Hans Otto Theater in Potsdam: Endlich wieder mit Bären schmusen
Das HOT stellt seine neue Spielzeit vor – mit vielen coronabedingt verschobenen Premieren. Nach langer Zwangspause und viel Digitalität setzt es jetzt ganz auf die Sinne.
Potsdam - Das Setting dieser Spielzeitkonferenz, der dritten in der Ära Jahnke, passt zum Thema. Vor der Reithalle ist es drückend heiß, sogar drinnen spürt man, wie der Sommer seine Muskeln spielen lässt. Schwüle, Schweiß. Auf dem neuen Spielzeit-Heft: eine Frauenwange in porengenauer Nahaufnahme. Eine Haarsträhne klebt auf der Haut. Das Motto: Die Sinne spielen.
Der Dreiklang „Haltung, Offenheit, Toleranz“, mit dem Intendantin Bettina Jahnke 2018 in Potsdam angetreten war, ist damit abgelöst. 2021/22 soll es nicht in erster Linie um gesellschaftliche Debatten gehen, sondern um das, was Theater grundsätzlich ausmachte, bis Corona kam. Die direkte Begegnung, mit allen Nebenwirkungen.
Der pandemische Produktionsstau
Insgesamt 20 Produktionen sind geplant, darunter 14 Premieren. Der Großteil der Namen ist dem theateraffinen Publikum bereits bekannt, denn: „Natürlich gibt es auch bei uns einen Produktionsstau“, sagt Jahnke. Alles, was in den vergangenen Monaten produziert wurde und nie oder nur digital gezeigt werden konnte, muss jetzt raus.
So kommt es zu einer Reihe von Déjà-vus. „Die Lage“ von Thomas Melle, „Die Mitwisser“ von Philip Löhle, „In den Gärten der Lysistra 2“ von Sibylle Berg: Der ganze schöne Reigen zeitgenössischer Stücke war bereits für die letzte Spielzeit geplant.
Einiges, wie Löhles „Die Mitwisser“ und die französische Komödie „Der Vorname“, wurden inzwischen online als Stream gezeigt. Aber echte Premiere bleibt echte Premiere, sagt Bettina Jahnke: die Aufregung, das Adrenalin.
Theater ist ins Feuer starren
Im Spielzeitheft kann man nachlesen, wie sich jener lang vermisste Moment, wenn man eine Bühne vor Menschen betritt, für die Schauspieler:innen des Ensembles anfühlt. „Theater ist ins Feuer starren, mit Bären schmusen“, schreibt Paul Sies. „Vor Aufregung nicht schlafen und vor Vorfreude nicht essen.“ Hannes Schumacher schreibt, Spielen sei wie im Auge des Tornados zu sein, „mit allem irgendwie verbunden.“
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Vor lauter Spiellust stürzt sich das Theater etwas früher als sonst in die neue Spielzeit: Am 14. August feiert der lange verschobene „Vorname“ von Matthieu Delaporte und Alexandre de La Patellière endlich Live-Premiere im Großen Haus. Am 21. August folgt „Die Mitwisser“ von Philipp Löhle in der Reithalle.
Zwei vielgespielte Zeitgenossen
Im September folgen dann zwei gänzlich neue Produktionen: „Der Kaufmann von Venedig“ in der Regie von Malte Kreutzfeldt – und Ende September zeigt Bettina Jahnke Nis-Momme Stockmanns „Das Imperium des Schönen“, in der eine Familie exemplarisch für die Weltgesellschaft steht.
Ein weiterer viel gespielter zeitgenössischer Dramatiker ist Ewald Palmetshofer, von dem im Oktober eine Neubearbeitung von Gerhart Hauptmanns Sozialdrama „Vor Sonnenaufgang“ gespielt wird. Der österreichische Sprachakrobat macht daraus ein heutiges Familienporträt. Es inszeniert, erstmals in Potsdam, Marlene Anna Schäfer.
Erstmals nach neun Jahren: Das Ensemble im Schlosstheater
Erstmals seit neun Jahren darf das Ensemble des HOT wieder ins Schlosstheater: Im März 2022 will Bettina Jahnke dort „Amadeus“ von Peter Shaffer auf die Bühne bringen. Zuvor, im November, wird am gleichen Ort endlich die verschobene „Rape of Lucretia“ von Benjamin Britten nachgeholt, die Potsdamer Winteroper fiel letztes Jahr Corona zum Opfer (Regie Isabel Ostermann).
Finanziell hat das Theater die Krise bislang erstaunlich unbeschadet überstanden: Obwohl es 2020 nur halb so viele Besucher:innen gab wie im Vorjahr, habe man das Jahr ohne Verluste beenden können, sagt Geschäftsführerin Petra Kicherer. Fehlende Einnahmen habe man durch Kurzarbeit und Einsparungen bei Nebenkosten ausgleichen können.
Bühne auf Zack
Premierentermine sucht man im Spielzeitheft übrigens vergeblich: Ausdruck der planerischen Unsicherheit, die angesichts des Lockdowns zur Zeit der Drucklegung vor drei Monaten herrschte. Und auch die „Bühne auf Zack“ ist ein Überbleibsel der Pandemie: eine kleine Wanderbühne, gebaut für den Aktionstag von KulturMachtPotsdam. Im August und September soll sie Geschichten und Aufmerksamkeit für das Theater in Potsdams Quartiere bringen.
Neu sind auch die „Brandenburger Dialoge“, in denen das Theater gemeinsam mit dem Publizisten Martin Ahrends den Brückenschlag zu Andersdenkenden unternehmen will. Zwei Schauspieler:innen, David Hörning und Marie Therése Fischer, verlassen zur neuen Spielzeit das Ensemble. Wer an ihrer Statt ins Haus am Tiefen See kommen wird, ist noch nicht bekannt.
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