"Sag du es mir" für First Steps nominiert: Verschobene Wahrheiten
Filmuniabsolvent Michael Fetter Nathansky ist mit seinem Abschlussfilm „Sag du es mir“ für First-Steps-Preis nominiert. Der Film entstand größtenteils in Potsdam und spielt auch dort.
Potsdam - Es scheint ein idyllischer Panoramablick zu sein: Die Havel, eine kleine Eisenbahnbrücke, dahinter die Neustädter Havelbucht. Doch dann fällt plötzlich etwas oder jemand – aus der Ferne lässt es sich nicht genau erkennen – die Brücke herunter. Die Idylle ist dahin. Und schnell klärt sich: Es ist eine Frau, die in die Havel fiel, gestoßen von einem Unbekannten aus ebenfalls unbekannten Gründen. Wer dieser Unbekannte ist, erzählt der Film „Sag du es mir“ relativ schnell, die Gründe allerdings nicht. Was unbefriedigend klingt, ist gerade eine der vielen Stärken von Michael Fetter Nathanskys Masterabschlussfilm an der Filmuniversität Potsdam, für den der 26-Jährige in der Kategorie „Abendfüllender Spielfilm“ bei den diesjährigen First Steps nominiert ist. Neben "Sag du es mir", sind unter anderem "Off Season" von Henning Beckhoff und "Die Grube" von Hristiana Raykova nominiert - beide Filmemacher sind ebenfalls Filmuniabsolventen. Wer den Preis für den Deutschen Filmnachwuchs erhält, klärt sich erst am Montag, wenn die Gewinner in Berlin ausgezeichnet werden. Eines ist aber jetzt schon klar: wer die Chance hat, „Sag du es mir“ zu sehen, sollte sie nicht verpassen.
Unheimlich dicht und doch ganz leichtfüßig erzählt der Film von drei Menschen, die sich irgendwie selbst verloren haben – und außerdem die Verbindung zu Personen, die ihnen nahe stehen. Da ist zum einen Silke (Gisa Flake). Sie arbeitet als Mechanikerin in einem Schiffshebewerk, kümmert sich um ihren Vater und hat nicht so richtig Glück mit der Liebe. Zu ihrer in Spanien lebenden Schwester Monika (Christina Große) hat sie kaum Kontakt. Als Silke nun von der Brücke geschubst wird, kommt Monika zurück nach Deutschland und findet bald heraus, wer der Täter war: René (Marc Ben Puch), ein Polizist, der selbst nicht weiß, warum er den Drang dazu verspürte.
Michael Fetter Nathansky lässt diese drei Figuren nun in drei Episoden ihre Geschichte erzählen. Durch die unterschiedlichen Perspektiven verschiebt sich die Wahrheit des Erzählten immer ein kleines bisschen und am Ende stellt sich die Frage: Existiert überhaupt so etwas wie die Wahrheit? „Ich denke, wir sind alle bewusste oder unbewusste Geschichtenerzähler, die sich ihre eigene Geschichte basteln“, sagt der Regisseur und Drehbuchautor dazu. Tatsächlich sei der Film von vielen Menschen inspiriert, die ihm an verschiedenen Orten begegnet seien – auch in Potsdam. Hier hat der in Berlin lebende Kölner nicht nur studiert, sondern 2018 auch den größten Teil seines Films gedreht. Deswegen wünscht sich Fetter Nathansky auch, dass gerade das Potsdamer Publikum den Film im Kino zu sehen bekommt. Auf dem Festival des deutschen Films Ludwigshafen feierte der Film Ende August bereits Premiere auf der großen Leinwand, irgendwann soll er auch regulär in die Kinos kommen.
Tatsächlich sei die Eisenbahnbrücke in der Neustädter Havelbucht einer der ersten Bausteine für die Story gewesen. Während der Arbeit an „Gabi“, für den er mit dem Deutschen Kurzfilmpreis ausgezeichnet wurde, hat er sie entdeckt. „Ich habe dieses Bild dann lange mit mir rumgetragen.“ Nach und nach kamen die anderen Aspekte des Films dazu: das Erfinden von Geschichten für andere etwa. Dass diese dann doch eher für einen selbst sind, zeigt sich symbolisch in einer Szene, in der Silkes und Monikas Vater den Frauen eine Gute-Nacht-Geschichte erzählt und sich dabei vermeintlich selbst in den Schlaf säuselt.
Wozu brauchen wir Geschichten? Um uns selbst besser zu fühlen? Um anderen zu gefallen? Auch das sind Fragen, die der Film aufwirft und die sich in den unterschiedlichen Stilen der drei Episoden widerspiegeln, die alle einen ungeheuer charmanten Humor gemeinsam haben. Mit einem Feelgood-Movie vergleicht Fetter Nathansky etwa Monikas Perspektive, die scheinbar unbeschwert in das Leben ihrer Schwester wirbelt. Erst aus Silkes pragmatischer Sicht ist zu erfahren, dass Monika ein Alkoholproblem hat. Und René? „Seine Perspektive ist eher ein Drama“, sagt der Regisseur. Weil er vor allem mit sich selbst kämpft und auf die entscheidenden Dinge keine Antwort parat hat. So wie das eben manchmal ist im Leben.
Überhaupt ist „Sag du es mir“, dessen Titel einem argentinischen Lied entnommen ist, sehr lebensnahe. Die reduzierten Dialoge, der unterschwellige Witz, die nie ganz auserzählten Beziehungen, die am Nicht-Reden oder Aneinander-Vorbeireden scheitern. Und dann ist da der brandenburgische Dialekt, der den Film durchzieht und zumindest Einheimischen sofort dieses gewisse Zu-Hause-Gefühl vermittelt.