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Impfgegner auf dem Willy-Brandt-Platz in Essen
© imago images/Gottfried Czepluch

Unvernunft in der Coronakrise: Impfgegner gefallen sich in ihrer Verantwortungslosigkeit

Warum nur ist es bei Covid-19 so schwer, Menschen von Impfungen zu überzeugen? Wissen sie eigentlich, vor welcher Luxusentscheidung sie stehen? Ein Kommentar.

Neulich im Gespräch mit einem erfolgreichen und weitgereisten Kulturmanager. Mit Sauerkrautsaft (oder war es Sellerie?) und Osteopathie, erklärte er, könne man doch so ziemlich alles in den Griff bekommen. Er fühle sich blendend. Er habe noch keine Impfeinladung vom Gesundheitsamt bekommen und wolle sich ja auch nicht impfen lassen, jedenfalls erstmal nicht. Er bekäme auch Probleme mit seinem Arzt, wenn der erführe, dass er geimpft sei ...

Was tun, wie antworten? Da hat jemand eine ganze Menge falsch verstanden, falsch verstehen wollen. Gegen den Wahn scheint kein Sauerkraut gewachsen. Witze helfen auch nicht weiter. Es ist todernst. Unvernunft und Bequemlichkeit nehmen zu, je länger die Pandemie dauert, egal, ob die Infektionszahlen wieder steigen.

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In einem Offenen Brief an die Bundeskanzlerin und die Länderchefs schreiben die Spitzenverbände der deutschen Film- und Kinobranche: „Wir benötigen bundesweit einheitliche Verordnungen ohne eine 3 G-Regel, da sie eine gravierende Hemmschwelle für den Kinobesuch darstellt! Bundesländer mit einer 3G-Regel verzeichnen im Vergleich ein Besucherminus bis zu 50 Prozent.“

Weltweit starben über 4,2 Millionen Menschen

Genesen, getestet, geimpft: Die 3G-Regel zu attackieren, gefährdet wieder, was unter langen Entbehrungen jetzt erreicht ist. Endlich können wir ins Kino zurückkehren, in Theater und Konzert. Aber wer will in einem Saal sitzen, wenn der Nebenmann und die Nebenfrau sich um keinerlei Gesundheitsnachweis kümmern muss? Die 3G-Regel ist auch keine „Hemmschwelle“, sondern im besten und im schlimmsten Fall eine Lebensversicherung.

Die ersten beiden Todesfälle in Zusammenhang mit dem Coronavirus wurden in Deutschland am 9. März 2020 registriert. Bis jetzt ist die Zahl der Corona-Todesfälle in der Bundesrepublik auf knapp 92.000 gestiegen. Weltweit starben über 4,2 Millionen Menschen.

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Man spürt, wie die Nervosität wächst. Der Tübinger Intendant Thorsten Weckherlin befürwortet eine Impfpflicht für Theaterbesucher. Dies sei ein Anreiz, sich impfen zu lassen. Die Berliner SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey schlägt vor, Menschen mit Freikarten für Kulturveranstaltungen zum Impfen zu bewegen.

Eine andere Möglichkeit wäre, Corona-Hilfsleistungen an die Impfbereitschaft zu koppeln. Warum eigentlich sollen Corona-Skeptiker staatliche Unterstützung erhalten in einer Krise, die sie tendenziell verlängern und verschärfen? Die Geschichte des Impfens ist eine Geschichte des Fortschritts und großartigen medizinischen Erfolgs.

Impfen bedeutet Freiheit und Sicherheit

Der britische Landarzt Edward Jenner schaffte mit seinen Experimenten und mit seiner Schrift „An Inquiry Into the Causes and Effects of the Variolae Vaccinae, Or Cow-Pox“ 1798 einen epochalen Durchbruch, ein Held der Zivilisation. Zuvor waren Menschen massenhaft an Pocken gestorben. Bayern führte 1807 die Impfpflicht ein. 1874 kam in Deutschland das Reichsimpfgesetz – mit Strafandrohung für Impfgegner.

Aber auch ohne solche drakonischen Maßnahmen gehören Impfungen zum Alltag. Grippeimpfung hat sich als sinnvoll erwiesen. Tetanusimpfung ist Standard. Je nachdem, wohin die Reise geht, sind Impfungen gegen Gelbfieber, Typhus, Hepatitis, Cholera, Meningitis vorgeschrieben. Wer will mit Diphterie oder Polio zu tun haben? Grundimpfungen bei Kleinkindern stehen außer Frage.

Impfen bedeutet Freiheit und Sicherheit. Warum nur ist es bei Covid-19 so schwer, Menschen davon zu überzeugen? Es dürfte etwas mit Privilegien und Wohlstandsverwahrlosung zu tun haben. Erst konnte es nicht schnell genug gehen mit der Entwicklung der Vakzine, dann kamen all die Zweifel und Einwände.

Impfgegner gefallen sich in Verantwortungslosigkeit und vergessen, dass sie hierzulande vor einer Luxusentscheidung stehen. Etliche Staaten sind gar nicht in der Lage, Vakzine anzubieten. „Hätte ich bloß die Scheißimpfung gemacht“. Das waren vor ein paar Tagen die letzten Worte eines an Covid erkrankten Mannes in Las Vegas, bevor er starb.

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