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Seit Samstagabend kursiert das Video von der Ermordung des Briten David Haines im Netz.
© AFP

Islamistischer Terror: Selbstmordattentäter aus Deutschland

Immer mehr Deutsche schließen sich dem Dschihad und kämpfen für den "Islamischen Staat". Guido Steinberg hat nun ein Standardwerk zu dem Thema vorgelegt. Eine Buchbesprechung

Vor 13 Jahren war das Entsetzen groß, als Deutschland erfuhr, woher drei der vier Selbstmordpiloten des 11. September gekommen waren: aus Hamburg. Dass sich mitten in der friedlichen Bundesrepublik junge Männer in einen monströsen Wahn hineingesteigert hatten, erschien unfassbar. Und kaum jemand hätte prophezeit, dass es noch härter kommt. Dass hunderte Dschihadisten aus deutschen Städten in Richtung Pakistan, Afghanistan, Somalia, Syrien und Irak ziehen, dass einige Rückkehrer Anschläge planen und dass der fanatisierte Kosovare Arid Uka am Frankfurter Flughafen zwei amerikanische Soldaten erschießt. Der islamistische Terror, so scheint es, ist kaum aufzuhalten.

Die dschihadistische Bewegung ist heute global

Der deprimierende Befund müsste in Politik, Polizei und Nachrichtendiensten Anlass sein, die Tauglichkeit der bisherigen Abwehrstrategien zu überprüfen. „Die Schwäche der deutschen Sicherheitsbehörden – die auch im Umgang mit der Terrorzelle NSU in ihrer ganzen Tragweite deutlich wurde – muss beunruhigen, wenn man sich die wachsende Zahl der deutschen Dschihadisten in den letzten Jahren ins Bewusstsein ruft“, schreibt Guido Steinberg in seinem neuen Buch. Der Islamwissenschaftler ist einer der versiertesten Kenner der internationalen dschihadistischen Terrorszene. Als Mitarbeiter der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin hat er vielfach zum Thema veröffentlicht, darunter das Standardwerk „Der nahe und der ferne Feind. Die Netzwerke des islamistischen Terrorismus“ (2005). Steinberg aktualisiert nun in „Al Qaidas deutsche Kämpfer“ seine Analyse – in der er zwischen militanten Islamisten mit einer eher regionalen Agenda zur Überwindung heimischer Diktatoren und Terrororganisationen mit einem überregionalen Anspruch unterschied – vor allem mit Blick auf deren Aktivitäten gegen die USA.

Die dschihadistische Bewegung habe nach den Anschlägen vom 11. September 2001 einen Prozess der Internationalisierung vollzogen, der ihren Charakter maßgeblich verändert habe, schreibt er. Al Qaida sei 2001 eine nahezu rein arabische und noch keine multiethnische Organisation gewesen. Heute hingegen hätten bei Al Qaida und der dschihadistischen Bewegung überhaupt nationale, regionale und ethnische Trennlinien ihre Bedeutung verloren „und einer in einem umfassenderen Sinn globalen Bewegung Platz gemacht“. Pakistaner, Türken, Kurden, Tschetschenen sowie zunehmend europäische und amerikanische Konvertiten mischen jetzt mit.

Die aus Deutschland haben da ein nicht unerhebliches Gewicht. In die pakistanische Terrorhochburg Wasiristan kamen immerhin genügend Dschihadisten aus Deutschland, so dass es mit Erlaubnis der Taliban für eine Gruppierung „Deutsche Taliban Mudschahedin (DTM)“ reichte. Nach dem Tod führender Mitglieder existieren die DTM nicht mehr, doch das Phänomen hat sich möglicherweise verlagert. Bei der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) gibt es offenbar eine „Deutsche Brigade Millatu Ibrahim“, benannt nach der 2012 verbotenen, salafistischen Organisation Millatu Ibrahim. Einer der Anführer, der Berliner Denis Cuspert, hält sich seit 2013 in Syrien auf und ist einer der einflussreichsten Propagandisten des IS für den deutschsprachigen Raum. Die „Werbekampagne“ der Terrormiliz, warnt Steinberg, sei weit professioneller als die anderer aufständischer Gruppierungen in Syrien. Der IS hole Rekruten in den sozialen Netzwerken ab, auf Deutsch, aber auch auf Russisch, Türkisch, Englisch, Französisch.

Guido Steinberg: Al Qaidas deutsche Kämpfer. Edition Körber-Stiftung, Hamburg 2014. 457 Seiten, 18 Euro.
Guido Steinberg: Al Qaidas deutsche Kämpfer. Edition Körber-Stiftung, Hamburg 2014. 457 Seiten, 18 Euro.
© Körber

Steinberg ist wieder ein Standardwerk gelungen. „Al Qaidas deutsche Kämpfer“ ist die Analyse einer beunruhigenden Gegenwart, aber auch eine Art Geschichtsbuch mit detaillierten Berichten über die DTM und die Sauerlandgruppe, die in Deutschland verheerende Anschläge gegen US-Einrichtungen vorbereitete. Steinberg beschreibt zudem, was die Bundeswehr in Afghanistan durchgemacht hat. Das Buch ist den im Land am Hindukusch getöteten deutschen Soldaten gewidmet. Das ist eine Geste des Respekts, aber auch gegen das Vergessen der Opfer, die von der Bundeswehr im Einsatz zur – leider vergeblichen – Befriedung Afghanistans gebracht wurden. Frank Jansen

Guido Steinberg: Al Qaidas deutsche Kämpfer. Edition Körber-Stiftung, Hamburg 2014. 457 Seiten, 18 Euro. Das Buch ist ab 1. Oktober im Handel.

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