Lit:potsdam mit David Grossman: „Humor bringt den Atem zurück“
Eine Floßfahrt mit Potsdamer Autoren und ein Gespräch mit David Grossman an der Villa Jacobs.
Potsdam - Die Leichtigkeit ist verflogen. Eben sitzen wir noch auf dem Floß, genießen die grenzenlose Weite und lokalverorteten „Schmankerl“ von drei Potsdamer Autoren, und nun nimmt uns die Ausweglosigkeit im Nahen Osten gefangen. Im Rosenduft geschwängerten Gartenreich der Villa Jacobs breitet David Grossman, der große israelische Poet und Friedensstifter, leise, in sich versunken, seine Gedanken aus. Sie laden dazu ein, Verhärtungen aufzulösen. Und beschreiben zugleich die Tragödie der frustrierten, desillusionierten Juden und Araber.
„Heute mag Israel eine starke Festung sein, ein Zuhause ist es nicht. Solange die Palästinenser kein Zuhause haben, haben die Israelis auch keines.“ Aber die Lage im Nahen Osten sei „zu hoffnungslos, um sie den Hoffnungslosen zu überlassen.“ Dieser mit Schmerz und Aufbegehren getränkte Satz David Grossmans hallt nach an diesem lauschigen, friedlichen Freitagabend beim Lit:potsdam-Festival, für den die Villenbesitzer Marianne und Stefan Ludes erneut ihr königliches Paradies für die Gemeinschaft öffnen. Dicht gedrängt sitzen die Besucher auf Gartenbänken und Decken, hängen an den Lippen des Meisters, der den Schweigenden und Unterdrückten sein Wort gibt, und nun in Potsdam „Writer in Residence“ ist.
„Schreiben dient dem Hingeben“
Sein neues Buch „Kommt ein Pferd in die Bar“ lässt indes einen lauten und vulgären Komiker in zerschlissenen Jeans die Bühne betreten, der schlechte Witze über andere Leute reißt. Dieser mittelalte dünne Mann mit Cowboystiefeln war einmal ein kleiner Junge, der Kilometer weit auf Händen ging, um seiner Mutter, der Shoah-Überlebenden, ein Lächeln zu entlocken. Auf den Kopf stehend, lenkte er die Aufmerksamkeit von seiner Mutter ab, die nicht gesehen werden wollte.
Eine andere Perspektive einnehmen. So tief wie möglich in die Haut eines anderen eindringen, dem Einzelnen in seiner scheinbar widersprüchlichen Lebensgeschichte naherücken, dafür steht Grossman und darüber redet er bei dieser Festveranstaltung zu den Themen Heimat und „Humor als Waffe“. Er spricht in weichem Englisch und rbb-Intendantin Patricia Schlesinger, die mit ihm das anregende, tiefgehende Gespräch führt, übersetzt in Kürze die langen Redepassagen. Wer im Englischen nicht ganz zuhause ist, dem entgehen Nuancen. Was schade ist, bei diesem 64-jährigen feinfühligen Seismografen der Stimmen und Sichtweisen, der um jedes Wort ringt. „Ich schreibe seit 30 Jahren, und ich weiß: Jedes Mal, wenn ich über den Kampf gegen die Willkür schrieb, entdeckte ich von Neuem, dass, wenn ich so genau wie möglich die Beziehungen zwischen dem Einzelnen und der Willkür beschrieb, etwas in mir sich änderte. Etwas in mir wurde erlöst“, schrieb er in seinem Essay „Allen Gewalten zum Trotz“.
Sich aus einer erstarrenden Situation Millimeter um Millimeter herausschreiben, das versuchte er auch nach dem Tod seines Sohnes, der 2006 im Libanonkrieg fiel. Auch davon erzählt er. Nein, er hat sich durch das Schreiben nicht erholt. „Schreiben dient dem Hingeben“, sagt er. Er wollte nicht der Versuchung erliegen, die Gefühle zu überdecken.
Jüdischer Humor kann sehr herb sein
Bevor Grossman von sich, aber vor allem von seiner Liebe zu Israel redet, liest er kurz aus seinem Buch über die so unfassbare Geschichte des besagten Komikers vor: auf Hebräisch, der Sprache mit der besonderen Melodie. Dann liest die Schauspielerin Adriana Altaras diese Einstiegspassage: auf Deutsch. Schrill und kantig und mit der ihr eigenen wunderbaren Komik, die diesen abstrusen Comedian bei den Hörnern packt. Die Juden sind bekannt für ihre Witze, die sie selbst über die Shoah, über Gewalt an Arabern, über Konzentrationslager reißen. „Dieser schwarze Humor trägt dazu bei, dass Menschen nicht zu Opfern werden, Humor ist wie eine Schutzhaut, er bringt den Atem zurück“, sagt Grossman. Das Publikum hört diesen Atem, fühlt sich mitten drin in dieser geteilten Welt. „Es war sehr still hier. David Grossman hat uns sein Herz geöffnet“, beendet Patricia Schlesinger schließlich das intime Gespräch vor weiter Kulisse.
„Starke Worte, schöne Orte“, dieses Festivalmotto wurde einmal mehr eingelöst. Wie auch zuvor auf den beiden Flößen, auf denen die Zuschauer mit Julia Schoch, André Kubiczek und Torsten Schulz wankend-schwankend die eigene Geschichte durchquerten. Auch diese drei Autoren schlagen in ihren Heimatbetrachtungen einen humorvollen Ton an, die DDR und Wendezeit im Rückblick durchquerend – im Gefühl der heutigen Grenzenlosigkeit. Unter dramatischem Wolkenhimmel entblättert Julia Schoch ihre „Schönen Seelen und Komplizen“, gehen wir mit der geschiedenen Cornelia, der Pharmavertreterin, auf glücklosen Männerfang. Und hören aus diesem facettenreichen Generationenroman eine von so vielen verschiedenen Sichten auf die Vergangenheit.
Ambivalenz von Glück und Unglück
Auch bei Torsten Schulz geht es um die Ambivalenz von Glück und Unglück. Sein jugendlicher Romanheld aus dem titelgebenden „Skandinavischen Viertel“ Berlins trägt schwer an den Lügen und Geheimnissen der Familie, an der Mauer vor der Haustür – und er wird nach der Wende Makler. Einer, der die böse Welt des Geldes und der Immobilienhökerei aushebeln, ihr ein Schnippchen schlagen will. Und gern kehren wir auf der zweistündigen luftigen Wasserreise mit Kubiczeks 16-jährigem René aus „Skizze eines Sommers“ zurück ins Jahr 1985, erleben den revoltierenden Jungen aus dem Neubaugebiet Am Stern bei einer Fete in einer abgetakelten Villa am Heiligen See. Köstlich diese Beschreibung der ersten Begegnung mit arrogant wirkenden Intellektuellen aus der Berliner Vorstadt unter einer Trauerweide. Auch dort gibt es Bratwurst, so wie dann wirklich, wenig später, an der Villa Jacobs. Von Kubiczek bleibt beim Verlassen des Floßes das Versprechen, dass wir von René wieder hören werden. „Ich fange gerade ein Buch an, das daran anknüpft.“ Die Heimatsucher sind weiter unterwegs.
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