Kolumne Spiegelstrich: Traumberuf Journalist
Nach Bekanntgabe des Friedensnobelpreises: Journalismus kann lebensgefährlich sein. Seine Aufgabe ist es zu differenzieren, nicht zu kategorisieren.
Unser Kolumnist Klaus Brinkbäumer ist Programmdirektor des MDR in Leipzig. Sie erreichen ihn per Mail unter Klaus.Brinkbaeumer@extern.tagesspiegel.de oder auf Twitter unter @Brinkbaeumer.
Warum ich Journalist werden wollte und nie etwas anderes (außer, eine Herbstferienwoche lang, Seewolf), kann ich zweifelsfrei sagen. Der Vater meines bestens Grundschulfreundes Jens, Bernd Kötting, war stellvertretender Chefredakteur der „Westfälischen Nachrichten“, durfte kommentieren und die Seite 1 der ruhmreichen WN betexten, durfte Helmut Kohl interviewen und die Welt verstehen.
Mein Vorbild. Ein weltzugewandtes, grenzenfreies Leben war möglich, war erreichbar, denn jenes wurde nur 300 Fahrradmeter entfernt gelebt. Der westfälische Glamour lockte mich, das ganze Ethische kam später.
Journalismus ist die Annäherung an die Wirklichkeit, er versucht sich an deren Darstellung und Analyse, schließlich der Kommentierung. All das wird schwieriger, wird gefährlicher, wird zu vielen Menschen unwichtig.
23 Journalist:innen sind 2021 getötet worden
Donald Trump hat den Kampf gegen Medien, die er „the Fake News“ und „Volksfeinde“ nennt, nicht erfunden, aber beschleunigt und internationalisiert.
Deshalb kommt der diesjährige Friedensnobelpreis zum Niederknien punktgenau: Maria Ressa von den Philippinen und Dmitri Muratow aus Russland erhalten ihn, da sie für die Meinungsfreiheit stritten, so sagt es die Vorsitzende des Nobelkomitees Berit Reiss-Andersen, „freier, unabhängiger und faktenbasierter Journalismus dient dem Schutz vor Machtmissbrauch, Lügen und Kriegspropaganda“.
Eine Banalität? Eine Selbstverständlichkeit? Ja & ja. Aber als ich am Samstag beim „Barometer 2021“ von „Reporter ohne Grenzen“ nachsah, waren in diesem Jahr bislang 23 Journalistinnen und Journalisten getötet worden und 348 in Haft. Schon im Jahresbericht 2020 konnten wir von Saudi-Arabien nach Belarus klicken, nach Brasilien, China und natürlich nach Russland oder auf die Philippinen: 50 Getötete waren es im vergangenen Jahr.
Maria Ressa schreibt für „Rappler“ über den mordenden Präsidenten Rodrigo Duterte. Dmitri Muratow, Mitgründer und Chefredakteur der „Nowaja Gazeta“, schreibt über Wladimir Putins diverse Freundeskreise und widmet den Preis seinen ermordeten „Gazeta“-Kolleginnen und -Kollegen: Anna Politkowskaja, Natalja Estemirowa, Stanislaw Markelow, Anastasia Baburowa, Igor Domnikow und Jurij Schtschekotschichin.
Man muss nicht zwingend in der Mitte stehen
Drei Kolumnen haben mich in den vergangenen Tagen beschäftigt. Hatice Akyün erzählte hier im Tagesspiegel davon, dass viel zu viele Menschen in Deutschland nach Herkunft kategorisiert würden; der „-hintergrund“, bevorzugt „Migrations-„, stehe noch immer im Vordergrund.
Und wenn wir gerade bei Kategorisierungen sind: In der „New York Times“ schrieb David Brooks über „Essentialismus“, also darüber, wie Simplifizierungen und Generalisierungen uns helfen, in einer nicht mehr verstehbaren Welt scheinbare Ordnung zu schaffen.
Darum werden Demokraten zu angeblichen Babymördern, folglich zu Feinden, darum glauben 35 Prozent der Amerikaner, Donald Trump und ihnen selbst sei der Wahlsieg von 2020 gestohlen worden.
Ebendort, in der „New York Times“, weist ein Quintett der Forscher (um Jake Womick) nach, „dass Rechts-Autoritarismus einem Menschen einen Platz in der Welt gibt, als loyaler Anhänger eines starken Führers“; gerade wenn alle anderen Erfahrungen komplex sind und überfordern, entsteht Sinn, Bedeutung, Klarheit durch Polarisierung und Extremismus.
Darum wird es weitergehen, eher lauter als stiller und in Russland und auf den Philippinen gewiss nicht ungefährlicher werden.
Und darum müssen wir Journalisten weitermachen. Nicht zwingend in der Mitte stehen (nicht immer gibt es eine, denn manchmal gibt es das ja: Wahrheit). Aber neutral sein und herausfinden, was wir herausfinden können, und benennen, was zu benennen ist. Und, natürlich: nicht kategorisieren, sondern differenzieren.
Klaus Brinkbäumer