Einweihung des Ethnologischen Museums: Europas Macht über die Geschichte
Frank-Walter Steinmeier und Chimamanda Ngozi Adichie eröffnen die Museen im Humboldt Forum. An ihren deutlichen Worten muss sich das Haus künftig messen lassen.
Wie kahl und kühl wirkt die hohe Eingangshalle! Aber die Festreden zur Eröffnung des Museumsbereichs im Humboldt Forum, seinem Herzstück, haben einen fulminanten Nachhall. „Ein Luftschloss nimmt Gestalt an“, sagt Kulturstaatsministerin Monika Grütters in ihrer Begrüßung. Und der Bundespräsident lässt die Mauern des Neo-Schlosses sogleich erzittern.
„So, jetzt steht es hier. Und nun?“, beginnt Franz-Walter Steinmeier provokant und gibt nicht nach: „Dieses Schloss und dieses Forum sind, allein schon durch Lage, Geschichte und selbst gesetzte Mission, ein Ort von nationaler Bedeutung. Aber: Dieser Ort wirft im Augenblick noch mehr Fragen auf als er Antworten gibt, auch Fragen an unsere Nation. Halten wir das aus?“ Er setzt noch drauf: „Manche finden dieses Schloss, schon weil es so viele Fragen aufwirft, unbefriedigend, kritikwürdig. Manche wünschen sich, es wäre nie gebaut worden.“
Das sind angenehm offene, ehrliche Worte. Sie sind notwendig. Steinmeier erinnert an die deutschen Kolonialverbrechen: „Wenn es um die Kolonialzeit geht, haben wir sonst so geschichtsbewussten Deutschen allzu viele Leerstellen. Wir haben blinde Flecken in unserer Erinnerung und unserer Selbstwahrnehmung. In unserem kollektiven Gedächtnis ist die deutsche Kolonialzeit lange Zeit entweder glorifiziert worden oder aber gänzlich vergessen.
Vielleicht wollten wir lieber gar nicht allzu genau wissen, an welchen dieser weit entfernten Orte im damaligen Deutsch-Südwestafrika, in Deutsch-Ostafrika, im heutigen Kamerun, in Togo, in Kiautschou im heutigen China, in Papua-Neuguinea und den Südseeinseln, auch Deutsche als Kolonialherren Menschen unterdrückt, ausgebeutet, beraubt, umgebracht haben.“
Restitution ist kein Streitpunkt mehr
Der Bundespräsident spricht zur Einweihung des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst – mit tiefer Verbeugung vor den Humboldt-Brüdern – in einer Art und Weise, die in die Geschichtsbücher gehört. Im Wegdrücken und Übersehen der kriminellen Vergangenheit sieht Steinmeier „die tieferen Wurzeln des Alltagsrassismus, bis hin zu tätlichen Angriffen und furchtbaren Gewalttaten“.
Man sei erst am Anfang, es sei noch viel zu lernen, das wird nachher wie ein Mantra wiederholt – auch in den Ansprachen von Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, und Hartmut Dorgerloh, Generalintendant der Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss. Dass koloniale Raubkunst zurückgegeben werden muss, ist kein Streitpunkt mehr.
Es hat sich in den vergangenen zwei, drei Jahren manches bewegt. Die Schlossfassade mit Kuppel und Kreuz – auch darüber macht Steinmeier eine durchaus kritische Bemerkung – wirkt nun noch mehr aus der Zeit gefallen. „So, jetzt steht es hier. Und nun? Die Antwort ist: Und nun sind wir dran!“ So endet der Bundespräsident. Macht was daraus! Oft ist die Rede von einer „Arena demokratischer Streitkultur“ in einer globalisierten Welt. Das sind unsere Begriffe. Ganz anders aber, was die nigerianische Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie in ihrer Festrede sagt. Auch sie wird man so schnell nicht vergessen.
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Blut klebt an der Vergangenheit
Chimamanda Ngozi Adichie spricht über die Bedeutung der Artefakte, wie sie in Mengen in unseren Museumsvitrinen liegen. Schöne afrikanische Schnitzereien für das Publikum, ohne Zusammenhang, für die ehemaligen Besitzer aber ein Stück ihres Lebens, ihrer religiösen Bedürfnisse, eine höchst individuelle Sache. Adichie erklärt, wie Europa seine koloniale Geschichte – durchaus schuldbewusst – so erzählt, dass diese Geschichte am Ende verschwindet. Weil nie die ganze Geschichte erzählt wird, schon gar nicht im Schulunterricht. Europäer befreien sich mit Wohltätigkeitsaktionen aus der Verantwortung.
Seltsame europäische Zeitrechnung: Vor bald sechshundert Jahren begann die Renaissance, vor nicht ganz dreihundert Jahren die Aufklärung, das sind unsere fixen Daten, Grundlage der Zivilisation und Macht Europas. Doch was um 1900 in den Kolonien geschah, passt nicht in dieses Bild.
„Wir können die Vergangenheit nicht verändern, aber wir können aufhören, blind zu sein“, sagt Adichie. Und dann wird sie noch etwas konkreter. Wozu all das Gerede und Debattieren über die Rückgabe der gestohlenen Objekte, an denen so viel Blut klebt? Das sei ein paternalistischer Diskurs. Zurückgeben, fertig! Und: Bei den Benin-Bronzen, von den Briten nach Europa geschafft, sei Deutschland allerdings schon weiter als das British Museum. Wofür es prompt Applaus gibt, man lobt sich ja gern selbst.
So hat das hybride Riesenhaus auch etwas Gutes. Man fühlt sich nicht wohl darin, also wird gefragt. Harmonisches Empfinden kommt in den Kaufhaus-Treppenhäusern gar nicht erst auf, kein Refugium für Genießer. In den Ausstellungsräumen herrscht Arbeitsatmosphäre, wie im Magazin. Man weiß nicht, wie lange die Objekte bleiben. Der Widerspruch zwischen der rückswärtsgewandten Bauweise und dem neuen Innenleben – lustigerweise verwechselte Grütters den Architekten Franco Stella mit dem Maler Frank Stella – wirkt wie ein Stachel. Schließlich: Warum Afrika und Ozeanien noch immer im „Ethnologischem Museum“ geführt werden, während Asien eben Asien ist, versteht niemand. Es sind die alten kolonialen Titel und Einteilungen, wie auf der Museumsinsel. Da muss schnell eine glaubwürdige Umbenennung kommen.
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