Potsdams erste Premieren nach dem Lockdown: Schluss mit der Theaterabstinenz
Neues Globe Theater und Poetenpack läuten mit Open-Air-Premieren das Ende der Theaterauszeit in Potsdam ein. Mit Spiellust und Komik geben sie "Don Quijote" und "An der Arche um Acht".
Potsdam - Wie könnte man besser den Wiedereinstand in die Theatersaison feiern als mit einem Stück über das Theater? Mit einer Fabel über die lebenswichtige Rolle von Fantasie? In "Don Quijote" geht es ja bekanntlich um genau das: Da denkt sich einer das Leben anders als es ist. Schöner, spannender, glamouröser. Bestreitet mit aller Kraft Kämpfe gegen imaginäre Ungeheuer und kämpft ebenso vehement gegen Einwände, dass das alles nur ausgedacht sei. Als die Kraft für die Fantasie zu Ende ist, ist auch sein Leben zu Ende.
Das erste Mal Theater nach Monaten des Entzugs
Die berühmte Geschichte vom "Ritter der traurigen Gestalt", geschrieben 1605, könnte eine ziemlich traurige sein, aber das Neue Globe Theater hat sich ausdrücklich für das Gegenteil entschieden. Das Publikum, das nach Monaten des Theaterentzugs am Freitagabend (21.5.) erstmals wieder auf dem Schirrhof zusammenkam, um - live!, analog! - Menschen auf einer Bühne beim Erfinden vom Geschichten zuzusehen, sollte etwas zu lachen haben. Und es lachte herzlich, gönnte sich ein Glas Wein, und geizte auch nicht mit Szenenapplaus. Trotz kühler Temperatur und trotz einiger Längen in der Schlussgeraden.
Ob und unter welchen Bedingungen die Aufführung tatsächlich stattfinden würde, war bis rund eine Woche vor der Premiere unklar gewesen: Die von Kulturministerin Manja Schüle im Rahmen der Langen Nacht der Freien Theater gemachte Aussage, dass hoffentlich zu Pfingsten wieder Theater möglich sei, hatte viele in der Szene überrascht: positiv freilich. Die Spiellust ist nach Monaten der Abstinenz groß. Das Neue Globe Theater hatte seine letzte Vorstellung vor dem Lockdown am 24. Oktober gegeben. Vor sieben Monaten.
Auf becketthafte Weise ausgedünnt
Nun also "Don Quijote". Die Theaterfassung des Buches, 2002 vom Osloer Nobelinstitut zum besten der Welt gekürt, stammt von Jakob Nolte. Er hat auf geradezu becketthafte Weise ausgedünnt. Auf der Bühne stehen nur zwei Gestalten: Don Quijote, als blechern gekleideter, vor Wahn und Stolz glühender Möchtegern-Ritter gespielt von Laurenz Wiegand, und sein Knappe Sancho Panza, mit rundem Bauch und viel gutmütiger Chuzpe gespielt von Andreas Erfurth.
Einziges Requisit auf der Bühne: ein meterhohes Buch. Erinnerung daran, woher dieser Don Quijote seine antiquierte Idee des Rittertums hat - und auch daran, wozu die Abenteuer Don Quijotes mal werden sollen: Romanstoff. Eine Metaebene, die schon in Cervantes Roman eine Rolle spielt übrigens.
Zwei ziellose Wanderer, die nicht vom Fleck kommen, da steckt viel godothaft Existenzielles drin. Regisseur Kai Frederic Schrickel stürzt sich aber ganz auf das komische Potenzial. Alles hier ist groß: das Spiel der beiden auf der Bühne, das Schwert Don Quijotes, der Bauch Sancho Panzas, die Wünsche Sancho Panzas (ein Eiland will er, nichts weniger!). Aber am größten ist natürlich der Wahn Don Quijotes. Seine Geliebte Dulcinea del Toboso ist die Schönste überhaupt (in Wahrheit eine Bauerstochter), die gegnerischen Heerscharen Hundertschaften (in Wahrheit eine Schafsherde).
Pantomimische Feinstarbeit
Wir sehen nichts davon, auch die Windmühlen flappen nur als Geräusche über die Bühne: Und doch sehen wir alles. Die Prügel, die Don Quijote einstecken muss, das Windmühlenrad, auf dem er hängen bleibt, das Pferd Rosinante (in Erfrurths Pantomime furchterregend groß) und den Esel Rucio (auf dem Sancho Panza eher holprig reitet), die verzierten Wappen der ritterlichen Armeen (die Sancho Panza als eine Hammelherde erkannt hat).
Überhaupt hat dieser Sancho Panza wesentlich mehr Durchblick als sein Herr - die "Aventiures" machen ihm sichtlich Spaß, er genießt sie als das, was sie sind: Als-Obs. Die mit stoischer Regelmäßigkeit und in hochkomischer pantomimischer Feinstarbeit durchexerzierten Abendrituale nach jedem Abenteuer zum Beispiel, vom Bereiten des Nachlagers übers Nachtgebet bis zum Ausknipsen der Lampe. Stets bestens synchronisiert übrigens mit der virtuos live an der Gitarre eingespielten Musik von Rüdiger Krause. Da weht ein Hauch europäischer Süden herein, da können die lauen Sommernächte kommen.
Gott hat die Nase voll
Noch aber befinden wir uns im nordeuropäischen Mai, das wurde auch anderntags beim Open Air im Q-Hof deutlich. Hier hatte am Pfingstsamstag das erste Kindertheaterstück nach dem Lockdown Premiere: "An der Arche um Acht" von Ulrich Hub, gespielt vom Poetenpack. Der Wind zottelte an Bühnenbild und Baumwipfeln, einige Regentropfen für die Darsteller:innen auf der Bühne gab es auch.
Das Publikum sitzt derweil geschützt unter einem Dach. Reist zu drei Pinguinen in antarktische Gefilde: drei liebenswerte Streithammel (Georg Peetz, Felix Isenbügel, Henny van de Ven). Sie langweilen, streiten und vertragen sich, bis plötzlich eine Taube (Marianna Linden) auftaucht, die verkündet, dass Gott die Nase voll hat und nochmal neu anfangen will. Alle aufs Boot also, hop-hop, die Arche wartet schon. Aber: Von jeder Spezies nur zwei. Das führt zu Streit, natürlich, aber auch zu der Erkenntnis: Die drei wollen zusammenbleiben. Peng (Henny van de Ven) kommt in eine Kiste und mit an Bord.
Moralisierend? Höchstens ein winziges Bisschen
Moralisierend? Ach was. Höchstens ein winziges bisschen. Denn natürlich geht es hier um wahre Freundschaft, um die Frage von Richtig und Falsch, um Verantwortung und Gottes Rolle in all dem. Vor allem aber geht es in der Regie von Gislén Engelmann darum, dass in jedem Wesen immer beides wütet. Gut und schlecht, Eigennutz und Großzügigkeit. Vielleicht sogar die Suche nach Gott und die Gewissheit, dass das angesichts der Lage der Dinge in der Welt eigentlich Quatsch ist. Das Kunststück von "An der Arche um Acht" ist, dass man sich nicht entscheiden muss.
Und dass diese hochdialektische Angelegenheit ungemein Spaß macht. Das liegt am Spiel der Darsteller:innen, an der "Sündflut" und daran, dass auf dem Bug des Bühnenschiffs "Arsche" steht. Aber auch an den Liedern, am live eingespielten Akkordeon von Arne Assmann, daran, dass die Regie ein gutes Gefühl für Timing und Humor hat.
Trillerpfeiffenstreng und täubchenzahm
Und nicht zuletzt an Marianna Linden. Bis 2018 war sie Ensemblemitglied im Hans Otto Theater, seit 2020 gehört sie zum Poetenpack. Ihre Taube ist all das, was dieses Stück so sehenswert macht: liebenswert und frech, trillerpfeiffenstreng und täubchenzahm, überbordend vor Spielfreude und Witz. Darunter blitzen Abgründe auf, dass einem als Erwachsenen angst und bange wird. Die kann man sehen, muss man aber nicht. Man kann sich auch einfach freuen, dass das erst der Anfang ist. Es geht wieder los auf Potsdams Bühnen.
"Don Quijote", wieder am 22., 23. und 24. Mai je um 20 Uhr auf dem Schirrhof des T-Werks sowie Ende Juli bei den Schirrhofnächten. Für den 23. und 24.5. gibt es noch Karten, zu bestellen auf der Webseite des T-Werk oder tel. unter (0331) 73042626.
"An der Arche um Acht", wieder am 24. Mai und 12. Juni je um 15 Uhr im Q-Hof, Lennéstraße 37. Kindergarten- und Schulvorstellungen: am 10. und 11. Juni je um 10 Uhr. Es gibt noch Karten unter über die Webseite des Theaters.
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