Hans Otto Theater: Die Spielzeit der Frauen
Mietwucher, 30 Jahre Deutsche Einheit, Kapitalismuskritik: Das Hans Otto Theater plant im Corona-Jahr eine politische Spielzeit. Und es setzt auf Frauen.
Potsdam - Wie auf unheimliche Weise zeitgemäß das einem scheinen will: Drei Monate, nachdem im Hans Otto Theater das letzte Mal jemand auf der Großen Bühne spielen durfte, ist auf der Pressekonferenz zur kommenden Spielzeit dort das gesamte Ensemble zu sehen – im Film. Das Theater hat die durch die Corona-Pandemie auferlegte Zwangspause nicht nur für Ausbesserungsarbeiten im Haus genutzt, sondern sich auch Zeit genommen, Programm-Highlights in einen Werbefilm zu gießen.
Darin sitzt das Ensemble, ganz im Sinne der Corona-Auflagen, lose verteilt im entkernten Saal. Eine Kamera fährt wild zwischen den Schauspielern herum und diese rufen, raunen, flüstern Sätze aus dem kommenden Programm hinein: „Wem gehört die Erinnerung?“ Und: „Die DDR stirbt.“ Und: „Wenn die Wirtschaft floriert, geht es auch der Gesellschaft gut – aber zu welchem Preis?“ Dazu seufzende Geigen, reißerisches Schlagwerk.
Nach "Haltung" und "Offenheit" heißt das Motto jetzt: Toleranz
Der Film ist Marketing – vor allem aber zeigt er, wie groß der Wunsch am Hans Otto Theater ist, es endlich, endlich wieder krachen zu lassen. Und die etwas irritierend flirrende Aufmachung des Films sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auch inhaltlich der kommenden Spielzeit zur Sache geht. Nach den Stichworten „Haltung“ und „Offenheit“ wollten sich Bettina Jahnke und ihr Team im dritten Potsdamer Jahr dem Thema Toleranz widmen – und tatsächlich mäandert das Motiv durch die Stückauswahl, vor allem im Kinder- und Jugendtheater („Nathans Kinder“ nach Lessing von Ulrich Hub, „Die zweite Prinzessin“ von Gertrud Pigor, „Wolf sein“ von Bettina Wegenast). Sechs Premieren sind aus der jetzigen, durch die Pandemie frühzeitig beendeten Spielzeit übernommen worden. Repertoirestücke werden erst in der zweiten Spielzeithälfte wieder gezeigt.
Das erste Stück der Potsdamer Autorin Julia Schoch
Aber wichtiger, erfreulicher als ein thematisches Label ist ohnehin: Im Fokus stehen fast durchweg für das Jahr 2020 relevante, teilweise brandaktuelle Themen. Die große Mehrzahl der Autoren ist zeitgenössisch. Die Beschäftigung mit dem Ende der DDR wird im Jahr 30 nach der Wiedervereinigung mit gleich zwei Texten weiterverfolgt: „89/90“ nach dem gleichnamigen Roman von Peter Richter (Regie Fanny Brunner) und „Die Jury tagt“ (Regie Catharina Fillers) von Julia Schoch. Mit dem Auftragswerk stellt die Potsdamer Autorin erstmals einen Theatertext vor – und sie knüpft inhaltlich an eine Debatte an, die Potsdam tatsächlich umtrieb: Vier Menschen sollen über den Denkmalentwurf für ein Einheitsdenkmal entscheiden. Was zu Unfrieden führt.
Ein Stück, das Potsdamern an die Nieren gehen dürfte
Ein weiteres Stück, das Potsdamern an die Nieren gehen dürfte, ist „Die Lage“ (Regie Elina Finkel) des Berliner Autors Thomas Melle. Es ist ein Text „über den Wohnungsmarkt als Schlachtfeld“, so Dramaturgin Bettina Jantzen, einer, der die Frage stelle, wie weit zu gehen man bereit sei, um „normal“, bezahlbar also, zu leben.
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Auch Henrik Ibsens „Die Stützen der Gesellschaft“ fragt nach den Folgen eines ungezügelten Kapitalismus, nach dem Verhältnis von Privatem und Politischem, nach der Vereinbarkeit von Wirtschaftlichkeit und Moral. Regie führt hier Sascha Hawemann, das Stück stand vor dem Corona-Lockdown kurz vor der Premiere. Bereits Inszeniertes uminszenieren, um den erforderlichen Sicherheitsregeln zu entsprechen, das schließt Intendantin Jahnke als „Eingriff in die künstlerische Freiheit“ grundsätzlich aus. Um Hawemanns „ureigene Kraft nicht zu bremsen“ (Jantzen), hat man das Stück auf 2021 verschoben.
Dem Theater fehlen nach der Schließzeit rund eine Million Euro
Und noch ein hochaktuelles Stück gibt es – das allerdings noch geschrieben werden muss: Gemeinsam mit Regisseur Frank Abt wird Dramaturgin Natalie Driemeyer eine Inszenierung über Greta Thunberg erarbeiten. Die Leitfrage für die dem Programm zufolge „Recherchereise ins Ungewisse“: Wo steht der Klimaschutz nach der Corona-Pandemie? Wo die Reise hin ging, wird im Mai 2021 zu sehen sein.
Auf die Frage, wo das Hans Otto Theater nach der Corona-Pandemie steht, gab Geschäftsführerin Petra Kicherer schon jetzt Antwort. Die Einnahmeausfälle seit Beginn des Lockdowns Mitte März betragen ihrer Einschätzung nach rund eine Million Euro. Obwohl durch entfallene Strom- und Beleuchtungskosten rund 100 000 Euro eingespart werden konnten, obwohl Mitarbeiter des Theaters seit Mai in Kurzarbeit waren. Ob die Stadt angesichts dieses Fehlbetrags noch etwas dazugibt, sei „noch nicht verhandelt“ – aber Kicherer geht davon aus, dass das Theater die Ausfälle „mit einem kleinen Minus“ selbst abdecken kann – und muss.
Corona-Auflagen: Im Großen Haus ist statt für 465 Zuschauer nur Platz für 98
Mit 80 Prozent war das Theater in der zu Ende gehenden Spielzeit gut ausgelastet: 69 617 Zuschauer hatten es bis zum Lockdown besucht. Es wären, vermutet Kicherer, in dieser Spielzeit rund 110 000 geworden, eine Verbesserung dem Vorjahr gegenüber. Doch selbst wenn die kommende Saison ähnlich gut beginnt, werden die Einnahmen deutlich geringer ausfallen: Im Großen Haus finden statt der sonst 465 Besucher unter Corona-Auflagen nur 98 Platz. In der Reithalle werden es nach jetzigem Stand nur 33 sein. Man sei auf andere Szenarien jedoch vorbereitet, sagt Jahnke: „Ob ein Meter, anderthalb oder gar kein Abstand, wir können schnell reagieren.“
Rita Feldmeier und andere starke Frauen
Den Auftakt für die neue Spielzeit macht am 11. September die Intendantin mit ihrer Inszenierung von Wajdi Mouawads „Vögel“. In dem tragischen Stoff geht es um die großen Fragen: Herkunft und Religion, Liebe und Hass, Rassismus und Holocaust. Hierin ist eine dabei, die dann offiziell berentet sein wird: Rita Feldmeier. Nach 44 Jahren im Festengagement wird sie dann erstmals als Freie auf der Bühne des Hans Otto Theaters stehen.
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Eine starke Frau im Auftakt einer Spielzeit, die sich insgesamt auf neue Weise Frauen widmet: Acht der neuen Stücke sind von Frauen inszeniert, sechs von Frauen geschrieben. Auch Sibylle Berg ist wieder an Bord, mit „In den Gärten der Lysistrata Teil 2“. Mit Marion Brasch übernimmt eine Frau auch das bislang von Gert Scobel bestrittene Gesprächsformat. Bei den Klassikern handelt es sich um Schillers „Maria Stuart“ und, die Winteroper im Schlosstheater, Benjamin Brittens „The Rape of Lucretia“. Und nicht zu vergessen: Mit Janine Kreß und Charlott Lehmann sind auch zwei Frauen neu im Ensemble.
Die neue Spielzeit beginnt am 22.8. mit der Eröffnungsaktion „Jetzt sind wir wieder dran!“ Die Theaterkasse öffnet am 10.8.
Lena Schneider
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