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Julius H. Schoeps.
© Wolfgang Borr/dpa

Fontane und das Judentum: "Es wäre übertrieben, es als antisemitisch zu bezeichnen"

Der Historiker und Politikwissenschaftler Julius H. Schoeps schaut in seinem Brief auf das ambivalente Verhalten Fontanes gegenüber Juden.

Verehrter Meister, sehr geehrter Theodor Fontane,

Mann oh Mann, haben Sie sich dabei eigentlich etwas gedacht? Sind Sie tatsächlich ein in der Wolle gefärbter Judenfeind, wie das heute vielfach behauptet wird? So wie Sie sich seiner Zeit geäußert haben, könnte man das fast annehmen. Die Literaturhistoriker oder sagen wir besser die Fontane-Germanisten streiten sich heute darüber, und zwar heftig. Sie hätten, so behaupten einige von ihnen, zu denjenigen gehört, die mit ihren Einlassungen das negative Judenbild Ende des 19. Jahrhunderts in Deutschland mitgeprägt haben.

Mir scheint der Vorwurf, Sie seien ein unbelehrbarer Judenfeind, allerdings etwas übertrieben zu sein. Manche Ihrer Äußerungen, zumeist aus Ihren späteren Lebensjahren, lassen zwar den Schluss zu, dass Sie das sind, und dass Sie sich gar nicht so sehr von Judenfeinden vom Schlage Richard Wagners, Heinrich von Treitschkes oder Adolf Stoeckers unterscheiden. Aber ich meine doch, wir sollten genauer hinsehen.

In einem Brief, den Sie einst an den Philosophen Friedrich Paulsen schrieben, stellten Sie eine Unvereinbarkeit zwischen Deutschen und Juden fest. Mehr noch: Die Juden seien, so erklärten Sie, „ein schreckliches Volk“, das sich mit der „arischen Welt nun mal nicht vertragen kann“ (12. Mai 1898). Der Brief, den Sie nach dem Fortgang der Geschichte heute wohl so nicht mehr schreiben würden, wird immer wieder zitiert – wenn es gilt, Sie einer antisemitischen Grundeinstellung zu überführen.

Geradezu paradox wirkt es, dass einige Ihrer damaligen Äußerungen Überlegungen ähneln, die ein berühmter jüdischer Zeitgenosse äußerte, nämlich der Wiener Journalist Theodor Herzl, der Begründer des politischen Zionismus. Herzl hatte zwar andere Motive und Gründe als Sie, aber er kam zu ähnlichen Schlüssen. In seiner 1896 veröffentlichten Schrift „Der Judenstaat. Versuch einer modernen Lösung der Judenfrage“, vertrat Herzl wie Sie die Ansicht der Unvereinbarkeit beider Kulturen. Die Juden, so meinte er, könnten sich anstrengen, wie sie wollten, sie würden am Ende doch nicht akzeptiert werden. Ihr Streben nach Dazugehörigkeit sei ein zum Scheitern verurteilter Irrweg.

Trotz der Abneigung gegenüber dem Judentum und den Juden als Kollektiv, die bei Ihnen im Werk, vor allem aber in Ihren Briefen, immer wieder durchschimmert, pflegten Sie Kontakte zu einzelnen Juden. Zu dem Amtsrichter Dr. Georg Friedländer etwa, einem getauften Nachkommen des Mendelssohn-Schülers David Friedländer, den Sie 1884 bei einem Ferienaufenthalt in Krummhübel im Riesengebirge kennen lernten.

Zwischen Ihnen beiden soll sich so etwas wie eine freundschaftliche Beziehung entwickelt haben, eine „Plauderkameradschaft“, wie man in der Literatur nachlesen kann. Der von Thomas Mann so hoch gepriesene Briefwechsel zwischen Ihnen beiden, von dem leider nur noch Ihre Briefe überliefert sind, belegt, welches Vergnügen es Ihnen seiner Zeit bereitete, sich mit Friedländer über dies und jenes, über Klatsch und Tratsch, auszutauschen.

Was allerdings wirklich irritiert, verehrter Herr Fontane, sind Ihre hämischen Bemerkungen über Friedländers jüdische Herkunft. So bezeichnen Sie ihn in Ihrem Brief an Friedrich Paulsen vom Mai 1898 als einen „Stockjuden“, der seine „jüdische Gesinnung nicht loswird“. Auch gegenüber Friedländer, den Sie als Ihren Freund ansahen, haben Sie keine Scheu gehabt, sich mitunter abfällig über ihn und das Judentum zu äußern. So beklagten Sie sich Friedländer gegenüber in einem Ihrer letzten Briefe, dass die europäische Presse „eine große Judenmacht“ sei, die der Welt ihre Meinung aufzwinge. Es war dies eine klassische Stereotype, die auch heute noch häufig zu hören ist.

Wie Georg Friedländer und andere Ihrer jüdischen Bekannten auf solche Äußerungen reagiert haben, wissen wir nicht. Sie werden, so vermute ich, diese achselzuckend nach dem Motto zur Kenntnis genommen haben: Nicht allzu ernst nehmen, tiefer hängen. Man sah Ihnen, verehrter Meister, so manches nach, was man bei anderen nicht getan hätte. Der Bewunderung und Verehrung für Sie hat das indes offensichtlich keinen Abbruch getan.

Das deutsch-jüdische Bürgertum, ansässig in Berlin und Umgebung, verehrte Sie, ja vergötterte Sie geradezu, als jemanden, der im Brandenburgischen zu Hause war und die Welt des preußisch-märkischen Adels in ihren Werken beschreibt. Es war eine Welt, der man ebenfalls gerne angehört hätte. Das aber war, wie wir heute wissen, ein Traum, eine Wunschvorstellung. Der Zugang zu der Schicht des preußischen Adels war für Juden (wohlgemerkt bis auf ein paar wenige Ausnahmen!) durch unüberschreitbare gesellschaftliche Schranken versperrt.

In dem berühmten Gedicht zu Ihrem 75. Geburtstag beklagen Sie in einem ironisch-sarkastischen Tonfall, dass der märkische Adel, die Stechows, Bredows, Quitzows, Rochows und Itzenplitze also, nicht zu Ihrem Ehrentag erschienen sei. Anders dagegen die Vertreter des „prähistorischen Adels“, wie Sie die Juden genannt haben. Sie waren zur Stelle. Die Pollocks, die Mayers und Isaaks sowie diejenigen, deren Namen mit „-berg“ oder „-heim“ enden. Sie erschienen, wie es in Ihrem Gedicht heißt, in Scharen. „Alle haben sie mich gelesen, Alle kannten mich lange schon,/ Und das ist die Hauptsache ... kommen Sie, Cohn!“.

Wie immer man das Gedicht bewerten mag, es wäre übertrieben, es als antisemitisch zu bezeichnen. Das lässt sich beim besten Willen aus Ihren Versen nicht herauslesen. Was Sie insgeheim aber wohl gestört haben mag, war die Rolle des Kulturträgers, die Ihrer Ansicht nach die Juden für sich beanspruchten. Das äußerten Sie in ihrem Geburtstagsgedicht zwar nicht expressis verbis, aber unterschwellig klingt es in den Versen an. In Ihren letzten Lebensjahren sind Sie darauf immer wieder zurückgekommen und haben damit eine Debatte vorweggenommen, die einige Jahre später die Gemüter in Deutschland heftig erregt.

Diesmal waren es dann jedoch nicht Sie, sondern Moritz Goldstein, ein Publizist jüdischer Herkunft, der in einem Aufsatz, überschrieben „Deutsch-jüdischer Parnaß“, in der Zeitschrift „Der Kunstwart“, den Gedanken aufnahm und erklärte: „Wir Juden verwalten den geistigen Besitz eines Volkes, das uns die Berechtigung und die Fähigkeit dazu abspricht“. Ob Goldstein Ihre Einlassungen dazu kannte, kann nicht mit Bestimmtheit gesagt werden. Wir sind auf Vermutungen angewiesen.

Es wäre noch viel dazu zu sagen. Aber belassen wir es bei diesen beiläufigen Gedanken. Ich würde gerne mit Ihnen zusammen im September noch einmal durch die märkische Landschaft streifen, und zwar aus einem ganz bestimmten Grund, nämlich um Ihnen die heute weitgehend verfallenen Gutshäuser und Schlösser des märkischen Adels zu zeigen. Sie befinden sich in einem ausgesprochen traurigen Zustand.

Ich würde mich freuen, wenn wir bei dieser Gelegenheit auch den Garten der Ribbecks von Ribbeck im Havelland besuchten. Wir könnten uns dann, vielleicht in kleiner Runde sitzend unter einem Birnbaum (der einstige Birnbaum steht allerdings zu unserem allseitigen Bedauern nicht mehr!), über Ihre damalige verquere Sicht der Juden und des Judentums unterhalten. Sie werden heute manches sicher anders sehen. Da bin ich mir ganz sicher. Ich darf Sie deshalb zu einem Tête-à-Tête oder sagen wir besser zu einem Gespräch nach Ribbeck ins schöne Havelland einladen. Zögern Sie nicht. Ihre Verehrer warten auf Sie. Kommen Sie, Fontane!

Es grüßt Sie herzlich

Ihr Julius H. Schoeps

Es schreibt heute: Julius H. Schoeps. Der Historiker und Politikwissenschaftler ist Gründungsdirektor des Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien an der Universität Potsdam und Vorstandsvorsitzender der Moses Mendelssohn Stiftung. 

>>Nächste Woche schreibt die Potsdamer Schriftstellerin Christine Anlauff.

Alle Folgen der Serie „Briefe an Fontane“ anlässlich seines 200. Geburtstages lesen Sie auf www.pnn.de/themen/fontane

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