China und die Meinungsfreiheit: Eine Zensur findet (nicht) statt
Eine Buchpräsentation in Deutschland, eine Ausstellung in Italien, ein Basketballstar in den USA: China will im Westen Einfluss auf Kultur und Sport nehmen.
China versucht zunehmend, Zensur auch in Europa auszuüben. Vor wenigen Tagen wurde eine an den Konfuzius-Instituten in Duisburg und Hannover geplante Online-Lesung aus Stefan Austs und Adrian Geiges‘ Biografie über den chinesischen Staatschef „Xi Jinping – der mächtigste Mann der Welt“ auf chinesische Intervention hin vorerst abgesagt. Zwar findet sie an diesem Mittwoch nun doch um 19 Uhr statt, allerdings ausgetragen vom Ostasieninstitut der Universität Duisburg-Essen (Registrierung zum Zoom-Webinar hier).
.„Unsere Kooperations-Uni in Wuhan hat uns freundlich dargelegt, dass sie es nicht gut fänden, wenn wir die Veranstaltung durchführen“, sagte Markus Taube, einer der Direktoren des Duisburger Konfuzius-Instituts. Es sei der erste Fall einer solchen Einflussnahme. Alle Konfuzius-Institute basieren auf der Zusammenarbeit deutscher und chinesischer Universitäten, alleine in Deutschland gibt es 20 davon. Sie werden vom chinesischen Bildungsministerium gefördert.
Dass die Lesung nun doch stattfindet, ist auch die Folge von deutlicher Kritik am Rückzieher der Institute, etwa seitens des niedersächsischen Wissenschaftsministers Björn Thümler. „Die Freiheit von Forschung und Lehre ist nicht verhandelbar“, betonte der Duisburger Universitätsrektor Ulrich Radtke am Montag; NRW-Kulturministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen sprach von einem „besorgniserregenden“ Vorgang.
Noch gravierender ist der Versuch der chinesischen Botschaft in Italien, dort an der Meinungs- und Kunstfreiheit zu rütteln – ohne dass chinesische Fördergelder im Spiel sind. Die Botschaft hat den Bürgermeister von Brescia in einem Brief aufgefordert, die im Museo di Santa Giulia für November geplante Ausstellung des chinesischen Künstlers und politischen Karikaturisten Badiucao abzusagen.
Laut der Zeitung “Giornale di Brescia” heißt es in dem Schreiben, Badiucaos Arbeiten seien “voller anti-chinesischer Lügen”. Sie verdrehten Fakten und verbreiteten Falschinformationen.
Badiucaos Hongkong-Cartoons waren 2019 an der Eastside Gallery in Berlin zu sehen
Badiucao, der seit 2009 im Exil in Australien lebt und zur Zeit die Ausstellung in Brescia aufbaut, thematisiert in seinen Cartoons die Allmacht der Kommunistischen Partei Chinas, die Niederschlagung der Protestbewegung in Hongkong oder die Inhaftierung und den Tod des Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo. Auch versucht er, mit seinen Bildern das Tienanmen-Massaker vom 4. Juni 1989 in Erinnerung zu halten.
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Dennoch versteht er sich nicht in erster Linie als Protestkünstler. Überall auf der Welt sei es normal, sich mit Cartoons und Satire über die Mächtigen lustig zu machen, nur China finde das nicht normal, sagte er 2019 im Tagesspiegel-Interview anlässlich der großformatigen Open-Air-Präsentation seiner Hongkong-Cartoons an der Berliner Eastside Gallery. 2019 hatten die chinesischen Behörden eine große Ausstellung in Hongkong in letzter Sekunde verhindert.
Der 35-jährige, aus Schanghai stammende Künstler wird öfter auch der „Banksy von China“ genannt. Da Badiucao selbst im Exil in Melbourne bedroht wurde, ebenso Mitglieder seiner Familie, zeigte er sich öffentlich nur mit Mütze über dem Kopf – bis er 2018 enttarnt wurde. Auch andere Künstler vor allem aus Hongkong haben ihre Heimat wegen des zunehmenden Drucks verlassen. So ging der Hongkonger Künstler und Demokratie-Aktivist Kacey Wong im August nach Taiwan, ein Exil aus politischen Gründen, wie er betonte.
Museumsleiter Stefano Karadjov und Politiker der Stadt haben das Ansinnen der chinesischen Botschaft entschieden zurückgewiesen. „Was hier geschieht, bestätigt nur die Dringlichkeit, über Themen wie Demokratie und Freiheit zu diskutieren“, so Karadjov. „Museen müssen dies schützen.” Dem Journal “The Art Newspaper” sagte er, in den 20 Jahren der Fondazione Brescia Musei habe es nie einen solchen Einmischungsversuch gegeben.
"China ist (nicht) nah" heißt Badiucaos Ausstellung in Brescia
„Die Freundschaft zwischen dem italienischen und dem chinesischen Volk steht außer Frage“, aber es sei „wichtig zu zeigen, dass man Freunde bleiben und gleichzeitig Dinge kritisieren“ kann, teilte der Bürgermeister von Brescia Emilio Del Bono mit, wie die Zeitung „Il Foglio“ berichtete. „Kunst und Meinungsfreiheit gehören für uns unabdingbar zusammen“, twitterte die stellvertretende Bürgermeisterin Laura Castelletti am Montag. Badiucao weiß diese klaren Signale Richtung China und die unmissverständliche Absage an jeden Zensurversuch sehr zu schätzen, wie er beim Telefonat am Mittwochabend sagt. Er wurde zuletzt in den sozialen Medien auch wieder persönlich bedroht, auch von einem Twitter-Account, der auf den chinesischen Staatssender CGTN zurückzuführen ist.
Der Künstler arbeitet auch mit dem Basketballstar und Menschenrechtsaktivisten Enes Kanter zusammen
Badiucao arbeitet seit einiger Zeit auch mit dem Basketballstar Enes Kanter zusammen. Bei einem Match der Boston-Celtics in der vergangenen Woche trug Kanter Sportschuhe, die von Badiucao bemalt waren - mit dem Schriftzug "Free Tibet" in den Farben der Tibetflagge.
Die Folge: Die Spiele seiner Mannschaft werden in China nicht mehr live übertragen. Trotzdem macht Kanter weiter: In einem Tweet bezeichnete er Xi Jinping als "brutalen Diktator", schrieb, er lasse sich nicht zum Schweigen bringen. Er trägt weiterhin Badiucao-Schuhe mit wechselnden china-kritischen Slogans.
Die Ausstellung sei schon für 2020 geplant gewesen, habe wegen der Covid-19-Pandemie aber verschoben werden müssen, erzählt Badiucao am Telefon. Brescia war ein Corona-Hotspot, es gebe eine enge Verbindung zwischen Städten wie Brescia und Wuhan. In seinen aktuellen Arbeiten würdigt er deshalb auch die Leidtragenden der Pandemie, couragierte Helfer, Klinikpersonal, Sozialarbeiter.
Bei der Ausstellung “La Cina (non) è vicina“ (China ist nicht nah) handelt es sich um die erste große internationale Einzelschau von Badiucao. Sie eröffnet am 13. November und soll für drei Monate zu sehen sein. (mit dpa)
Christiane Peitz