Deutschlandpremiere bei den Potsdamer Tanztagen: Tanz als Schlangenliturgie
Verstörende Demut, unerhörte Kraft, kaum erträgliche Unterwerfung: Die Choreografie "Serpentine" der Kanadierin Daina Ashbee gleicht einer hochkonzentrierten Andacht. Wem oder wessen wird hier gehuldigt?
Potsdam - Nackte Körper auf der Bühne können aufregen, anregen, abstoßen. Oder sie können einfach sein. Sein, was sie eben sind: Körper, nackt eben. In "Serpentine", der Deutschlandpremiere der jungen kanadischen Choreografin Daina Ashbee bei den Potsdamer Tanztagen, ist das so. Die mexikanische Tänzerin Areli Moran bewegt sich hierin knapp 90 Minuten lang nackt über die Bühne, und trägt ihre Haut dabei mit der eigentlich unerwähnenswerten Selbstverständlichkeit, mit der andere Kleidung tragen.
Dass "Serpentine" alles andere als ein Spaziergang ist, liegt also nicht an dieser Bloßheit, oder nicht in erster Linie. Der Abend fordert ein Höchstmaß an Konzentration, an Ausdauer, nicht nur für Areli Moran. Bis auf drei kurze Zäsuren, in denen sie ihr Haar zu einem Zopf flicht, ist jede Bewegung einer geradezu zeremoniellen Langsamkeit unterworfen. Jenseits dieser Momente, die so etwas wie eine Alltagsdimension durchscheinen lassen, hat "Serpentine" die Intensität einer strengen, quälend strengen, heidnischen Liturgie. "Die Arbeit ist spirituell für die Performerin und mich", hatte Daina Ashbee im Gespräch vorab gesagt.
Eine Geste verstörender Demut
Wem oder wessen wird hier gehuldigt? Schon das erste Bild ist eine verstörende Geste absoluter Demut. Das Licht im Saal bleibt an. Areli Moran kauert bäuchlings auf dem Boden, die Knie angewinkelt, die Arme unter dem Bauch verborgen, im Schoß vielleicht. Kein Kopf, nur der lange Zopf ist zu sehen: Das Gesicht scheint im schwarzen Bodentuch zu versinken. Entmenschlicht wirkt dieser Körper, jeder Individualität beraubt, tierisch, amphibisch vielleicht. Das Bild hat die überzeitliche Kraft antiker Plastiken, denen die Köpfe abgeschlagen oder die Gesichtszüge ausgeblichen sind.
In kräftezehrender Langsamkeit schält sich ein Arm heraus, noch einer, dann auch, eine Befreiung, das Gesicht. Die Beine werden ausgefahren, finden zusammen. Eine Schwanzflosse? Die Arme strecken sich nach vorn, die Handflächen zeigen nach oben: eine Einladung. Eine Geste des Gebets. Langsam stellen sich Orgelklänge ein. Die Hände finden sich, bilden eine Faust, ziehen dann, ein ungaublicher Kraftakt, den Körper hinter sich her. Hier haben wir sie: die Serpentinen-Bewegungen des Titels. Die erstaunliche, unwahrscheinliche, dem menschlichen Körper so ungemäße Fortbewegungsart der Schlange.
Überwältigende Kraft, kaum erträgliche Gewalt
Einen Moment lang sind die Wellen, die dabei durch Areli Morans Körper gehen, ungemein schön, die Kraft darin überwältigend. Dann ein Bruch. Die Muskelspannung weicht, der nackte Oberkörper klatscht, immer noch liegend, gewaltsam auf die Bodenplane. Wieder und wieder und wieder. Das Geräusch jedesmal ein Schlag. Der Körper, der eben noch ein Ziel zu haben schien, wirkt jetzt getrieben, gehetzt, malträtiert. Gedemütigt, vielleicht von unsichtbarer Macht im Rücken unterworfen.
Das ist brutal, kaum erträglich anzusehen, es kommt natürlich auch der Gedanke an sexuelle Gewalt ins Spiel. Die Performerin ächzt. Dann steht sie auf, geht, an der ersten Reihe der lose platzierten Zuschauer vorbei, zurück zur Ausgangsposition. Das Licht wird gedämmt. Sie beginnt von vorn. Später noch einmal. "Serpentine" endet, womit andere Abende beginnen: in der Dunkelheit.
Ein Stück über Evolution, Weiblichkeit oder gar Emanzipation?
"Serpentine" ist als ein Stück über Weiblichkeit angekündigt worden. Man kann anderes darin sehen, sogar eine sich im Kreis drehende Evolutionsgeschichte, in der das Leben sich gegen jeden Widerstand seine Bahn sucht. Von der Form der Urwesen im Wasser über Amphibien und Säugetiere bis zum aufrecht gehenden Menschen. Sucht man hierin Hinweise, was es heißt, Frau zu sein, ist die Antwort bedrückend. Ein kauerndes Wesen, das sich seinen Weg bahnt; durch die eigene, ganz erstaunliche Muskelkraft, gewiss. Aber kaum hat es Laufen gelernt, kehrt es zurück zur Urposition.
Bevor Areli Moran sich erneut auf den Boden kauert, kniet sie jedesmal einen Moment lang da. Aufrecht, ganz bei sich, mit dem Blick ins Publikum. Dann geht sie wieder in die Unterwerfung. Worunter, das weiß nur sie. Vielleicht ist sie ihre eigene Gottheit. Und vielleicht ist ja auch die totale Verweigerung jedweder konventioneller Fortschrittserzählung letztlich als Emanzipation zu verstehen.
"Serpentine" ist nochmals am 14. und 15.8. je 19 Uhr in der Waschhaus Arena zu sehen. Die Potsdamer Tanztage enden am 16.8.
Lena Schneider
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