Drehbuchautoren im HOT Potsdam: Die kleinen Kerzen, die leuchten
„Scenic Reading“, die letzte: Drehbuchautoren der Filmuni stellen in der Reithalle ihre Werke vor.
Potsdam - Eine alte Fabrikhalle, ein gefesselter junger Mann mit blutendem Gesicht, eine knisternde Feuertonne. Es ist ein düsteres Setting, das Oliver Rieche für sein Drehbuch „Tanz mit mir in den Untergang!“ gewählt hat. Ursprünglich als Kurzfilm gedacht, wird es heute Abend im Rahmen von „Scenic Reading. Junge Texte für Film und TV“ in der Reithalle des Hans Otto Theaters (HOT) auf die Bühne gebracht. Bereits zum vierten Mal findet die Veranstaltung statt – eine Kooperation von Filmuniversität Potsdam und HOT, ins Leben gerufen von Torsten Schulz.
Auf einer Los-Angeles-Reise vor einigen Jahren entdeckte er das Format, bei dem Drehbuchstudenten ihre Texte gemeinsam mit Schauspielern auf die Bühne bringen. Schulz ist selbst Drehbuch- und Romanautor, jüngst erschien sein Buch „Skandinavisches Viertel“. Außerdem leitet er den Studiengang Drehbuch und Dramaturgie an der Filmuniversität Babelsberg. HOT-Intendant Tobias Wellemeyer habe damals sofort Ja zu dem Projekt gesagt, wie Schulz erzählt. Mit seiner in diesem Jahr endenden Intendanz ende nun leider auch das „Scenic Reading“. „Das ist sehr bedauerlich, weil es eine wirklich gute Zusammenarbeit war und sich das Format sehr schön weiterentwickelt hat“, sagt Schulz. Mit der künftigen Intendantin Bettina Jahnke habe er noch nicht sprechen können, möchte aber auf jeden Fall das Gespräch suchen. „Es wäre schön, wenn das Format so oder in ähnlicher Form bestehen bleiben könnte“, sagt er. Am heutigen Freitagabend soll es auf jeden Fall noch einmal besonders aufregend werden.
Die stille Kraft der kleinen Happy Ends
Das dürfte auch an Oliver Rieches „Tanz mit mir in den Untergang!“ liegen, der neben „Benni“ von Sophia Bierend sowie „Türkische Sahneschnitte“ von Bahar Bektas gezeigt wird. Der 39-jährige Drehbuch- und Dramaturgiestudent erzählt darin von zwei radikalen Tierschützern, die den Sohn eines Schweinemästers entführen, um die Freilassung der Tiere zu erzwingen. Doch die Entführer scheinen nicht gut vorbereitet zu sein und der Entführte ist stärker als gedacht. Die Situation gerät außer Kontrolle, ein Happy End scheint aussichtslos. Oder doch nicht?
Oliver Rieche ist nämlich ein Fan von guten Enden. Von den kleinen Kerzen, die leuchten, wie er selbst sagt. Überhaupt seien die Underdogs seine bevorzugten Protagonisten, solche, die etwas im Stillen bewegen. Ganz so still sind die Charaktere in „Tanz mit mir in den Untergang!“ allerdings nicht. Besonders Entführer Karl fällt durch seine extremen Handlungen und seine exaltiert intellektuelle Art zu sprechen auf. „Auge um Auge, Zahn um Zahn, für tausend tote Schweine holen wir uns einen Schwan“ lässt Rieche ihn an einer Stelle sagen. Ein junger Mann, der Gerechtigkeit für die Tiere möchte – und dafür über menschliche Leichen gehen würde.
Ambivalente Charaktere
Genau um diese Extreme sei es ihm gegangen, sagt der Drehbuchschreiber. „Ich habe das Gefühl, wir leben in einer Zeit, in der Menschen schnell fundamentalistische Sichtweisen entwickeln“, sagt er. Gerade im Umgang mit Umwelt- oder Tierschutz interessiere ihn, wie weit für Ideale gegangen wird, wie konsequent sie durchgehalten werden. Seine Figuren in dem Stück bewegten sich dabei alle tänzerisch auf einem Drahtseil.
Tatsächlich zeichnet er seine Charaktere ambivalent, sie alle scheinen im Laufe der Handlung aus ihren Anfangspositionen zu kippen. Während das Entführungsopfer Nino psychologische Tricks anwendet, zweifelt die Entführerin Petra an ihrer Mission. Karl hingegen wird immer extremer in seinen Maßnahmen – am Ende kollidieren sie alle miteinander.
Rieche selbst kollidiert nicht gerne, er schafft sich eher Filter, damit die ihn findenden Themen nicht auf ihn einprasseln. „Ich bin ein sensibler Mensch, das Sujet kommt zu mir, aber ich kann nicht alles ungefiltert aufnehmen“, sagt er. Dafür lässt er vieles in seine Figuren fließen, scannt tief in sie hinein, wie er es beschreibt. Nicht immer sind sie so gewalttätig wie Karl. Gerade arbeitet er an einer Serie, die von einem Kunstsammler erzählt, der auf der Suche nach seiner eigenen Identität ist.
Tätowierte Geschichten
Um solch eine Suche zu beschreiben, braucht Rieche nicht immer große oder gar viele Worte: Für einen befreundeten Tätowierer schreibt er Einwortgeschichten, die sich Menschen unter die Haut stechen lassen. „Ich suche immer Verbindungspunkte in der Kunst“, sagt Rieche. Auf der einen Seite lange Serien zu schreiben und dann wieder Erzählungen auf ein Wort zu reduzieren, findet er spannend. „Verständlich sind die Wörter natürlich nur, wenn man den Menschen dazu gut kennt“, fügt er hinzu. Reserverad habe sich etwa jemand vor Kurzem tätowieren lassen. Warum und wo genau, möchte Rieche nicht verraten.
Scenic Reading, heute um 19.30 Uhr in der Reithalle in der Schiffbauergasse