Neuer Sampler "Unter’m Radar – Potsdam Sound 2020“: Rotzig, poetisch, bunt
Was Potsdams Rock- und Popszene zu bieten hat, zeigt eine neue Platte, die demnächst auf dem Lalonova-Label von dem Potsdamer Musiker Kai Mader erscheint.
Potsdam - „Mutter Brandenburg / bist du der Staub den ich schlucke / grau in grau mein Genuss / ein Pförtnerhaus / voll mit Todesanzeigen vom letzten Jahrtausend / die keiner mehr liest / weil alle schon tot sind“. Mit diesen schwarz-poetischen Zeilen des Potsdamer Singer-Songwriters Rolf Blumig beginnt der Song „Brndnbrg“, ein schräges Porträt des ostdeutschen Bundeslandes, das von Rainald Grebe bis KIZ schon viele zu zweifelhaften Lobeshymnen inspiriert hat. Es ist auch der erste Song des Samplers „Unter’m Radar – Potsdam Sound 2020“, der demnächst auf dem Lalonova-Label des Potsdamer Musikers Kai Mader erscheinen wird.
Der Fokus liegt – anders als der Eröffnungssong suggeriert – auf der Landeshauptstadt: Seit 2016 ist es die erste Compilation, die einen breiten Überblick über Potsdams alternative Rock- und Pop-Szene gibt, von Punk über Indierock bis hin zu Funk, Postpunk und psychedelischem Progressive Rock. Zuletzt hatte das Potsdamer Musik-Kollektiv Brausehaus vor drei Jahren einen Sampler mit je einem Song. „Es ist erstaunlich, wie viele gute Bands es in Potsdam gibt“, sagt Mader, der bei der Recherche auf einige lokale Musiker gestoßen ist, die auch er davor nicht kannte.
Gegen den Strich gebürstet
Offiziell veröffentlicht wird der Sampler als Vinyl-Schallplatte am 20. Dezember um 18 Uhr bei einer „Vinysage“ im Jugendkulturzentrum Freiland: Dabei soll die Platte feierlich gemeinsam mit allen neun Bands, die einen Song beigesteuert haben, ausgepackt werden. Anschließend will man die Platte zusammen anhören, und Rolf Blumig wird ein paar Songs spielen.
Blumig steht nicht umsonst am Anfang der Trackliste: „Ein sehr gegen den Strich gebürsteter Singer-Songwriter mit riesigem Potential“ sei er, findet Mader. Sein „Brndnbrg“-Song sei auch die Initialzündung für den Potsdam-Sampler gewesen, den Mader schon seit Längerem geplant hatte: „Dieser verquere und rotzige, etwas punkige Sound sollte den Klang für die ganze Platte vorgeben. Die Songauswahl sollte stilistisch rund sein.“ So finden sich tatsächlich vor allem gitarrenlastige und Punk-beeinflusste Bands auf der Compilation, zum Beispiel Deliria und Dranske, die mit den deutschsprachigen Songs „Soloking“ und „Wir haben Wurst“ vertreten sind, aber auch das Frauen-Duo Mackermassaker, das eigens für die Compilation ein neues Stück aufgenommen hat.
Contra geben
Auch das Cover gibt Contra: Zwei zerbrochene weiße Sterne auf grauem Boden – „Aufbruch und Widerspruch“ lautet das Motto, denn die Sterne sind eindeutig der Sternfassade des ehemaligen Fachhochschul-Gebäudes am Alten Markt zuzuordnen, die in der linksalternativen Szene Potsdams mittlerweile zu Ikonen geworden sind.
Bekannte Potsdamer Bands wie Hasenscheiße, Pulsar Trio oder das auf dem Lalonova-Label beheimatete Footprint Project sind nicht Teil der Compilation. Zum einen passen sie nicht in den von Mader angestrebten Sound, zum anderen ist es auch gar nicht das Ziel des Samplers, eine repräsentative Auswahl der erfolgreichsten Bands aus Potsdam zu liefern. Entsprechend dem Titel liegt der Fokus auf den Musikern, die „Unter’m Radar“ fliegen und dennoch der Entdeckung wert sind.
Verweise auf die Zukunft
Der vordatierte Untertitel „Potsdam Sound 2020“ verweist bewusst auf die Zukunft: „All diese Bands werden im kommenden Jahr sehr aktiv und präsent sein“, sagt Mader. Dazu zählen definitiv die Indierock-Newcomer Planet Obsolescence, die mit dem lässig daherrumpelnden „Colitis Ulcerosa“ eins der Highlights der neuen Platte liefern. Die Band wird nämlich im nächsten Jahr ihr Debütalbum herausbringen.
Auch die Brausehaus-Band Eat Ghosts, die den Psychedelic-Prog-Song „Fancy Free“ beigesteuert hat, ist derzeit sehr umtriebig und gibt regelmäßig deutschlandweit Konzerte. Zusammen mit der Postpunk-Band The Antikaroshi gehören sie zu den bekanntesten Acts auf Maders Sampler. Zu den größten Überraschungen hingegen gehören die Fabulous P-Boiz, dessen schmissiger Funk-Chanson „Asphalt“ den Schlusspunkt der Platte bildet.
In Potsdam geht was
„Unter’m Radar“ zeigt: In Potsdam geht was, und die Mischung aus Newcomern und schon lang aktiven Bands macht deutlich, dass es auch in Zukunft noch viel Hörenswertes aus Brandenburgs Landeshauptstadt geben wird. Man braucht übrigens nicht zwangsweise einen Plattenspieler, um in den Genuss der Musik zu kommen: Das auf 300 Stück limitierte Vinyl-Album wird ab dem 20. Dezember in digitaler Form auch auf allen gängigen Streamingplattformen wie Bandcamp oder Spotify vertreten sein. Eine CD wird es nicht geben: „Vinyl und Streaming werden aus meiner Sicht die zwei Formate sein, die überleben werden“, begründet Mader die Entscheidung, „Vinyl für das Format Album und Streaming für Singles.“
„Unter’m Radar“ ist der erste Tonträger, der im Rahmen des Projekts „Made in Brandenburg“ erscheint, welches von Mader ins Leben gerufen wurde. Das mit Mitteln des Europäischen Sozialfonds geförderte Projekt soll lokalen Musikern aus Brandenburg dabei helfen, ihre Musik aufzunehmen und überregional zu verbreiten – wozu unter anderem Maders Big-Cloud-Tonstudio zur Verfügung steht.
Die neue Platte soll auch nicht das letzte Release sein, das über „Made in Brandenburg“ entsteht: „Es ist durchaus möglich, dass es im nächsten Jahr noch einen Sampler geben wird“, sagt Mader. Zudem plant er einen gemeinsamen Auftritt aller neun Bands von „Unter’m Radar“ beim Lalonova-Festival im August 2020.
>>Lalonova-Festival, 28. bis 30. August 2020 im Freiland, Mehr unter www.lalonova-festival.de