerinnen einer GmbH. Ich kann hier nicht schalten und walten, wie es mir beliebt.
Dennoch sind künstlerisch alleinverantwortlich – zwar keine „One Man Show“, wie Schmidt gängige Stadttheaterpraxis kritisch nennt, aber eine „One Woman Show“.
Nein, das empfinde ich nicht so. Es war keine Doppelspitze ausgeschrieben, deswegen habe ich mich als alleinige Intendantin beworben. Intern hatte ich natürlich ein Team. Meine Chefdramaturgin Bettina Jantzen und ich haben uns gemeinsam darauf vorbereitet. Ich war immer ein Teamplayer, als Regisseurin und als Intendantin. Ich glaube auch nicht, dass eine andere Struktur das alleinige Mittel ist, um Machtmissbrauch und sexuelle Übergriffe zu verhindern.
Sondern?
Das kann nur ein Baustein sein. Wenn nicht gleichzeitig ein Struktur- und Bewusstseinswandel stattfindet, wird die Struktur allein es nicht richten. Auch in einem Team können sich Allianzen bilden, Differenzen passieren. Dann muss auch von der Politik ein Zeichen kommen. Intendant:innen werden ja von der Politik besetzt.
Oft sitzen auch in den Findungskommissionen Intendant:innen. Ein weiterer Kritikpunkt: Dass man sich gegenseitig die Posten zuschachert.
Nochmal: Die Posten werden nicht von Findungskommissionen besetzt, sondern von der Politik. In der Regel sitzen in den Kommissionen bis 20 Vertreter:innen der jeweiligen Stadt oder des Landes. Der Bühnenverein ist in den meisten Fällen nur ein Teil. Der Appell geht also an die Zuwendungsgeber, sich zu öffnen und nach neuen Wegen zu suchen Aber so wie die Politik größtenteils männlich ist, sind eben auch Findungskommissionen größtenteils männlich.
Der Schlüssel liegt also in der Frage, wie man Frauen in die Machtpositionen holt?
Ja. Auf allen Ebenen: Im Bühnenverein, in den Theatern, in den Parlamenten. Der Bundestag ist so männlich wie noch nie. Und wie viele Oberbürgermeisterinnen kennen Sie?
Was muss geschehen, um Frauen am Theater in die Chefposten zu bekommen?
Der Bewusstseinswandel hat ja schon begonnen. Frauen kommen zunehmend in die Position, wo sie Macht haben und etwas verändern können. Als ich vor 15 Jahren anfing, waren wir eine verschwindende Minderheit. Inzwischen gibt es auch in großen Dreispartenhäusern Intendantinnen. Das reicht nicht, aber es verändert sich was.
Konkret gibt es seit 2018 die Vertrauensstelle Themis und den Verhaltenskodex zur Prävention von Machtmissbrauch. Wer aber überprüft die Einhaltung?
Die Überprüfung des Kodexes kann nur bei der Intendanz und dem Betriebsrat liegen. Es war ein langer, schwieriger Prozess, den Verhaltenskodex überhaupt umzusetzen. Immer stand die Gefahr der Begrenzung der Kunstfreiheit im Raum. Viele Intendant:innen haben der Kodex erst einmal abgelehnt. Wir arbeiten in der Intendantengruppe immer wieder daran, das auf die Agenda zu nehmen.
Was kann man noch tun?
Ich glaube, dass sich Intendant:innen weitaus mehr mit den Zuwendungsgebern und Trägern aus der Politik zusammensetzen müssen, um an den Strukturen zu arbeiten. Die Politik sind die Entscheider. Dort muss man den Bewusstseinswandel immer wieder kommunizieren.
Und sonst? Psychologische Eignungstests für Leitungsposten? Die soll es in Zürich geben.
Man muss jetzt verschiedene Wege ausprobieren, vielleicht auch nochmal einen anderen Frage-Aspekt in den Kommissionen mitberücksichtigen. Auch über den Wertebasierten Verhaltenskodex sollte man da zum Beispiel sprechen. Steter Tropfen höhlt den Stein.
Nur: Zu einem Kodex mündlich bekennen wird sich jeder.
Das ist richtig. Jeder wird sagen: Ich finde Frauen gut und respektiere sie. Es ist und bleibt schwierig und muss letztlich über den gesamtgesellschaftlichen Kulturwandel passieren. Das Wichtigste ist: Es muss darüber geredet werden. Es darf nicht einfach heißen: Der ist halt so. Oder: Am Theater sind sie eben so.
Oft kritisiert wird auch der Normalvertrag Bühne, der jeweils nur für ein Jahr gilt. Das schüre eine Atmosphäre der Abhängigkeit, so die Befürchtung. Sollte man sich davon abwenden?
Da sind zwei Seelen in meiner Brust. Als Künstlerin denke ich: Die Kunst braucht Raum und es muss die Möglichkeit bestehen, die Kunst immer wieder mit neuen Teams am Leben zu erhalten. Ich glaube aber, es gibt Reformbedarf in der Laufzeit. Man könnte sich auf längere Laufzeiten einigen. Oder man sagt, dass bei einem Intendantenwechsel nur eine bestimmte Anzahl nicht verlängert werden darf. Man muss einen Kompromiss finden, um die Freiheit der Kunst zu gewährleisten und auch das Arbeitsrecht besser zu beachten.
Sie selbst haben in Potsdam eine Quote eingeführt: Mindestens 50 Prozent der Stücke wird von Frauen inszeniert. Was halten Sie von so einer verpflichtenden Quote für alle?
Restriktive Maßnahmen führen nicht immer zu Gleichberechtigung uns besserem Leben. Auch wenn man Gesetze hat, kann man das erleben, was wir mit Klaus Dörr an der Volksbühne hatten: Es werden feministische Themen gesetzt, es inszenieren Frauen – aber die Führungskultur ist eine völlig andere. Es muss sich grundsätzlich etwas ändern. Es wird ein langer Weg.
Das Beispiel Dörr hat auch gezeigt: Es wurde schnell reagiert. Wenige Tage nachdem Dörrs Vergehen öffentlich wurden, war er weg vom Fenster. Gibt es Grund, optimistisch zu sein?
Ich denke schon. Weil es auch ein Signal an all die anderen Patriarchen am Theater ist: Vorsicht, es kann ganz schnell zu Ende sein.
Lena Schneider