Premiere auf der Seebühne: Schluss mit Schwere
Frohgemute Jagd nach dem Jetzt: Mit "Der Diener zweier Herren" auf der Seebühne feierte das Hans Otto Theater seine zweite Premiere nach dem Lockdown. Eine Komödie in Dur.
Potsdam - Singend kommen sie, und singend gehen sie am Ende wieder ab. Was das Ensemble da singt, wer weiß das schon? Und wer muss das schon wissen. Die Konsonanten klackern, dass es eine Lust ist, das gerollte R schnurrt, hier weht das Wort „amore“ herein, da „primadonna“. Die Kostüme sind bunt, die Gesten opern- oder stummfilmgroß, die Fensterläden grün: Wir sind in Italien, jawohl. Und zwar mit Carlo Goldoni. Gespielt wird „Der Diener zweier Herren“, auf der Seebühne des Hans Otto Theaters.
Zwei Diener zum Preis von einem
Bevor es losging, hatte Intendantin Bettina Jahnke sich vor das Publikum gestellt – und nach siebenmonatiger Spielpause keine salbungsvollen Worte überbracht, sondern die Nachricht: Es werde zwei Diener geben, zwei Truffaldinos „zum Preis von einem“. Der „alte“, Jörg Dathe, hatte sich bei den Proben am Bein verletzt.
Die zweite Premiere nach dem Lockdown hatte auf der Kippe gestanden. Aufgeben? Keine Option, so Jahnke: „Wir sind ja tapfer“. Ein zweiter Diener musste her. So kommt es, dass Hannes Schuhmacher als Truffaldino2 über die Bühne wirbelt, während Jörg Dathe vorn an der Rampe sitzt und den Text spricht.
Und das funktioniert erstaunlich gut. Das Tempo muss nicht leiden und die Figur des Truffaldino wird um eine Ebene reicher: Plötzlich ist dieser Truffaldino aus Palermo nicht nur zugleich jung und alt, sondern auch von inneren Dialogen durchgerüttelt. Verzweiflung, Schadenfreude, Hunger: alles wird doppelt so groß – und die Figur auch menschlicher. Denn beim inneren Zwiegespräch ist der Zweifel nie weit, und manchmal ist der eine Truffaldino mit dem anderen nicht einverstanden. Dann ist es umso amüsanter.
Meister des Multitasking
Truffaldino ist ein Meister des Multitasking. Vermutlich wäre er in Zeiten, da Diener selten geworden sind, ein niederer Angestellter oder Hilfsarbeiter: potenziell zuständig für alles, verantwortlich für nichts. Jemand, der seine Lebenszeit an andere verkauft.
Um sich darüber groß zu beschweren, fehlt ihm die „Lust an der Selbstbespiegelung“, schreibt der Autor und Übersetzer Martin Heckmanns einleuchtend: „An ihrem Innenleben sind diese Figuren nicht besonders interessiert.“ Das macht sie aus heutiger Sicht so fremd – aber auch so anziehend. Nach über einem Jahr Pandemie mehr denn je. Weg mit der schweren Grübelei, her mit der Leichtigkeit, das ist auch das Credo der Inszenierung von Jan Jochymski.
Was zählt, steht auf dem Jute-Beutel
Zurück also nach Venedig. Hier will der reiche Pantalone (Jon-Kaare Koppe) seine Tochter Clarice (Alina Wolff) gerade mit ihrem Liebsten (Paul Wilms) verheiraten – als jener auftaucht, dem Clarice eigentlich versprochen war: Federigo. Den hatte man tot geglaubt, der Schreck ist daher allenthalben groß. Nur Gastwirtin Brighella (Ulrike Beerbaum) ahnt, was Sache ist: Aufgetaucht ist nicht der Verstorbene, sondern dessen verkleidete Schwester Beatrice (Nadine Nollau). Zusammen mit ihm, dem Diener, dem doppelten Truffaldino.
Beatrice ist auf der Suche nach dem Mörder ihres Bruders, der gleichzeitig ihr Geliebter ist – und zufällig im gleichen Gasthof anlandet: Florindo (mit Ganovenbart: Jan Hallmann). Weil Truffaldino mies bezahlt ist und ständig Hunger hat, heuert er zugleich bei Florindo an, nicht wissend, wer dieser Florindo eigentlich ist. Es interessiert ihn auch nicht. Was für Truffaldino zählt, steht auf dem Jute-Beutel, den er um den Hals trägt: ein Eis zum Beispiel. Essen. Durchkommen, irgendwie. Wenn mit Frau (die er am Ende auch abkriegt), dann umso besser.
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Erfüllung gibt es nur für Momente
Auch wenn die Rechnung also aufgeht (aus einer großen Verknotung verkannter Identitäten entstehen drei Paare): um die Liebe geht es hier allerhöchstens am Rande. Es geht um das Jetzt, den Augenblick. Ohne komplizierten Überbau, ohne an gestern oder morgen zu denken. „Erfüllung gibt es nur für Momente“, sagt Clarice einmal, und diesen Momenten jagt „Der Diener zweier Herren“ nach.
Das Ensemble wirft sich mit ganzer, wiedergefundener Kraft in diese Jagd, spielt geradezu und ohne Hintersinn, spült dem Publikum Heckmanns forsche Übersetzung um die Ohren, rennt treppauf, treppab über die Bühne. Jan Hallmanns verheddert sich so absichts- wie kunstvoll im Geländer, Jon-Kaare Koppe in den schmissigen Dialogen, Ulrike Beerbaum in den Endlos-Spaghetti, Hannes Schumacher zum Schluss in einem Fischernetz – und was auch immer unentwirrbar schien, löst sich am Ende in Luft und Liedern auf. Sogar der Himmel über dem Tiefen See färbt sich rosa.
Einen Moment lang denkt man, dass das auch mit der Pandemie so sein könnte, irgendwann wird man auf das Chaos und die Schwere der Corona-Tage zurückblicken wie auf einen schlechten Traum. So leicht ist das natürlich nicht, aber dass es kurz möglich schien, zeigt doch: Dieser „Diener“ hat ganze Arbeit geleistet.
„Der Diener zweier Herren“, wieder am 8. bis 12., 16. bis 20., 23. und 24. sowie 27. bis 30. Juni, jeweils um 20 Uhr auf der Seebühne des Hans Otto Theaters. Besuch nur mit Impfung oder Negativtest. Ein Last-Minute-Testzentrum befindet sich auf der Schiffbauergasse.
Lena Schneider
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