Friedensnobelpreis für zwei Journalisten: Ihre Waffe? Das Wort – Ihr Schutz? Die Öffentlichkeit
Die Meinungsfreiheit ist ein Menschenrecht. Jede Einschränkung erschwert Erkenntnisse, lähmt Debatten und macht Menschen, im Wortsinn, mundtot. Ein Kommentar.
Die Wahrung der Meinungsfreiheit ist eine Voraussetzung für Demokratie und dauerhaften Frieden. Mit diesem Satz hat das Komitee in Oslo seine Entscheidung begründet, den Friedensnobelpreis in diesem Jahr an zwei Journalisten zu verleihen – Maria Ressa von den Philippinen und Dmitri Muratow aus Russland.
Beide arbeiten unter schwierigen, gefährlichen Bedingungen. Sie riskieren den Zorn und die Willkür der Mächtigen. Die einzige Waffe, die sie haben, ist das Wort. Den einzigen Schutz, den sie haben, ist die Öffentlichkeit.
Für ihren Mut waren beide schon oft ausgezeichnet worden. Aber wie stets beim Friedensnobelpreiskomitee geht es um mehr als die Würdigung einzelner Personen. Es geht um die Verteidigung von universellen Werten wie Gewaltfreiheit, Frieden, Demokratie, Toleranz oder Armuts- und Hungerbekämpfung. In diesem Jahr ist es die Meinungsfreiheit.
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Dieses Ideal wird von der Überzeugung getragen, dass jedes Gemeinwesen von größtmöglicher Transparenz und Meinungsvielfalt profitiert. Jede Einschränkung verhindert Erkenntnisse, lähmt Debatten und macht Menschen, im Wortsinn, mundtot. Nur wer informiert ist, ob über Fakten oder Beweggründe der jeweils Handelnden, kann ein reifes Urteil fällen. Vor solchen Urteilen ängstigen sich Autokraten, Oligarchen, Tyrannen und Mafiosi. Sie brauchen die Dunkelkammern, Verstecke und Intrigen. Lichtstrahlen, die hineindringen, gefährden ihre Machenschaften.
Schutz vor Hass, Hetze und Diskriminierung
„Jeder Mensch hat das Recht auf freie Meinungsäußerung; dieses Recht umfasst die Freiheit, Meinungen unangefochten anzuhängen und Informationen und Ideen mit allen Verständigungsmitteln ohne Rücksicht auf Grenzen zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten.“ So steht es in der UN-Charta, dem Gründungsvertrag der Vereinten Nationen. Das damalige Commonwealth der Philippinen und Russland, damals Sowjetunion, waren UN-Gründungsmitglieder. Daran sollten Rodrigo Duterte und Wladimir Putin bei der Preisverleihung an Ressa und Muratow erinnert werden.
Vor Selbstgefälligkeit sei allerdings gewarnt. Die Neigung, unbequeme und extreme Meinungen vom öffentlichen Diskurs auszuschließen, nimmt in westlichen Demokratien zu. Die Gründe sind meist nobel. Der gesellschaftliche Frieden müsse gewahrt bleiben, heißt es, Menschen müssten vor Hass, Hetze und Diskriminierung geschützt werden, nicht alle Dinge hätten zwei Seiten, weshalb eine „false balance“, eine falsche Ausgewogenheit, die Realität verzerre.
Fake News und Trumpscher Twitter-Irrsinn
Wer darf in eine Talkshow? Wem darf eine Plattform gegeben werden? Immer unnachgiebiger werden solche Fragen diskutiert. Bei Themen wie Klimawandel, Flüchtlinge oder Corona hört die Bereitschaft zur Kontroverse schnell auf.
Dabei ist die Meinungsfreiheit ein Grundrecht, das laut Bundesverfassungsgericht „grundsätzlich auch den Feinden der Freiheit“ garantiert wird. Keiner muss einen Eid auf die Verfassung schwören, sich zu bestimmten Werten bekennen oder seine Ansichten sozialverträglich formulieren. Alles, was verlangt werden darf, ist Rechtsgehorsam. Fake News und Trumpscher Twitter-Irrsinn haben gezeigt, wie verwund- und manipulierbar eine Öffentlichkeit sein kann. Wen aber dieser Befund zur Forderung nach immer mehr Verboten verleitet, hat den Glauben an die Kraft einer meinungspluralistischen Öffentlichkeit verloren.