Potsdams erster Curator in Residence verabschiedet sich: „Potsdam ist eine Stadt der Fassaden“
Der nigerianische Künstler Folakunle Oshun war ein Jahr lang in Potsdam unterwegs – als erster „Curator in Residence“ der Stadt. Als Abschiedsgeschenk hinterlässt er den Film „Potsdam is Potsdam“, in dem er Menschen aus Potsdam interviewt.
Wenn Potsdam eine Skulptur wäre, sagt Folakunle Oshun, dann hätte sie zwei Seiten. Die eine wäre glatt, weich, das Material womöglich Marmor, eine Augenweide. Auf der Rückseite aber wäre der Stein rau und widerborstig, zerklüftet. Wie Rodins Höllentor vielleicht, sagt er. Dieses berühmte Relief, das nackte Leiber zeigt, im verzweifelten Kampf um ihr Leben.
Ob die Sache mit dem Höllentor ernst gemeint ist, lässt sich so richtig nicht sagen. Folakunle Oshun ist ein sanfter Mann, einer, der gut zuhört, sich Zeit für Antworten nimmt, und an Stellen Witze einstreut, wo man es nicht erwartet. Einer, der über diese Witze dann so lacht, dass man nicht weiß, ist das sanfter Humor oder doch schon die Überlebensstrategie eines Verzweifelten. Oder beides.
Potsdam, dieses Städtchen, in dem der aus der nigerianischen Millionenmetropole Lagos stammende Künstler und Kurator Folakunle Oshun inzwischen ein Jahr verbracht hat, ist in der Rückschau kein einfacher Ort für Folakunle Oshun. Kein Ort, der sich einfach greifen ließe – vielleicht gerade, weil es ein Ort ist, der es ihm einfach machen wollte.
Potsdams erster Curator in Residence, ein Wagnis und Pilotprojekt
Es begann damit, dass die Stadt vor einem Jahr 30 000 Euro in die Hand nahm und den Posten eines „Curator in Residence“ ausschrieb, erstmals. Sie rief eine prominent besetzte Jury unter dem Vorsitz von Gerrit Gohlke, Leiter des Brandenburgischen Kunstvereins, zusammen, auch Ortrud Westheider, Direktorin des Museum Barberini, gehörte dazu. Die Jury entschied sich für ihn, Folakunle Oshun, Jahrgang 1984, damals gerade Kurator der ersten Lagos Biennale. Ein Pilotprojekt, wie auch der Potsdamer „Curator in Residence“.
„Wenn es funktioniert, wollen wir gerne in Serie gehen“, sagte Potsdams Kulturbeigeordnete Noosha Aubel damals. Gerrit Gohlke sagte, die Herausforderung sei es, „das Unwahrscheinliche in etwas Wahrscheinliches zu verwandeln“. Das Unwahrscheinliche war das Projekt, mit dem sich Oshun beworben hatte: als Künstler aus Nigeria ohne Deutschkenntnisse Potsdamer dazu zu bringen, ihn in ihre Häuser einzulassen, mit ihm gemeinsam zu essen und über eine ziemlich intime Sache zu sprechen. Herkunft. Heimat. Potsdam.
Potsdam, eine Stadt der Fassaden
So kam Folakunle Oshun in die Schiffbauergasse. Es war November, es war kalt. Kalt war es auch, als er sich im Dezember erstmals der Presse vorstellte. Und kalt war es, als er im Februar im Pavillon auf der Freundschaftsinsel einen ersten Einblick in seine Arbeit gab. Fotografien waren das, aufgenommen auf Streifzügen durch die Stadt. Von Polizisten auf dem Weihnachtsmarkt. Von Kinderrucksäcken im nasskalten Laub. Von einem Graffito in Babelsberg. Von einem verlassenen Sportplatz im Volkspark. Und immer wieder Pyramiden, hinterm Bahnhof, im Neuen Garten, an der Biosphäre.
Die fremde Form faszinierte ihn, dieser Import aus einer anderen, afrikanischen Kultur überall im Stadtraum. Am bizarrsten war für ihn die Pyramide im Neuen Garten: dass sich ein König die als Kühllager in den Park gestellt hatte, fand Oshun unglaublich. Das Fremde als Fassade, als Deko, Ausdruck der Lust und der Mittel eines Monarchen. „Potsdam ist eine Stadt der Fassaden“, sagte Oshun im Februar. Da war er gerade drei Monate hier.
Tägliche Begegnungen mit Rassismus und Schönheit als Therapie
Neun Monate später ist es wieder kalt. Wieder November. Der Aufenthalt von Folakunle Oshun neigt sich dem Ende zu, er ist aus seiner Stipendiatenwohnung ausgezogen, um nicht noch einen vollen Monat Miete zahlen zu müssen. Bis zur Rückreise wohnt er bei einer Freundin, der Freundin einer Freundin eigentlich. Zwei Rucksäcke, ein Koffer, eine große Einkaufstasche. Nicht viel Gepäck für ein Jahr. Und doch mehr als bei der Ankunft.
Was nimmt Folakunle Oshun sonst noch mit zurück aus Potsdam?
Freunde, bei denen er unterkommt, so könnte ein Teil der Antwort lauten. Oder: beinahe tägliche Begegnungen mit Alltagsrassismus, mit dem Türsteher, der seine Tasche untersucht, den Jugendlichen, die ihn um Drogen bitten, Menschen, die sich in der Straßenbahn nicht neben ihn setzen. All das hat er in Potsdam erlebt. Seine Antwort aber lautet, ohne Bitterkeit: „Was ich mit zurücknehme, ist, Schönheit als Therapie zu begreifen. Potsdam hat mir gewissermaßen gezeigt, wie es ist, von Schönheit besiegt zu werden.“
Und damit meint er nicht nur die märchenhafte Dimension der Schlösser und Parks, den Zauber des Heiligen Sees, das schöne Alte, noch Erhaltene. Er meint auch den Eifer, mit dem in Potsdam das Alte wiederhergestellt, der Fleiß, mit dem die ansehnlichen Aspekte der Geschichte hier aufpoliert werden. Die neuen Häuser am Alten Markt erinnern ihn an die Ruinen auf dem Ruinenberg. Künstliche Versatzstücke einer Vergangenheit, die so schön wohl nie war. Fassaden. Potsdams neue Mitte, ein Ruinenfeld?
Folakunle Oshuns Film zitiert den ehemaligen Oberbürgermeister
So beschreibt das Folakunle Oshun, wenn man mit ihm bei Tee in der Wohnung seiner Bekannten sitzt. Das Abschiedsgeschenk, das er hinterlässt, bevor er zurück nach Lagos fliegt, ist weniger streng. Keine Ausstellung ist es geworden, wie anfangs mal angekündigt, auch kein Hologramm, wie er es gerne ausprobiert hätte. Sondern ein Film, sein erster: „Potsdam is Potsdam“. Ein Zitat des ehemaligen Oberbürgermeisters Jann Jakobs, das Folakunle Oshun beeindruckt hat, und nicht nur positiv.
„Potsdam ist in einer Art Nostalgieblase gefangen“, sagt er – aber nicht im Film. Mit dem Film wollte er nichts über Gebühr kritisieren, das will er sich nicht anmaßen. „Potsdam is Potsdam“ ist auch künstlerisch kein Wagnis, sondern eine zugängliche Dokumentation jenes Formats, das er sich für Potsdam überlegt hat: vier Abendessen in unterschiedlichen Familien, die er in Potsdam kennengelernt hat. Vier Perspektiven auf eine Stadt. Vier Menschen, die auf die eine oder andere Art fremd hier sind. Oder waren.
Aus England eingewandert, aus Syrien geflüchtet, aus Bonn zugezogen
Da ist der britische Exsoldat, der heute mit Immobilien handelt und kleine Büsten vom großen Friedrich auf dem Fenstersims stehen hat. Da ist der in den frühen 1990er-Jahren aus Bonn Zugezogene, der sich in der Flüchtlingshilfe engagiert, dessen Frau nach dem Krieg aus Breslau nach Westdeutschland floh. Da ist die junge Frau aus Syrien, die mit ihrer Familie hier lebt, gerne hier lebt. Und fest daran glaubt, dazuzugehören, wenn ihr Deutsch erst gut genug ist.
Und da ist Patricia Vester, Tochter eines Schwarzafrikaners und einer Deutschen. In Potsdam aufgewachsen, in einer Zeit, in der Neonazis in Springerstiefeln zum Stadtbild gehörten und es normal war, sich als Schwarze abends nicht auf die Straße zu trauen. Sie sei damals eine von nur einer Handvoll Farbigen in Potsdam gewesen, sagt sie im Film. Sie sagt auch: „Meine Angst nimmt heute wieder zu.“
Folakunle Oshun hat zugehört, hat all das aufgezeichnet. Er kommentiert es nicht. Zwischendurch sieht man ihn durch Potsdam laufen, auch im schicken Anzug über die Glienicker Brücke. „Ich wollte nicht als Messias nach Potsdam kommen“, sagt er. „Ich war hier als Spion unterwegs.“
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„Potsdam ist Potsdam“ wird in Anwesenheit von Folakunle Oshun am heutigen Samstag um 17 Uhr im Pavillon auf der Freundschaftsinsel gezeigt, dazu gibt es Fingerfood
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