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Lenin als Klotzfuß.
© Andreas Klaer

Duo "Leonid Keller": Kunst-Blick auf die Geschichte der Villa Francke

Lenin, Limbotanz und Sowjetpropaganda:  Derzeit ist die Villa Francke Ort einer Installation, in der man viel Zeitkritik findet.

Potsdam - Lenin trägt schwer an der Betonplatte, die eigentlich der Sockel für seine Büste sein sollte. Auf der Platte liegt ein Buch mit den Thesen des Revolutionärs, verfasst auf Vietnamesisch. Getragen wird die Platte von vier kleinen, weißen Büsten, die das Konterfei des Sowjetführers zeigen. Das Buch ist zerfressen, die Revolution zernagt und abgeblasen. Ein Wurm hat sich von der Rückseite bis in die Mitte der Seiten durchgefressen und seine Spuren in dem Text hinterlassen. „Wir haben das 2014 in Saigon von einem Trödelhändler gekauft“, erklärt Julia Ossko. Sie und ihr Partner Eugen Schulz bilden das Künstlerduo „Leonid Keller“.

Der 1984 in Kasachstan geborene Eugen Schulz ist 1994 nach Deutschland gekommen, hat zunächst in Hildesheim Design und dann an der Kunsthochschule Berlin Weißensee künstlerische Raumstrategien studiert. Die 1978 in München geborene Julia Ossko wuchs auch in New York auf, studierte in Berlin Design mit dem Schwerpunkt Fotografie und war für die bekannte Fotoagentur Magnum in Paris tätig. In der künstlerischen Installation in den Räumen der Villa spiegelt sich auch die Vielgestaltigkeit der Qualifikationen des Künstlerpaares. 

Zeitkritik und Limbo

Für eine kurze Zeit verwandeln sie mit einer intelligenten Installation die unteren Räume der Villa Francke in ein Gesamtkunstwerk. Der helle, offenen Raum, ausstaffiert mit einigen dunklen Marmorsäulen und ornamental gestaltetem Parkettmuster ist ein dankbarer Ort für die assoziationsreiche Kunst des Duos. Ihre Werke pendeln zwischen raffiniertem Arrangement und anspielungsreicher Zeitkritik. 

Betritt der Besucher den hohen Eingangsraum, wird ihm sogleich der weitere Weg verwehrt von einem runden Holzstab, der in Hüfthöhe zwischen den Türpfosten klemmt. Auf dem findet sich mit Runenlettern eingefräst der Schriftzug: Limbo. Das ist nun wenig doppeldeutig. Der karibische Tanz, bei dem sich Tänzer unter eine Holzstange hindurch bewegen, heißt so. Aber auch die Assoziation an den Limbus, den Ort an dem die verdammten Seelen verharren, die nicht in den Himmel zu gelangen vermögen, klingt an. 

Gleich dahinter hängt an einem bewusst einfach gehaltenen Baugerüst ein Triptychon, das die Form des klassischen Altarbildes aufnimmt. Zu sehen ist darauf allerdings nur eine völlig monochrome schwarze Fläche. Der Limbus? Ein schwarzer Altar der entrückten Propaganda? 

Schon die Eingangssituation der Ausstellung macht deutlich, dass der Ort, an dem die Kunst gezeigt wird, kein beliebiger ist. Die 1873/74 von dem Hofarchitekten Reinhold Persius errichtete Villa blickt auf eine bewegte Geschichte zurück. Errichtet im historisierenden Villenstil, mit viel Marmor, erfuhr sie 1911 eine Modernisierung durch den Architekten Peter Behrens. Die Nationalsozialisten okkupierten die Villa nach 1933. Zu Zeiten der DDR nutzte das russische Militär das Haus als Labor, enteignete die Familie Francke allerdings nicht. Denn im Grundbuch eingetragen war das 13.000 Quadratmeter große Grundstück mit 720 Quadratmetern bebauter Fläche als britisches Eigentum. Die Nachfahren des Holzhändler Francken hatten sich in Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia engagiert. So hatten sie einen britischen Pass erhalten, nachdem das Gebiet nach dem Ersten Weltkrieg faktisch zu einer Kolonie Südafrikas geworden war. 

Bemühungen, die Villa für Kunst zu öffnen

Seit 2018 gehören Gebäude und Grundstück der Villa K GmbH des Kunsthistorikers Matthias Köppel und des Architekten Wolfgang Keilholz, die es von der Erbengemeinschaft erworben haben. Pläne dort ein Sammlermuseum zu errichten, hat die Stadt Potsdam mittlerweile abgesegnet. „Wir wissen noch nicht genau, wie das aussehen soll. Wir probieren und prüfen verschiedene Möglichkeiten“, sagt Ute K. Kiehn.

Die Kunsthistorikerin ist damit betraut, den historischen Ort für die Kunst zu öffnen. Die Anregung zur gegenwärtigen Ausstellung gab der Berliner Galerist Johann König. Er schlug Kiehn und Köppel das Künstlerduo zum Bespielen des Raumes vor, weil deren vielschichtige Arbeit zur vielgestaltigen Geschichte des Ortes passe. 

Aufgabe des Künstlerduos „Leonid Keller“ war es, einen ortsspezifischen Ansatz zu finden. Seit dem vergangenen Herbst, versehen mit einem Förderstipendium, arbeitet das Künstlerduo an der Ausstellung. Die bezieht sich nun vielfältig auf die Geschichte des Ortes. Übermalte Fotos von Turnerinnen thematisieren den nationalsozialistischen Körperkult, Videos und Installationen den Sowjetbezug. In Beton eingefasste Fotodrucke auf Keramikplatten zeigen NS-Sportler. Rosa Fahnen hängen im Raum, erinnern an Propagandafahnen, wirken aber wegen der farblichen Verschiebung wie ein ironischer Kommentar zur geölten Propagandamaschinerie. In der Vielfalt der Materialien zeigt sich die intelligente Hinterfragung der Lokalität durch die Künstler.

Auf einem Sockel, unter einer Plastikhaube, liegt ein Cover des Magazins „Life“, so gefaltet, dass nur die Buchstaben „IF“ zu sehen sind. „IF“ – was wäre, wenn – fragt der Schriftzug auf Englisch und eröffnet so im Nichtgesagten einen Möglichkeitsraum, der gut zum gegenwärtigen Stand der Planung der Villa passt. Etwas Neues entwickelt sich, vieles ist bereits in der Vergangenheit geschehen und die Kunst ist der der Kristallisationspunkt der ephemeren Historie und der prospektiven Hoffnungen.

Die Ausstellung ist noch bis zum 23. Februar jeden Samstag und Sonntag jeweils von 14 bis 18 Uhr in der Villa Francke zu besichtigen.
 

Richard Rabensaat

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