Protestbewegung in Hongkong: „Hongkong kämpft für die Freiheit von China“
Der chinesische Exilkünstler und Cartoonist Badiucao über Tiananmen, die Proteste in Hongkong – und wie Käthe Kollwitz und Ai Weiwei seine Cartoons prägen.
Der Künstler Badiucao, 1986 in Schanghai geboren, lebt seit 2009 in Australien im Exil. Er zeichnet politische Cartoons, etwa zum Tod des Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo zur Protestbewegung in Hongkong oder zur Situation der australischen Aborigines. Bevor er 2018 enttarnt wurde, trat er öffentlich nur mit bunter Mütze über dem Kopf auf. Gelegentlich arbeitet er in Berlin bei Ai Weiwei im Atelier. Auch diese Woche ist er in Berlin zu Gast, an diesem Samstag, den 23. November, bringt er an der Uferseite der Eastside Gallery einige seiner Hongkong-Cartoons im Großformat an. "Vernissage" ist um 13 Uhr.
Badiucao, auf Ihrem Twitter-Account sind Sie ein „australisch-chinesischer Künstler, der von der Regierung in Peking gehasst wird“. Warum diese Selbstbeschreibung?
Weil ich inzwischen zwar australischer Staatsangehöriger bin, aber trotzdem Chinese. 2009 ging ich als Student nach Adelaide, und als ich für eine Reise zurück in meine Heimat ein Visum beantragte, verlangte die chinesische Botschaft meinen alten Ausweis. Sie schnitten eine Ecke ab und stempelten „Ungültig“ darauf. Es fühlt sich brutal an: Du weißt, was deine Wurzeln sind, und sie behandeln dich wie ihr Eigentum, dessen sie sich entledigen können. Ich habe eine Installation dazu gemacht, mit meinen Sachen aus China, Essstäbchen, Briefmarken, Tischtennisschläger: Bei jedem Gegenstand habe ich eine Ecke abgeschnitten und ihn gestempelt.
Und warum hasst die Regierung Sie?
Ich wollte nie Aktivist oder Regimekritiker sein. Keine meiner Arbeiten ist eine Provokation, sie sind nur das Resultat meiner Erfahrungen. Überall auf der Welt gibt es politische Cartoons und Satire, die sich über die Mächtigen lustig macht, es ist etwas ganz Normales. Nur China findet es nicht normal, und deshalb gelte ich als führender Protestkünstler. Nein, das bin ich nicht.
Sie zeichnen viele Cartoons zur Protestbewegung in Hongkong. Waren Sie dort?
Das erste Mal war ich 2014 dort, beim 25. Jahrestag des Massakers auf dem Platz des Himmlischen Friedens. Jedes Jahr versammeln sich die Menschen am 4. Juni im Victoriapark in Hongkong, um an die Opfer von Tiananmen zu erinnern. 2014 kamen über 200.000 Leute. Es hat mich sehr berührt, diese Atmosphäre des Protests und des Freiheitswillens zu erleben. Im gleichen Jahr startete die Regenschirm-Revolution. Seitdem bin ich in engem Kontakt mit den Leuten dort, will wissen, wie es ihnen geht und erfahre täglich von Menschen, die zusammengeschlagen, willkürlich verhaftet oder misshandelt wurden.
Ihre Cartoons ziehen Parallelen zu Tiananmen. Sie greifen zum Beispiel das berühmte Bild von dem Studenten auf, der allein vor einem Panzer steht.
In China ist jede Erinnerung an Tiananmen verboten. Ich versuche sie aufrechtzuerhalten. In einem Cartoon habe ich lauter junge Leute auf den Panzer gestellt, sie machen Party. Ich wollte zeigen, wie jung die Protestierenden sind, damals in Peking wie heute in Hongkong, und dass auch Romantik in der Bewegung steckt.
Was kann Kunst ausrichten?
Sehr viel. Nach innen kann sie den Zusammenhalt stärken, ermutigen und trösten. Und es geht wie gesagt um die Erinnerung, die Chinas KP gerne auslöschen möchte. Kunst setzt die Gegenwart in ihren historischen Kontext. Die Leute auf der Straße sollen wissen, dass nicht vergessen wird, was sie tun, das kann sehr ermutigend sein. Auf Anfrage kann man meine Cartoons kostenfrei downloaden, an öffentlichen Orten anbringen, sie im Internet vervielfältigen. Ich verzichte auf mein Copyright, schon damit es schnell geht: In Hongkong sterben Menschen.
Und was können Sie nach außen bewirken?
Im Moment interessieren sich die Medien nur für die Gewalt. Als ob es nicht fünf Jahre lang friedliche Proteste gegeben hätte. Wie groß ist die Zahl der militanten Aktivisten? Die übergroße Mehrheit der Studenten ist friedlich. Ich möchte keine pauschale Medienschelte betreiben, aber offenbar ist es auf die Dauer langweilig, nur große, friedlich demonstrierende Menschenmengen zu zeigen. Molotowcocktails sind aufregender, sie sind ein Hingucker. Kunst ist auch ein Hingucker, sie kann ein Korrektiv sein.
Sie zeichnen viel auf rotem Grund, kapern das chinesische Propaganda-Rot, eine aggressive Farbe.
Eine intensive Farbe, ich nenne es mein Anti-Propaganda-Rot. Es ist auch von Käthe Kollwitz inspiriert, sie hat mich geprägt, ihre Holzschnittarbeiten, der expressionistische Gestus, das Engagement für die Arbeiter und die einfachen Leute. Man muss dazu wissen, dass Kollwitz schon die künstlerische Linke im China des frühen 20. Jahrhunderts beeinflusst hat. Später übernahm die offizielle Staatskunst ihren Stil Ich nehme ihr das gewissermaßen wieder weg und beziehe mich auf meine Weise auf Kollwitz. Kultur wird von der KP gezielt als Softpower eingesetzt. Deshalb kapere ich inzwischen auch traditionelle chinesische Maltechniken und fertige Tuschezeichnungen an.
Sie haben Simon Cheng mit Tusche gezeichnet, den Angestellten der britischen Botschaft, der in Hongkong tagelang gefoltert wurde. Darüber wird wenig in den hiesigen Medien berichtet.
In den letzten Tagen schon, und prompt versuchten die chinesischen Behörden ihn moralisch zu desavouieren, indem sie behaupten, er sei bei Prostituierten gewesen. Sie haben ein erzwungenes Geständnis veröffentlicht, in dem er sagt, er habe seine Familie nicht über seine Verhaftung informiert, weil er sich wegen des Bordells geschämt habe. Wenn sie nicht für komplettes Schweigen sorgen, kreieren sie falsche Narrative. Wie das Narrativ, dass der Westen die Chinesen hasst, weshalb alle zusammenhalten müssten.
Wegen Tiananmen wird in China selbst das Datum 4. Juni zensiert. Was wussten Sie als junger Mensch über das Massaker?
Nichts. In der Familie wurde nicht darüber gesprochen, es wäre zu gefährlich gewesen. Bevor ich nach Adelaide ging, studierte ich Jura in China. Mit meinen Kommilitonen im Wohnheim guckte ich jeden Samstag einen Film. Wir haben sie meistens aus dem Netz heruntergeladen, nicht ganz legal, und wunderten uns, warum eines samstags der Download fünf Stunden lang war. Wir starteten den Spielfilm trotzdem, nach einer halben Stunde begann plötzlich etwas ganz anderes: die dreistündige Tiananmen-Dokumentation „The Gate of Heavenly Peace“.
Sie war in einem anderen File versteckt?
Damit junge Leute wie ich davon erfahren. Als ich dann in Hongkong so viele Menschen sah, die an Tiananmen erinnern, war es fast magisch. Seitdem ist die Stadt für mich mehr als ein Finanzzentrum, mehr als Neonlicht bei Nacht, als Popsongs und Bruce-Lee-Filme, die in der Generation meiner Eltern sehr beliebt sind. Damit bin ich aufgewachsen. Heute ist Hongkong für mich die Stadt, die für die Freiheit von China kämpft.
Wie wurden Sie eigentlich Cartoonist?
Ich wusste früh, dass ich Künstler werden will. Und dass es gefährlich ist. Meine Großeltern waren Filmemacher, sie wurden in den Fünfzigern als Mitglieder der Hundert-Blumen-Bewegung verfolgt und ermordet. Meine Eltern erzählten davon immer voll Stolz und voller Furcht. Mein Vater sagte, werd besser Friseur oder Koch. Wie die politische Lage auch sein mag, die Haare wachsen immer und die Leute brauchen was zu essen. Aber ich war nicht abzubringen von meinem Wunsch und wir kamen überein, dass ich besser das Land verlasse. In Australien studierte ich Pädagogik, arbeitete als Lehrer. Und als ich mein Dauervisum hatte, fing ich mit dem Zeichnen an. Mein erster Cartoon widmete sich dem Eisenbahnunglück von Wenzhou 2011.
Zwei Hochgeschwindigkeitszüge prallten aufeinander, es gab 40 Tote.
China wollte die neue Technologie in die ganze Welt verkaufen, also versuchte die Regierung, das Unglück zu kaschieren. Aber das Internet wurde noch nicht so streng kontrolliert, es war voll mit Kommentaren. Ich zeichnete die Züge, aber statt einer Explosion beim Aufprall gibt es ein schönes Feuerwerk. Tragödien schönreden, das ist die chinesische Methode. Ich fing dann an, Ai Weiwei meine Arbeiten zu schicken, er wurde mein Mentor. Er war streng, fand vieles nicht gut, meinte, ich brauche erst mal Lebenserfahrung. Ich bin ihm sehr dankbar, er hat mich immer unterstützt. Zuletzt konnte ich hier in Berlin für ihn als Grafiker arbeiten.
Ihr Name, Badiucao, ist ein Pseudonym. Kurz vor ihrer ersten Einzelausstellung 2018 Hongkong wurden Sie enttarnt. Was ist geschehen?
Die Online-Zeitung Hongkong Free Press wollte meine Cartoons in ihren Räumen zeigen. Viele wollten kommen, der Hongkong-Aktivist Joshua Wong, Pussy Riot, namhafte Künstler, es war ein richtiger Hype. Aber dann erhielt meine Familie in China Besuch von der Polizei. Einen meiner Verwandten nahmen sie mit auf die Wache, er wurde stundenlang verhört. Dabei weiß meine Verwandtschaft nichts über meine Arbeit, schon damit ich sie nicht gefährde. Wenn wir nicht canceln, hieß es, würde Geheimpolizei bei der Eröffnung auftauchen, alle würden Probleme bekommen. Drei Tage vor der Eröffnung mussten wir die Show absagen.
Wissen Sie, wer Sie enttarnt hat?
Nicht genau. Als ich letztes Jahr in Berlin im Atelier von Ai Weiwei arbeitete, gab es Streit über Donald Trump zwischen Ai Weiwei und dem chinesischem Dichter Liao Yiwu, beide Dissidenten im Berliner Exil. Ich reagierte kritisch auf einen Tweet, in dem Liao Yiwu Trumps Handelskrieg pries, als Beitrag dazu, dass Liu Xia ausreisen konnte, die Witwe des in Haft gestorbenen Nobelpreisträgers Liu Xiaobo. Er twitterte zurück, er wisse, wer ich bin, ich sei gerade bei Ai Weiwei in Berlin, deshalb würde ich ihn attackieren. Ich fürchte, es war dann leicht für die chinesischen Behörden, meine Identität herauszufinden. Sie beobachten genau, was Dissidenten in den sozialen Netzwerken schreiben. Es war sehr frustrierend.
Wie geht es nun weiter in Hongkong?
Eine wichtige Rolle spielen die Wahlen in Taiwan im Januar. Das Regime möchte, dass seine Strategie „Ein Land, zwei Systeme“ eine Chance hat. Bis dahin werden sie die Proteste in Hongkong kaum brutal mit Panzern beenden. Der andere entscheidende Faktor ist der Westen.
Was kann der Westen tun?
Es geht nur mit Wirtschaftssanktionen. Wer Geschäfte mit China macht, muss auf die Menschenrechte beharren, nicht nur wegen Hongkong, auch wegen der Uiguren oder Tibet. Zum Wohl der Chinesen und zum Wohl aller. Andernfalls wird das Monster gefüttert und es gibt einen neuen Kalten Krieg, eine Blockkonfrontation. Betroffenheit genügt nicht, es muss gehandelt werden, und zwar schnell. Mehr als auf die USA hoffe ich dabei auf Deutschland, als führende Nation der freien Welt.
Christiane Peitz