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Die Leiterin der Musikfestspiele, Dorothee Oberlinger
© Sebastian Gabsch

Interview | Dorothee Oberlinger: Heißhunger auf Kultur nach der Coronakrise

Die Musikfestspiele-Intendantin spricht im PNN-Interview über die Coronakrise, ihre Auswirkungen auf die Potsdamer Kulturszene und das Festival im kommenden Jahr. 

Frau Oberlinger, waren Sie überrascht, als Sie erfahren haben, dass Sie die für Juni geplanten Musikfestspiele verschieben müssen?
 

Nein. Ein Festival braucht ja Vorlauf. Vor zwei Wochen haben wir in unserem Planungsteam aktiv angefangen, uns verschiedene Szenarien zu überlegen. Durch ausgefallene Flüge und Reisebeschränkungen für die internationalen Künstler waren schon im Vorfeld einige Proben nicht mehr möglich. Es war klar, dass wir reagieren müssen. Außerdem zählen unsere Festivalbesucher teilweise zur Hochrisikogruppe von Covid-19. Daher hat es mich am Ende nicht überrascht, als wir uns in den Chor der Festival-Absagen und Verschiebungen einreihen mussten.

Werden die Festspiele dann im Juni 2021 stattfinden?

Genau festlegen können wir den Zeitrahmen noch nicht. Wir haben um die 70 Veranstaltungen, an denen wahnsinnig viele Spielorte und Künstler hängen. Das ist ein großes Mosaik. Wir haben uns zwar vorgenommen, dass es wieder in der zweiten Juni-Hälfte stattfinden soll, weil das Wetter dann ideal ist. Wir versuchen, im gleichen Wochenendrhythmus zu bleiben, können aber auch ein wenig nach vorn oder hinten ausweiten.

Ziya Aziza, in einem traditionellen Derwisch-Gewand, bei dem Tanztheaterabend „Apollon Musagète“ im Nikolaisaal.
Ziya Aziza, in einem traditionellen Derwisch-Gewand, bei dem Tanztheaterabend „Apollon Musagète“ im Nikolaisaal.
© Promo Musikfestspiele Potsdam Sanssouci

Sind in einer Krise nicht andere Dinge wichtiger als klassische Musik?

Im Moment spricht man ja viel von „Systemrelevanz“. Selbstverständlich hat die Lebensrettung und die Gesundheit der Gesellschaft oberste Priorität. Aber wir müssen auch an die Kultur denken. Man vergisst zu oft, dass Kultur Überlebens-Mittel ist und Kommunikation. Es ist schlimm, wenn man nicht mehr geistig gefüttert wird mit der Musik, die man liebt. Und die Leute nicht treffen kann, mit denen man sie sonst gemeinsam genießt. Für unsere Psyche ist es nicht gut, wenn das zu lange wegbleibt. Ich kann mir vorstellen, dass die Menschen im kommenden Jahr geradezu Heißhunger haben auf Kultur. Nach so einer langen Zeit des Fastens. Dann hat man womöglich gerade Lust, draußen in der Natur ein Fest um Frieden und Freiheit zu feiern.

Also bleibt das „Flower Power“-Motto?

Das Motto bleibt. Das Thema hat sehr gezogen in diesem Jahr, wir hatten Rekord-Verkaufszahlen. Die Kampagne ist auch ein bisschen kontrovers diskutiert worden, vor allem die Darstellung des alten Fritz mit einem Joint. Ist das womöglich Drogenverherrlichung? Natürlich nicht. Da wurde augenzwinkernd ein Spagat geschlagen zwischen der Zeit der 1960er-Jahre und der Geschichte Potsdams. Dieses Ideal des friedlichen Zusammenlebens in der Natur, das hatte auch der junge Friedrich, der gegen seinen Vater rebelliert hat. Dass wir am Konzept festhalten, ist aber auch ein Signal an die Künstler. Wir wollen sagen: Das Festival fällt nicht aus, im nächsten Jahr sehen wir uns wieder!

Was bedeutet die Coronakrise für die Alte-Musik-Szene?

Die Orchester und Ensembles, die bei den Musikfestspielen auftreten, setzen sich aus Musikern der freien Szene zusammen, die von den Konzerteinnahmen leben. Diese Künstler müssen ihre Miete zahlen, auch wenn nichts reinkommt. Die wenigsten Ensemblemusiker verfügen über genügend Rücklagen, um daraus über Monate die Lebenshaltungskosten zu decken. Ich höre von vielen Freunden und Bekannten, dass sie momentan wirklich existenzielle Sorgen haben. Bei den Musikfestspielen bieten wir den Musikern an, dass sie eine Teilzahlung ihres Honorars bereits in diesem Jahr erhalten können. Aber vielleicht muss man generell einmal nachdenken, ob es nicht politische Lösungen auf Landes-, Bundes- oder am besten auf EU-Ebene gibt. In Frankreich zum Beispiel wird damit ganz anders umgegangen. Dort haben freischaffende Künstler eine Art Arbeitslosigkeitsversicherung. Wenn ein paar Monate mau sind, können sie die damit überbrücken. Im Festivalbetrieb sind jedoch nicht allein Künstler betroffen, sondern in unserem Falle auch stark die freien Mitarbeiter und über 30 geringfügig Beschäftigten, ohne die die Umsetzung nicht möglich wäre.

Sie sind selbst Musikerin und haben gerade ein neues Album veröffentlicht.

Ja, es heißt „Discovery of Passion“. Da geht es um den Beginn der Barockzeit, als man dezidiert versuchte, mit der Musik im Zuhörer menschliche Leidenschaften wie Liebe und Hass anzusprechen.

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