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Schauspieler Michael Gerlinger sagt: Der Mensch ist Gewohnheitstier. So kommt er auch mit Krisen zurecht, trotz lückenhafter Hilfen.
© Sebastian Gabsch PNN
Update

Soloselbstständige ein Jahr nach Beginn der Krise: Immerhin noch da

Soloselbstständige Kulturschaffende galten früh als die Verlierer der Pandemie. Wie geht es ihnen ein Jahr nach Beginn der Krise? Eine Potsdamer Bestandsaufnahme.

Potsdam - Vor knapp einem Jahr, man sprach noch vom „neuartigen Virus“, konnten bereits die großen Verlierer der Pandemie benannt werden: die Soloselbstständigen. Sie erhielten kein Kurzarbeitergeld, fielen durch alle Förderraster. Am 13. März jährte sich der Kultur-Lockdown zum ersten Mal. Wie geht es soloselbstständigen Künstler:innen heute? Haben die Hilfen gegriffen?

Einer, der sich damals im Mai 2020 völlig allein gelassen fühlte, war der Potsdamer Schauspieler Michael Gerlinger. Er lavierte sich durch einen Dschungel aus Anträgen, sammelte Absagen. Am Ende bekam er ein Mikrostipendium – und das, worauf viele in der Krise zurückgeworfen sind: Grundhilfe. „Realsatire“, nannte Gerlinger das. Und er fragte: „Wie viel wert sind wir Künstler eigentlich?“ Und: „Warum macht sich die Politik keine Gedanken?

Manja Schüle (SPD), Brandenburger Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kultur, ist stolz auf ihren "Brandenburger Weg".
Manja Schüle (SPD), Brandenburger Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kultur, ist stolz auf ihren "Brandenburger Weg".
© Soeren Stache/dpa-Zentralbild

Das Land hat dazugelernt und aufgestockt

Elf Monate später lässt sich sagen: Gedanken hat sich die Politik schon gemacht. Das zeigt ein Blick auf die aktuellen Hilfen. Vom Land wurden erneut Mikrostipendien für Soloselbstständige ausgeschrieben, in Höhe von 4000 Euro. Bewerbungsfrist ist der 31. Mai. Man hat dazugelernt und aufgestockt: 2020 hatten die Stipendien noch 1000 und 2500 Euro betragen. Konkret nahm das Land dafür gut 1,9 Millionen Euro in die Hand. Kulturministerin Manja Schüle (SPD) ist stolz auf ihren „Brandenburger Weg“, erklärte den Austausch mit Kulturschaffenden, die Stärkung der Kultur Brandenburgs zur Priorität.

Und der Bund? Da gibt es im Rahmen der Überbrückungshilfe III, deren Antragsfrist am 31. August endet, erstmals auch die sogenannte „Neustarthilfe für Soloselbstständige“. Ein Programm, mit dem Soloselbstständige eine Sonderunterstützung von einmalig bis zu 5000 Euro erhalten sollen. Anders als zuvor können hier nicht nur Betriebskosten geltend gemacht werden - denn ein selbstständer Musiker, eine selbstständige Malerin hat oft gar keine Betriebskosten. Ein „unbürokratischer Zuschuss“, so pries Finanzminister Olaf Scholz (SPD) die Initiative. Dennoch: Von den Bundeshilfen scheinen bislang nur wenige Künstler:innen profitiert zu haben.

Julia Brömsel ist soloselbstständige Malerin und lobt die Mikrostipendien des Landes Brandenburg.
Julia Brömsel ist soloselbstständige Malerin und lobt die Mikrostipendien des Landes Brandenburg.
© privat

Eine gelungene Maßnahme

Die Mikrostipendien des Landes Brandenburg jedoch bekommen insgesamt gute Noten. „Sehr einfach und unbürokratisch zu beantragen – eine sehr gelungene Maßnahme“, findet Julia Brömsel. Als freischaffende Malerin gründete sie die Ateliergemeinschaft Scholle 51 mit, hatte ein Atelier im Rechenzentrum und arbeitet jetzt in Werder (Havel). 

Sie hat zwei Mikrostipendien erhalten, das dritte beantragt. Vor allem schätzt sie, dass die Stipendien nicht auf die Grundhilfe angerechnet werden. Das Geld ist somit frei für Material- und Umsetzungskosten – in Brömsels Fall für Rahmen der Bilder. „Auch dass das Stipendium zu Recherchezwecken benutzt werden kann, ist eine sehr gute Sache.“

Geforderte Kurskorrektur

Ähnlich sieht das Jutta Pelz. Sie ist nicht nur bildende Künstlerin, sondern auch Vorsitzende des Brandenburgischen Verbandes Bildender Künstlerinnen und Künstler (BVBK). Sie hat ebenfalls beide Stipendien erhalten und sich „sehr darüber gefreut“. 

Und das will etwas heißen: Im Mai 2020 hatte der BVBK einen Offenen Brief an Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) und Ministerin Schüle geschrieben, in dem es hieß: „Die Höhe des vorgesehenen Stipendiums ist aus unserer Sicht inakzeptabel.“ Die Forderung damals: „eine Kurskorrektur“.

Ist der Kurswechsel gelungen? Die Mikrostipendien in Höhe von 4000 Euro versteht Jutta Pelz als positives Signal. Es belege, dass die eigene Lobbyarbeit, „die intensiven Beratungen durch den Brandenburgischen Verband Bildender Künstlerinnen und Künstler und andere Fachverbände“ Wirkung gezeigt hätten. Dazu zählt sie auch, dass die Anzahl der Arbeitsstipendien vom Land in Höhe von je 8000 Euro im Jahr 2020 einmalig verdoppelt wurde. Alles gut also?

Was noch immer fehlt

Kaum. Pelz fehlt nach wie vor „eine passende Hilfe, die es Künstler:innen in Not ermöglicht hätte, die Zeit zu überbrücken“. Stattdessen zeige die Krise, „dass Förderinstrumente ausgebaut werden, strukturelle Rahmenbedingungen verbessert und bildende Künstler:innen bei kulturpolitischen Entscheidungen ein Mitspracherecht haben müssen.“ Sie selbst hat die Krise genutzt, um eine digitale Gesprächsreihe zu Kunst in Brandenburg zu initiieren und selbst wieder intensiver künstlerisch tätig zu sein.

Jutta Pelz ist Vorstandsvorsitzende des BVBK. Vor einem Jahr forderte sie einen Kurswechsel, die erhöhten Mikrostipendien empfindet sie als Schritte in die richtige Richtung.
Jutta Pelz ist Vorstandsvorsitzende des BVBK. Vor einem Jahr forderte sie einen Kurswechsel, die erhöhten Mikrostipendien empfindet sie als Schritte in die richtige Richtung.
© Sebastian Rost

Auch die Kammerakademie Potsdam (KAP), deren Mitglieder soloselbstständige Künstler:innen sind, hat die Zeit der verordneten Stille produktiv genutzt. Ging zunächst mit kleinen, mobilen Formaten in die Stadtteile und ins Land. Seit 2021 konzentriert sich das Orchester auf rein digitale Aktivitäten.

Immerhin: Anteilige Ausfallhonorare, einige Konzerte

„Nach vielfachem Austausch konnten wir zumindest anteilig Honorare für coronabedingt ausgefallene Konzerte bezahlen“, sagt Geschäftsführer Alexander Hollensteiner. „Zudem fand in den Sommermonaten ein Spielbetrieb statt, stark eingeschränkt, aber immerhin.

Auch Hollensteiner benutzt dieses Wort, das im Austausch mit Soloselbstständigen ein Jahr nach Beginn der Krise immer wieder auftaucht: immerhin. Es scheint der neue Schlachtruf der Soloselbstständigen zu sein. Er sagt: „Gut geht es uns nicht. Aber immerhin, es gibt uns noch.“

Wofür die Stadt sich lobt

Und die Kommune? Potsdams Kulturbeigeordnete Noosha Aubel (parteilos) hat die Landeshauptstadt als eine der wenigen Kommunen gelobt, „die sich entschieden haben, Ausfallhonorare zu zahlen“. Impulse wie den, dass Soloselbstständige bei Förderprogrammen nicht beachtet wurden, seien vonseiten der Stadt immer mit aufgenommen worden, sagt sie.

Noosha Aubel, Potsdams Beigeordnete für Bildung, Kultur, Jugend und Sport der Landeshauptstadt Potsdam, lobt die Stadt für die ermöglichten Ausfallhonorare, bevor die Bundeshilfen griffen. 
Noosha Aubel, Potsdams Beigeordnete für Bildung, Kultur, Jugend und Sport der Landeshauptstadt Potsdam, lobt die Stadt für die ermöglichten Ausfallhonorare, bevor die Bundeshilfen griffen. 
© Ottmar Winter PNN

Bei näherem Hinsehen relativiert sich das allerdings: In der Zeit vom 12. März bis 31. Juli wurden 60 Prozent des ausgefallenen Honorars gezahlt, mit mindestens einem Kind im Haushalt 67 Prozent. Bei Honoraren über 1000 Euro erhielt man maximal 40 Prozent – und nie mehr als 2500 Euro. 

In welchem Umfang Ausfallhonorare insgesamt ausgezahlt wurden, könne erst beziffert werden, sobald die Verwendungsnachweise der Kulturträger vorlägen, heißt es von der Stadt. Die Frist läuft bis zum 30. Juni.

Adäquate Kompensation fehlt noch immer

Hat es die Politik also geschafft, die unterstützenden Maßnahmen seit Beginn der Krise adäquat an die Bedürfnisse der Soloselbstständigen anzupassen? Alexander Hollensteiner sagt: Nein. „Leider ist das trotz vieler Bemühungen und guter Vorschläge bis dato nicht gelungen.“ 

Was nach wie vor fehle: eine adäquate Kompensation der coronabedingten Honorarverluste. Seine Ideen: „ein (fiktiver) Unternehmer:innen-Lohn oder garantierte Ausfall-Honorare in Analogie zum Kurz-Arbeitergeld“. Und die genannten Hilfen? Stückwerk, sagt Hollensteiner. „Sie liegen weit unter adäquaten Beträgen und widerspiegeln häufig nicht die besonderen Lebens- und Arbeitsbedingungen der freien Kunst- und Kulturproduktion.“

Alexander Hollensteiner, Geschäftsführer der Kammerakademie Potsdam, sagt: Die Politik hat bislang keine adäquaten Unterstützungsmodelle für Soloselbständige in der Krise gefunden.
Alexander Hollensteiner, Geschäftsführer der Kammerakademie Potsdam, sagt: Die Politik hat bislang keine adäquaten Unterstützungsmodelle für Soloselbständige in der Krise gefunden.
© Beate Waetzel

Die Bundeshilfen, eine politische Farce? 

Ermutigend ist ausgerechnet ein Anruf bei Michael Gerlinger – jenem wütenden Mann, der die Hilfen 2020 als „Realsatire“ abtat. Im April 2021 trifft man auf einen Mann, der nicht wirkt, als habe die Krise ihn ermüden können. Die Bundeshilfen für Soloselbstständige freilich hält er für eine „politische Farce“. Er kennt wenige, die bislang davon profitiert haben. Ein Freund bekam 2200 Euro – für sechs Monate.

„Die Politik verspricht und lässt dann lieber andere machen“, sagt Gerlinger. Die Anspielung gilt Initiativen wie KulturMachtPotsdam. Er war auch beim Aktionstag im März dabei, aber die Initiative sei auch Werbung für die Politik. Sie verzerre den Blick auf „den eigentlichen perversen Zustand unserer Kultur im Land“, sagt er. Pervers? „Alle finden Kultur wichtig. Warum sind die Theater seit sechs Monaten zu – obwohl es nachgewiesenerweise keine Ansteckungsorte waren?“

Der Mensch, das Gewohnheitstier

Trotzdem, dieser Michael Gerlinger ist versöhnlicher als der von 2020. Gerade hat er einen Ferienworkshop für Jugendliche gegeben, für seine „Fontane Lounge“ gibt ihm die Stadt Potsdam 2000 Euro Projektförderung. Und, ein Glück, seine Lesungen waren schon coronatauglich, bevor es Corona überhaupt gab: open air. 

Das Café Eden, bisheriger Veranstaltungsort, hat zwar inzwischen zugemacht. Jetzt soll es eben das Café Alexandrowka werden oder die Alte Mühle in Sanssouci. Woher die Zuversicht, Herr Gerlinger? „Der Mensch ist ein Gewohnheitstier“, sagt er. „Er gewöhnt sich an alles.“

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