zum Hauptinhalt
Das Maschinengewehr M 1908 feuerte ungefähr 450 Schuss pro Minute. Heute ist sie ein Ausstellungsobjekt und wird in der Schau des Deutschen Historischen Museums zum Ersten Weltkrieg präsentiert (bis zum 30. November). Der Ausstellungskatalog versammelt symbolhaft für den Krieg 99 weitere Objekte: den Waffenrock von Karl Liebknecht, eine Stacheldrahtrolle aus Péronne, eine Feldpost-Spielesammlung oder auch eine Schellackplatte mit einer Ansprache von Conrad von Hötzendorf. Der Erste Weltkrieg in 100 Objekten. Theiss Verlag, Darmstadt 2014. 240 Seiten, 24,95 Euro.
© Theiss

Erster Weltkrieg: Liveticker aus der Hölle

600 000 Tote für vier Kilometer Geländegewinn: Olaf Jessen analysiert in seinem mitreißend geschriebenen Buch die Schlacht von Verdun.

Der Erste Weltkrieg begann nicht bloß mit einer militärischen, sondern auch mit einer geistigen Mobilmachung. Thomas Mann bejubelte den Kriegsausbruch: „Wie hätte der Künstler, der Soldat im Künstler nicht Gott loben sollen für den Zusammenbruch einer Friedenswelt, die er so satt, so überaus satt hatte! Krieg! Es war Reinigung, Befreiung, was wir empfanden.“ Alfred Kerr reimte gegen die verfeindeten Russen: „Zarendreck, Barbarendreck/ Peitscht sie weg! Peitscht sie weg!“ Der patriotische Überschwang war gewaltig im Sommer 1914. Tagtäglich wurden den deutschen Zeitungen etwa 50 000 Kriegsgedichte aus der Bevölkerung zugeschickt, bis Ende des Jahres erschienen 235 Kriegslyrikbände.

Erstaunlicherweise waren es gerade die Avantgardisten, die den Beginn des großen Mordens begrüßten. Sie hofften auf eine Erneuerung und sahen den Krieg als Zerstörer, der die wilhelminische Ordnung hinwegfegen würde, die ihnen so verhasst war. Franz Marc, der die Künstlervereinigung „Der Blaue Reiter“ mitgegründet hatte, schrieb im November 1914 an seine Frau: „Die Welt aber will rein sein, sie will den Krieg. Um Reinigung wird der Krieg geführt und das kranke Blut vergossen.“

Der Maler hatte sich gleich im August 1914 als Kriegsfreiwilliger gemeldet und war zum Leutnant aufgestiegen. Der Grabenkampf an der Westfront desillusionierte ihn. Im Oktober 1915 nannte er in einem Brief den Krieg den „gemeinsten Menschenfang, dem wir uns ergeben haben“. Bald darauf wurde Marc in die „Liste der bedeutendsten Künstler Deutschlands“ aufgenommen, was ihn vom Kriegsdienst befreit hätte. Er fiel, 36 Jahre alt, im März 1916 in der Nähe von Verdun. Am nächsten Tag wäre er aus der Armee entlassen worden.

„Nie wieder starben so viele Soldaten auf so engem Raum“

An das Schicksal von Franz Marc erinnert der Sammelband „Sie starben jung!“. Der Maler der gelben Kühe und blauen Pferde befand sich in bester Gesellschaft. Auch Marcs Freund August Macke, die Maler Hermann Stenner und Wilhelm Morgner, der Schriftsteller Gorch Fock und die Dichter Ernst Stadler, Georg Trakl und August Stramm zogen begeistert in einen Krieg, den sie nicht überleben sollten. Den Beginn des Feldzugs, so bilanzieren die Herausgeber Burcu Dogramaci und Friederike Weimar, begrüßten sie „als Möglichkeit, Grenzerfahrungen zu sammeln, die anschließend ihr Werk befruchten sollten“. Nur, dass es dieses „anschließend“ für die Künstler dann nicht mehr gab.

Als Franz Marc bei Verdun von zwei Granatsplittern getötet wurde, tobte dort bereits seit sechs Wochen jene Schlacht, die als fürchterlichste des Ersten Weltkriegs in die Geschichte eingehen sollte. In dreihundert Tagen und dreihundert Nächten starben etwa 281 000 deutsche und 317 000 französische Soldaten. Um jeden Quadratmeter vor der lothringischen Festungsstadt wurde erbarmungslos gerungen, die Erde war buchstäblich mit Blut durchtränkt.

Verdun ist zum Symbol nicht nur für die Brutalität der modernen, industrialisierten Kriegführung geworden, sondern auch für deren Sinnlosigkeit. Denn am Ende, als sich die erschöpften deutschen Angreifer auf ihre Ausgangspositionen zurückzogen, hatte sich am Frontverlauf nahezu nichts geändert. „Nie wieder starben so viele Soldaten auf so engem Raum“, schreibt Olaf Jessen, der dieser Mutter aller Materialschlachten eine umfassende, akribisch recherchierte Darstellung widmet.

Im Grabenkrieg – das hatten die Kämpfe seit dem Spätsommer von 1914 gelehrt – war die Defensive stets im Vorteil. Denn für den Angreifer war die Eroberung der feindlichen Linien im Feuer der Maschinengewehre und Granatwerfer nur unter enormen Verlusten möglich. Das wusste auch der deutsche Generalstabschef Erich von Falkenhayn, der die Angriffspläne für Verdun ausgearbeitet hatte. Ihm war klar, dass er die französische Verteidigung auch mit starker Übermacht nicht einfach würde durchstoßen können, er setzte auf einen „Durchbruch über Bande“. So sollten die Truppen die Höhenzüge am Ostufer der Maas einnehmen und von dort aus die gegnerischen Stellungen beschießen. Weil die Franzosen ihre stärkste Festung niemals räumen würden, sollten sie bei Verdun „verbluten“. Außerdem rechnete Falkenhayn fest mit einer Entlastungsoffensive der britischen Armee, in der er den eigentlichen „Erzfeind des Reiches“ sah. Darauf wollte er mit einem „kriegsentscheidenden Gegenstoß“ reagieren.

Wie verroht die Kämpfer nach zwei Jahren Krieg schon waren, zeigt sich auch an ihrer martialischen Sprache. Falkenhayn, den Jessen als emotional gehemmten Sozialdarwinisten beschreibt, benutzte das Wort „Blut“ und seine Komposita mit geradezu obsessiver Lust. Er sprach von „Ausbluten“ und „Weißbluten“, gar von einer „Blutpumpe“ oder „Knochenmühle“. Noch in seinen Memoiren versicherte er: „Wir waren entschlossen, Frankreich durch Blutabzapfung zur Besinnung zu bringen.“ Doch zur alliierten Gegenoffensive, für die beim Angriff acht der 25 deutschen Divisionen zurückgehalten wurden, ist es nie gekommen. Und die Kampfmoral der französischen Soldaten war weitaus besser als erwartet.

Verdun war der Wendepunkt des Ersten Weltkriegs

Um die Linien zu halten, war der französischen Führung jedes Mittel recht. So erließ der Oberbefehlshaber Joseph Joffre, als Ende Februar 1916 die Schlacht verloren zu gehen schien, die Anordnung, dass jeder Kommandeur, „der unter den gegenwärtigen Umständen einen Rückzugsbefehl erteilt“, vor dem Kriegsgericht enden solle. Bewundernswert war aber vor allem die Fähigkeit der Verteidiger zur Improvisation. Weil die reguläre Bahnverbindung zerstört war, ließ General Philippe Pétain, der mit der Verteidigung des Frontabschnitts Verdun betraut wurde, eilig eine alte Schmalspurbahn ausbauen, über die dann die Versorgung der Festung erfolgte. Pétain, später als „Held von Verdun“ verehrt, ersann außerdem ein Rotationssystem, nach dem die französischen Soldaten alle zehn bis 14 Tage an der Front abgelöst wurden. Die deutschen Soldaten hatten den Angriff unter dem anmaßenden Titel „Operation Gericht“ begonnen. Anfang März, als ihre Offensive im Sperrfeuer liegenblieb, sprachen sie erstmals von den „Hölle von Verdun“.

Die Schlacht an der Maas ist in den Schilderungen von Augenzeugen so dicht überliefert wie wohl kein anderes Gefecht mit deutscher Beteiligung. Auf diese Berichte hat Jessen in der Freiburger Forschungsanstalt für Kriegs- und Heeresgeschichte zurückgegriffen. So gleicht sein Kapitel über die Eroberung des Forts Douaumont, zu dem sich Dutzende von Zeugnissen vom Bataillonskommandeur bis hinab zu den Mannschaften erhalten haben, einer großen Reportage. Beinahe liest es sich wie ein Liveticker-Bericht.

Der Musketier Ewald Kreysig erzählt, dass ein Franzose, der ihm durch den Stiefelschaft geschossen hatte, „seinen Lohn durch meinen Gewehrkolben bekommen“ habe. Auch Leutnant Eugen Radtke beobachtet, wie sein Gefechtsmelder „einem Franzmann mit dem Gewehrkolben den Schädel einschlägt, als dieser mich durch Nahschuss erledigen will“. Und Musketier Otto Paulitz freut sich über die Flucht der Gegner: Dabei kommen „die Franzmänner ins Rennen“, und es macht „uns riesig Spaß, die Biester stehend freihändig abzuknallen“. Worte wie „Töten“ und „Sterben“ tauchen in den Erinnerungen selten bis nie auf, stattdessen „funkt“ oder „knirscht“ es, es wird jemandem „besorgt“ und man setzt „Treffer“.

Verdun wurde zum Wendepunkt des Ersten Weltkriegs. Das deutsche Kaiserreich, das mit seinem Konzept des „Ausblutens“ gescheitert war, würde diesen Krieg nicht mehr gewinnen können. Der glücklose Erich von Falkenhayn wurde an der Spitze des Generalstabs durch Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff ersetzt, die Deutschland in eine monarchistische Militärdiktatur führen sollten. Am Ende der Schlacht hatte sich die deutsche Front allenfalls vier Kilometer nach Süden bewegt. „Die Hölle von Verdun endet beinahe dort, wo sie begann“, resümiert Olaf Jessen in seinem mitreißend geschriebenen Buch.

Olaf Jessen: Verdun 1916. Urschlacht des Jahrhunderts. C.H. Beck, München 2014. 496 Seiten, 24,95 Euro.

Burcu Dogramaci, Friedericke Weimar (Hg.): Sie starben jung! Künstler und Dichter, Ideen und Ideale vor dem Ersten Weltkrieg. Gebr. Mann Verlag, Berlin 2014. 120 Seiten, 24, 90 Euro.

Zur Startseite