„Die wilden 80er-Jahre in der deutsch-deutschen Malerei“ im Potsdam Museum: Ungleiche Zwillinge
Das Potsdam Museum zeigt in einer neuen Ausstellung die „Wilden 80er-Jahre in der deutsch-deutschen Malerei“ - und grüßt fast ironisch zum Museum Barberini.
Potsdam - Ruft man Erinnerungen an die 1980er- Jahre wach und stellt jene aus Ost und jene aus West nebeneinander, dann dürften sie unterschiedlicher kaum ausfallen. Farbtechnisch zumindest. Die DDR der 1980er-Jahre sei für sie graubraun gewesen, sagte die Potsdamer Künstlerin Barbara Raetsch einmal. In der alten BRD waren die 1980er-Jahre die Zeit der Neonfarben, der schrillen Farbkombinationen. Dazwischen stand die Mauer, und alle glaubten, sie würde noch lange da stehen bleiben. Diesen Irrglauben hatten beide Seiten gemeinsam. Und vielleicht nicht nur den, doch dazu gleich.
Jetzt ist die Mauer seit einem Vierteljahrhundert weg – aber der trennende Blick auf die beiden Welten, die sie einst zweiteilte, ist geblieben. Gerade in der Bildenden Kunst wird über Ost und West gesprochen, als hätten die beiden Welten voneinander nichts gewusst. Ob in Weimar 2012 oder im Berliner Gropiusbau 2016: Wo DDR-Kunst auftaucht, taucht sie allein auf. Und, wie im Fall des Gropiusbaus, oft gekoppelt an die Frage, wie sich die Kunst im System positionierte. Die DDR-Kunst als Kunst wird so fast zur Nebensache, als sei das Künstlerische daran, anders als bei westdeutscher Kunst, nicht recht der Diskussion würdig.
Frage nach der Deutungshoheit über die DDR-Kunst
Das zu ändern, ist das zentrale Anliegen der neuen, großen Ausstellung im Potsdam Museum. Es geht hier um nichts Geringeres als die Frage nach der Deutungshoheit über die DDR-Kunst, sagte Anna Havemann im Pressegespräch. Sie und Museumsleiterin Jutta Götzmann haben gemeinsam die knapp 90 Werke ausgewählt, die ab dem 3. Dezember im Stadtmuseum unter dem Titel „Die wilden 80er-Jahre in der deutschen-deutschen Malerei“ zu sehen sind. Die eindrucksvolle, schier überbordende Ausstellung will mit zwei Irrtümern aufräumen. Der erste: DDR-Kunst kann künstlerisch nicht mit zeitgenössischen Exponaten aus der BRD mithalten. Der zweite: Die Kunstwelten in Ost und West hatten nicht das Geringste gemeinsam.
Um beides richtigzustellen, greift die Schau zu einem radikalen kuratorischen Mittel: Die Künstler werden keiner Herkunft zugeordnet. So sprechen die Werke für sich. Und wer zum Beispiel nicht weiß, dass Johannes Grützke aus Westberlin kommt und Clemens Gröszer aus dem Ostteil der Stadt, der wird nur den fein ziselierten Hyperrealismus sehen, der deren Werke „Valeska Gert“ (1978) und „Bildnis A.P. IV“ verbindet. Ohne die Herkunftszuschreibungen wird so der Blick frei für das Eigentliche: die Kunst.
Nicht chronologisch, sondern thematisch gegliedert
Ausgangspunkt für die Ausstellung sind die als Dauerleihgaben in den Museumsbestand eingegangenen Arbeiten Bernhard Heisigs, des Mitbegründers der Leipziger Schule. Sein berühmtes Bild „Der Fensteröffner“ von 1989, das anhand einer kleinen Geste die Maueröffnung beschreibt, begrüßt einen im ersten Raum. Geflankt wird es von zwei größeren Heisig-Bildern. Zum einen „Neues vom Turmbau“ von 1977, einer apokalyptisch anmutenden Variation auf den Turmbau zu Babel – eher das düstere Ende als der Beginn aller Zivilisation. Rechts die Nachwende-Antwort: „Der Tod des Weißclowns“ von 1991, ein ungemein trauriges Zirkusmotiv, in dem oben der Tod fiedelt und unten im Bildrand ein trübsinnig-ernster Clown mit roter Nase sich trotz allem die Augenbrauen schminkt. Es muss weitergehen, aber, der Blick des Clowns macht es deutlich: Hier weiß einer nicht, wie. „Figurativ erzählerisch“ heißt dieser erste Raum. Die Ausstellung ist nicht chronologisch, sondern in sechs thematische Teile gegliedert – „assoziative Klammern“, wie Havemann sagt. In der gesamten Ausstellung steht das Figurative im Mittelpunkt: der Mensch. Die Suche danach war in Ost wie West in den 1980er- Jahren offenbar eine ähnliche, das vermittelt die Ausstellung überzeugend.
Nirgends wird das so deutlich wie im „Figurativ und ekstatisch“ betitelten Raum. Hier hängt, neben einer der Starleihgaben (Georg Baselitz’ „Mädchen kommt – Markus“ von 1987) ein „Zwillingspaar“, das auf den Punkt bringt, worauf die Schau hinauswill. Zum einen Helmut Middendorfs „The stage“ (1980), zum anderen Klaus Killischs „Tango bis es wehtut“ (1988). Beide großformatig, farbintensiv, wild. Beide in den prägnanten Farbtönen Blau-Rot-Gelb. Beide stellen einen Moment musikalischer Extase auf der Bühne dar. Für beide Künstler ist Musik, Rhythmus, Krach, eine wesentliche Inspirationsquelle. Beide könnte man den Neoexpressionisten zuordnen. Nur: Der eine kommt aus Sachsen, der andere aus Niedersachsen. Im Übrigen werden Künstlerbiografien keineswegs völlig ausgespart: Wer mehr wissen will, kann sich in die eingelesenen Künstlerstatements vertiefen, die im Medienraum im Dauerschleife laufen.
Potsdam Museum hätte noch weitere Räume bespielen können
Die Farbenpracht und die emotionale Wucht dieser Ausstellung sind bezwingend. Der Versuch, den Begriff der deutschen Kunst um die der DDR-Kunst zu erweitern, ist es auch. Die sechs Räume zeigen, dass das Potsdam Museum auch weitere sechs Räume hätte füllen können. Spätestens bei Werner Liebmanns „Kleinem König“ (1984), dem die niedrige Decke fast die Krone einzudrücken scheint, wird einem bewusst, dass dieses kleine Museum auch viel mehr Raum bespielen könnte.
Und dass der große Neue am Alten Markt, das Museum Barberini, sich über einen ambitionierten Nachbarn freuen darf. In fast ironischer Geste grüßt das Potsdam Museum mit dieser Schau auch hinüber zum zukünftigen Platzhirsch. Im Ausstellungskapitel „Figurativ und kämpferisch“ hängt Wolfgang Mattheuers „Albtraum“. Ein ausgestreckter Fuß, ein angewinkelter Arm: Es ist ein Vorgänger zu Mattheuers Plastik „Jahrhundertschritt“, die jetzt drüben im Hof des Barberini steht. Eine Reminiszenz, klar. Und, vielleicht, auch schon mal die freundliche Erinnerung, dass das Barberini hier einen Nachbarn hat, mit dem zu rechnen ist.
„Die wilden 80er-Jahre in der deutsch-deutschen Malerei“ eröffnet am Samstag, dem 3. Dezember, im Potsdam Museum und ist bis 12. März geöffnet.
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