Innovatives Konzept: Tanzen auf Stoffbannern
„Made in Potsdam“ lädt 2021 zu einem Spaziergang durch die Schiffbauergasse – und ruft Erinnerungen an dort erlebte Kunst wach.
Potsdam - Not macht erfinderisch, sagt der Volksmund. Und auch die fabrik Potsdam, die im ersten Lockdown die Tanztage 2020 verschieben und teilweise neu erfinden musste, besinnt sich auch jetzt im zweiten auf ihr Improvisationstalent. Denn „Made in Potsdam“ (MiP), das seit 2012 etablierte Festival am Jahresanfang, fiel zum Großteil den erneuten Corona-Einschränkungen zum Opfer.
Doch der Ausstellungsteil, der von Anfang an zum MiP-Programm gehörte, ist seit Mittwoch rund um die fabrik und im Kunstraum in der Schiffbauergasse als Open-Air-Kunst-Spaziergang zu zweit zu erleben. Das ist zwar kein vollständiger Ersatz für das, was sonst zu erleben war, doch der fabrik gelingt es mit den ausgewählten Ausstellungsstücken zumindest, starke Erinnerungen an vergangene Aufführungen und Performances wachzurufen. Und in kulturell mageren Zeiten zehrt der Mensch eben gerade auch davon.
Coronakonformes Fremdgeh-Konzept
„Fremdgehen“ heißt das coronakonforme, doch bereits wesentlich früher entwickelte Format der Berliner Choreografin Sabine Zahn, mit dem jeweils ein Performer und ein Beteiligter den architektonischen Stadtraum gemeinsam mit allen Sinnen erkunden. Im August 2020 konnte man das auch im Potsdamer Stadtzentrum tun – und den Fragen wie „Wie fühlt sich deine Stadt an?“, „Was macht das mit deinem Körper?“ nachspüren. Jetzt sind Aufnahmen dieser Performance am fabrik-Ausgang beim Biergarten zu sehen.
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Darüber hängen an der Außenwand 14 Stoffbilder mit gelben, roten oder blauen äußerst lebendig wirkenden Körperabdrücken. Die israelische Choreografin Yasmeen Godder hatte das Projekt „I’m here“ im ersten Lockdown ersonnen, als die Menschen fast vollständig von den Straßen ihres Heimatlandes verschwanden.
Sie wollte diesem Verlust etwas entgegensetzen und verewigte zuerst ihren eigenen Körperabdruck mittels Farbe auf Stoff. Dann lud sie andere ein, das Gleiche zu tun. So auch die Potsdamer:innen während der Tanztage 2020. Die farbenfrohen, lebensgroßen Stoffbanner an der fabrik zeigen jetzt stehende, sitzende, liegende, tanzende Menschen – mit vitaler Energie und starker Lebenslust.
Ein Stück davon entfernt hängen zehn Farbfotos der Potsdamer Fotografin Kathrin Ollroge in einem Eisengestell. Ollroge begleitete 2017 die Choreografin Caroline Laurin-Beaucage auf ihrer Tour durch Brandenburg, in der die Kanadierin ihre Performance „Habiter sa Mémoire“auf öffentlichen Plätzen zeigte. Zufällig vorbeikommende Menschen lud sie dazu ein, über das Zusammenspiel von Raum, Körper und Gedächtnis nachzudenken.
Am Foyer der fabrik sind die „Thüringen“-Installation und ein Video der Bildhauerin, Performerin und Musikerin Maren Strack zu sehen. Im Video steht sie im schwarzen Kleid und mit langen wallenden Haaren auf einem weißen Stein und versucht, durch eine Art ruppigen Stepptanz darauf, ihn zu zerstören. Sich den eigenen Frust aus dem Leib tanzen, auch in Bezug auf Corona und die Folgen – nicht nur dazu kann einen diese energiegeladene Performance anregen.
Stracks skurrile zweigeschossige Thüringen-Installation stammt von 2020: viele kleine (Eisenbahn-)Modellbauhäuser auf zahlreichen beweglichen Hügeln aus Grün und Fell. Sie mahnt im offenen fabrik-Eingang eindringlich an die immerwährende Veränderlichkeit auch des gegenwärtigen Weltzustandes. Sommerliche, nahezu menschenleere Naturräume: Diese beinahe idyllischen Bilder zeigt „As far as the eye can hear“, der Film von Oscar Loeser und Martine Pisani gegenüber dem Hans Otto Theater.
Steppdecken und Dachpappenformate
Direkt ins Gespräch kommen kann man mit den Potsdamer Künstler:innen Jeanette Niebelschütz und Kim Konrad, die für fünf Wochen ihr Quartier im Kunstraum bezogen und zum Thema „Transit“ arbeiteten. Niebelschütz hat zwei große Steppdecken und 15 große Dachpappenformate mit Siebdruck gestaltet: Zahlen, Buchstaben, Worte dekorieren die rauen Oberflächen. Scheinbar nichts Festgefügtes, sondern Fragmentiertes. Stilisierte Bilder von Soldaten und kyrillische Schriftzeichen schlagen eine mentale Brücke in die jüngere Vergangenheit – als sich die ostdeutsche Gesellschaft ebenfalls in einem Transitzustand befand.
Bis 28. März. Der Kunstraum ist von 15 bis 21 Uhr geöffnet, Voranmeldung unter 0177 8511570 ist erforderlich. Der Rundgang kann von 15 bis 20 Uhr gemacht werden.
Astrid Priebs-Tröger