Interview | KAP-Geschäftsführer Alexander Hollensteiner: „Die Musiker hängen komplett in der Luft“
Die Coronakrise trifft auch die Kammerakademie Potsdam hart. Alexander Hollensteiner appelliert an die Solidarität des Publikums.
Potsdam - Herr Hollensteiner, auch die Potsdamer Kammerakademie (KAP) musste Konzerte absagen. Was ist diesbezüglich momentan Ihre größte Sorge?
Meine größte Sorge ist schlichtweg die, dass wir von gestern auf heute einen kompletten Einnahmeausfall haben. Es gibt keine Karteneinnahmen, keine Gastspieleinnahmen, keine Kooperationseinnahmen. Und dennoch haben wir einen laufenden Betrieb, der nicht sofort auf Null gestellt werden kann. Zehn Mitarbeiter arbeiten für uns in der Geschäftsstelle. Nun stehen wir vor der Frage, wie wir die Institution stabilisieren können, sodass sie liquide bleibt.
Wie geht es den Musikern?
In unserem besonderen Fall ist es so, dass wir im Kern 32 Musiker haben, die alle freiberuflich tätig sind. Sie alle haben sich für die kommenden Monate, für die gesamten Projekte vorbereitet – individuell und in Gruppen. Sie haben ihre Zeit eingeplant und ihr Leben auf die Projekte ausgerichtet. Die Musiker hängen aktuell komplett in der Luft. Wir sehen aber die Bemühungen von Stadt, Land und Bund, dass man sich etwas für die Solo-Selbstständigen überlegen will. Noch ist es nicht so weit.
Welche Maßnahmen gibt es denn schon?
Es gibt ein paar Sofortmaßnahmen von der Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten, kurz GVL, und der Künstlersozialkasse, kurz KSK. Aber diese sind nur für die unmittelbare Not im Jetzt gedacht. Allerdings müssen wir davon ausgehen, dass es weitere Wochen und Monate dauert, bis der Konzertbetrieb wieder beginnen kann. Ich bin kein Virologe und kein Politiker, aber ich kann mir im Moment nicht vorstellen, dass ab dem 20. April wieder Konzerte stattfinden. Insofern müssen wir davon ausgehen, dass diese Saison nicht mehr richtig anlaufen wird.
Was heißt das für die Musiker?
Wir haben dreieinhalb oder sogar vier Monate, in denen die Kollegen keine Einkünfte erhalten. Deswegen lautet für mich gerade die wichtigste Frage: Werden die Zuwendungen von Stadt und Land, von unseren Partnern also, weiter ausgereicht? Denn im Gegensatz zu den komplett städtischen Institutionen wie dem Hans Otto Theater oder dem Nikolaisaal sind wir ein freier Träger – für uns gibt es per se keine Automatismen. Das Land hat bereits den Großteil ausgereizt. Gestern habe ich mit Potsdams Beigeordneter für Kultur, Noosha Aubel, über eine Unterstützung durch die Stadt gesprochen.
Was wurde Ihnen in Aussicht gestellt?
Das Gespräch war durchaus positiv. Sie hat mir mündlich eine Soforthilfe in Höhe von 200 000 Euro für den gesamten Kulturbereich der Stadt zugesichert. Wie die Mittel aufgeteilt und ausgereicht werden sollen, ist noch unklar. In den nächsten Tagen soll es einen Bescheid geben. Vorher müssen formale Angelegenheiten geklärt werden, etwa die Frage, unter welchen Rahmenbedingungen Zuwendungen ausgereicht werden können. Es muss also zunächst ein rechtlicher Rahmen her. Es geht auch um die Frage, was zuwendungsfähig ist. Sind nur Honorare und Mieten zuwendungsfähig oder sind auch Ausfallhonorare zuwendungsfähig, wie es mittlerweile in NRW der Fall ist.
Wie ist es denn im Normalfall, wie finanziert sich die KAP?
Wir müssen 50 Prozent unseres Etats selbst erwirtschaften. In einem normalen Fall ist das eigentlich gar nicht so schlecht: Man hat zum einen 50 Prozent Stabilität durch öffentliche Zuwendungen, zum anderen muss man sehr nah am Markt bleiben, um die andere Hälfte zu schaffen. Wenn man sich aber jetzt darum bemüht, Ausfallhonorare an freie und selbständige Musikerinnen und Musiker zu zahlen, dann fehlen 50 Prozent der Mittel. Aktuell kann man nur schauen, wo man sparen kann.
Gibt es denn Möglichkeiten?
Der Konzertbetrieb verbraucht am meisten. Wir sparen also, indem wir keine Konzerte spielen. Aber so kann ich die freien Künstler, denen gegenüber ich eine Verantwortung habe, auch nicht bezahlen. Ich versuche also, die Musiker trotz der Unmöglichkeit, Konzerte zu spielen, mit einer Art Ausfallhonorar zu vergüten. Das Land NRW hat soeben eine Regelung beschlossen, nach dem ein Ausfallhonorar in Form von Kurzarbeitergeld als zuwendungsfähig anerkannt wird. Das würde bedeuten, dass immerhin die Musiker rund zwei Drittel ihres Honorars bekommen. Doch wenn ich keine Zuwendungen bekomme, kann ich auch nichts auszahlen. Und wenn ich Zuwendungen bekomme, kann ich etwas bezahlen, aber sicher nicht zwei Drittel, da zudem die Einnahmen aus Gastspielen und Kooperationen weggebrochen sind. Das ist jetzt die Herausforderung: Die Musiker nicht in die Privatinsolvenz und in prekäre Verhältnisse zu stürzen. Sie wären dann schnell bei Arbeitslosengeld II ankommen.
Und es gibt keine Rücklagen?
Die dürfen wir nicht haben. Das Zuwendungssystem in Deutschland sieht Rücklagen nicht vor. Für uns gibt es jetzt keine Möglichkeit, aus irgendwelchen Notreserven zu leben. Das ist aus meiner Sicht auch tatsächlich ein Problem des gesamten deutschen Zuwendungssystems. Die Mittel, die ich bekomme, müssen im Prinzip immer sofort ausgegeben werden. Alle zwei Monate muss mein Konto leer sein. Wenn nicht, können im guten Fall die Zinsen zurückgefordert werden. Im schlechten Fall riskiert man Zuwendungen.
Und wie werden normalerweise zum Beispiel Instrumente finanziert?
Instrumente schaffen wir grundsätzlich gar nicht an. Die Musiker bringen die Instrumente mit. Es gibt da zwei, drei Ausnahmen: Wir haben beispielsweise mithilfe einer privatrechtlichen Stiftung eines KAP-Anhängers ein Cembalo, Barock-Pauken und Klappen-Trompeten anschaffen können. Solche Anschaffungen müssen durch Drittmittel finanziert werden.
Welche Form der Entschädigung ist bei Konzertabsagen im Normalfall üblich?
Zunächst muss man unterscheiden: zwischen der sogenannten höheren Gewalt und einer Konzertabsage. Wenn ich ein Konzert absage, dann ist das meine Entscheidung und ich bin honorar- beziehungsweise gegenleistungspflichtig. Wenn es sich um eine Anordnung handelt, wie wir sie aktuell in Potsdam haben und inzwischen im Prinzip überall, dann tritt der Fall der höheren Gewalt ein. Und dann ist die Regel, dass keine wechselseitigen Ansprüche gelten, außer es sind schon im Vorfeld Kosten entstanden. Um ein Beispiel zu nennen: Am heutigen Donnerstag wären wir eigentlich bei dem Musikfestival „Heidelberger Frühling“ zu Gast und wir hatten schon Zugfahrkarten gebucht. Dann ist es üblich – wenn die Bahn nicht ohnehin ein Kulanzangebot macht –, dass solche Kosten vom Partner beglichen werden. Man hat aber keinen Anspruch auf ein Ausfallhonorar für die Musiker, die dort zwei Tage Arbeit gehabt hätten.
Wie reagiert man in der Branche?
In der Branche wird gebeten: Liebes Publikum, bitte gebt eure Tickets nicht zurück, liebe Veranstalter, schaut, dass ihr Ausfallhonorare zahlen könnt. Aber in diesem Punkt kann ich Ihnen noch nichts Positives vermelden. Es gibt Solidarität innerhalb der Branche. Und es existiert auch ein Bewusstsein dafür, dass man, wenn man die Freien nicht schützt, sehr viel kulturelles Kapital verlieren kann. Unser Freund, der Pianist Igor Levit und wir haben einige Aufrufe gestartet. Außerdem ist FREO, unser Verband für freie Ensembles und Orchester, sehr aktiv. Zusammen mit dem Kulturrat haben wir auch den Hashtag #WirwollenkeinGeldzurück in den sozialen Medien gepostet. Jetzt müssen wir gucken, was dabei herauskommt. Für uns ist es nun spannend zu sehen, ob die Veranstalter auch tatsächlich in der Lage sind, Ausfallhonorare zu zahlen. Denn dafür müssten sie ja auch erst einmal ihr eigenes System stabilisieren. Aktuell warte ich auf eine Antwort aus Dresden, wo wir letztes Wochenende gespielt hätten, und auf die Antwort aus Heidelberg. Allen ist klar: Wenn man jetzt nur von der rechtlichen Situation ausgeht, wird man wahnsinnig viel zerstören.
Wenn die Karten nicht zurückgegeben werden, müsste aber auch das Publikum mitmachen.
Ja, genau. Das wäre die zweite Ebene. Das Publikum müsste sich solidarisch mit den Veranstaltern zeigen. Ich bemühe mich gerade darum, zumindest die großen Konzerte - also eigentlich alle Konzerte, die im Nikolaisaal stattgefunden hätten - auf die nächste Saison zu verschieben. Damit die kulturelle Leistung erhalten bleibt und damit wir die Solidarität auch nicht überbeanspruchen müssen.
Wie halten sich die Musiker der KAP denn aktuell fit? Haben sie alle die Möglichkeit, zuhause zu üben?
Ich würde jetzt erst einmal davon ausgehen, dass alle diese Möglichkeit haben und alle versuchen, fit zu bleiben. Wir sind regelmäßig mit unseren Musikerinnen und Musikern in Kontakt und versuchen nun auch, über digitale Angebote präsent zu bleiben. Es ist extrem wichtig – sowohl für uns selbst als auch für unser Publikum –, dass wir jetzt sagen: Wir spielen für euch. Es gibt ja schon viele tolle Initiativen. Wir sind gerade dabei, unsere digitalen Möglichkeiten auszuprobieren, um weiter zu spielen.
Ist es nicht schwierig für die Musiker, ins Leere hinein zu üben? Wie Sie anfangs sagten, ist ja noch kein Ende dieser Situation in Sicht?
Der Musiker ist ja letzten Endes auch ein Alleinkämpfer, er muss sich immer individuell vorbereiten, auch wenn er dann im zweiten Schritt in einem Ensemble oder einem Orchester spielt. Jetzt kommt der individuellen Auseinandersetzung ein höheres Gewicht zu. Und es gibt sicherlich Menschen, für die das eine Art Befreiung ist, da sie sich jetzt voll auf sich konzentrieren können. Allerdings denke ich, dass es perspektivisch für die meisten eher problematisch ist. Kurz nach der Schockstarre kann man mit der Situation vielleicht noch ganz gut umgehen, die Zeit nutzen, um sich zu verbessern. Aber wenn diese Situation länger anhält, kann ich mir vorstellen, dass die Sehnsucht nach dem Gruppengefühl sehr schnell wächst. Vielleicht gibt es ja technische Möglichkeiten, die uns erst einmal über die Durststrecke hinweghelfen.
Können Sie da ein Beispiel nennen? Haben Sie schon technische Möglichkeiten gefunden?
Wir prüfen das gerade. Es gibt Apps, durch die man den Partner ohne großes Delay hören und somit gemeinsam musizieren kann. Darüber hinaus gibt es Apps, durch die man mehrere Bild- und Tonspuren separat aufnehmen und schließlich zu einem Ganzen zusammenfügen kann. Am Ende hat man einen gemeinsamen Klang. Das kann man ja heutzutage alles relativ unkompliziert machen und das werden wir jetzt alles ausprobieren.
Sie arbeiten auch gerade an einer Videoserie auf Youtube, in der sich einzelne Musiker vorstellen. Welcher Musiker stellt sich als nächstes vor?
Unsere Geigerin Julita Forck. Die Reihe war sowieso geplant, da wir unsere digitalen Kanäle seit einiger Zeit mehr bespielen. Aber wir werden das jetzt noch intensivieren. Die Reihe kommt sehr gut an, wir haben viele positive Rückmeldungen erhalten.
>>Auf dem YouTube-Kanal der KAP finden Sie kurze Konzertvideos aus der Vergangenheit und kleine Porträts der Musiker