Potsdamer Künstler Mikos Meininger im Porträt: Der Materialbetrachter
Der Künstler Mikos Meininger hat für Potsdam das Demokratie-Denkmal auf dem Luisenplatz geschaffen. Dessen Material verbindet er wie kein anderes mit der DDR: Stahl.
Potsdam - Wäre die DDR ein Material, welches wäre das? Stahl, sagt Mikos Meininger, keine Frage. Wegen der Widerstandsfähigkeit, die die Menschen haben mussten, um in dem Staat zu bestehen. Wegen der Härte, die man im Alltag brauchte, der für viele von der Arbeit in der Produktion bestimmt war. In der Stahlindustrie zum Beispiel. Und weil man am Stahl einfach nicht vorbeikam in der DDR. „Golden fließt der Stahl“, so hieß ein Propagandastück aus den 1950er Jahren.
Seit mehr als zehn Jahren lebt Mikos Meininger, geboren 1963 in Jena, in Potsdam. Hier betreibt er das Kunsthaus sans titre, architektonisch eine Reminiszenz an DDR-Zeiten. Mit Ofenheizung, dafür auch mit Kamin und viel Platz. Hier, in Potsdam, hat er denen, die 1989 das Ende der DDR einläuteten, nun ein Denkmal gebaut: aus Stahl. Das Demokratie-Denkmal liegt auf dem Luisenplatz, wo sich am 4. November 1989 Tausende Menschen zusammenfanden, um für eine andere, offene DDR zu demonstrieren. Einige Slogans von damals hat Meininger in seinen Denkmalentwurf eingebracht. Demokratie – jetzt oder nie. Wir sind das Volk. Neues Forum – Neue Formen – Neue Hoffnung.
Eine interaktive Geste
Die Sprüche sind in Potsdam ebenerdig auf Eisenplatten im Boden angebracht. Sieben Flächen, die erst bei genauerem Hinsehen als Datum erkennbar werden: 4.11.1989. In die Metalloberflächen hat Meininger nicht nur die scharfkantigen Schriftzüge eingefräst, sondern auch, eine mehrwöchige Aktion im Kunsthaus, über einhundert Schuhabdrücke von Menschen aufgebracht, die im November 1989 in Potsdam dabei waren. Diese interaktive Geste war ihm wichtig: Weil so etwas vom flüchtigen Moment des Aufbruchs bleibt. Die Sprüche sollen bald nachts auf dem Luisenplatz erleuchten. Vor der offiziellen Eröffnung im Frühjahr 2021 will Meininger die Buchstaben mit phosphoreszierendem Kunstharz befüllen. Tags wird das Datum im Mittelpunkt stehen, nachts die Träume von damals.
Dass das Demokratie-Denkmal ebenerdig sein sollte, gehörte zu den Vorgaben vonseiten der Stadt Potsdam. Die Idee, den 4. November ins Zentrum zu rücken, kam von Meininger. Die Großdemonstration, die erste große demokratische Geste der DDR, war von vielen als Anfang für eine veränderte DDR empfunden worden. Auch von Meininger. Dass sie auch ihr Ende war, ahnte niemand.
Im Prenzlauer Berg im Dunstkreis des Verlegers Max Barck
Meininger war damals auf dem Berliner Alexanderplatz dabei, nicht in Potsdam. Er war dem kunstfernen Elternhaus in Richtung Prenzlauer Berg entkommen, machte dort Siebdrucke und hatte Anschluss an die Künstlergruppe Herzattacke um Verleger Max Barck gefunden. Zusammen brachten sie die gleichnamige Zeitschrift heraus. Es gibt sie noch immer, auch Meininger ist noch dabei. Auflage, wie eh und je: 95 Stück. Fünf mehr, und sie hätte von der DDR-Zensurbehörde geprüft werden müssen. Gedruckt wurde in Westberlin: Ein Taxifahrer brachte die Manuskripte nach drüben.
Mehr als Politik oder die Frage, ob das Leben, das er führte, ein Künstlerleben war, interessierte ihn damals das Feiern, sagt Meininger. Wie ihn überhaupt am meisten interessiert, noch heute: das Jetzt. Der Moment. Das Machen. Er war in den letzten Jahren ungeheuer produktiv. Das Atelier im Kunsthaus sans titre, von ihm 2009 gemeinsam mit dem Bildhauer und Maler Chris Hinze gegründet, zeigt die ganze Bandbreite: großformatige Bilder, Öl auf Leinwand, Öl und Lack auf Leinwand, Acryl auf Leinwand. Siebdrucke.
Zur Garnisonkirche: „Die Frage ist, was man hier in Zukunft macht“
Und immer wieder, überall: Skulpturen, oft in Bronze. Handgroße gewundene Frauen-Torsos auf einem Kaffeetisch. In der Ecke „Fragilität“, eine hochbeinige Skulptur, die vor wenigen Wochen im Rohbau der Garnisonkirche zu sehen war, in einem ersten Versuch, an dem umstrittenen Ort Kunst zu zeigen. Er hätte den Turm nicht wieder aufgebaut, sagt Meininger, aber nun ist er eben da. Wächst unübersehbar in die Höhe. Wem also nützt es, wenn jetzt nur in die Vergangenheit geschaut wird? „Die Frage ist, was man hier in Zukunft macht.“
Auch „Die Menschen und das Meer“ steht nach einem Sommeraufenthalt in der Leistungsschau Brandenburger Künstler in Neuhardenberg wieder in Meiningers Atelier. Eine Bronze aus drei Figuren mit schrundiger Haut, denen das Wasser bis zum Hals reicht. Das Poröse in den Oberflächen seiner Skulpturen ist Meininger wichtig: „Wunden“ nennt er diese Stellen, Resultate der Aschereste, die beim Gießprozess entstehen. Seine Rohlinge baut er aus Pappmaché. Die Wunden machen Meiningers Skulpturen nahbar. Menschlich.
Das Denken beim Malen? Malen
„Das Denken beim Malen ist das Malen“, zitiert Meininger gern Gerhard Richter. Mit Richters Frau Sabine Moritz hat er 2011 im sans titre eine Ausstellung gemacht, der Titel eine Verbeugung vor dem Jenaer Stadtteil, aus dem sie beide stammen: „Lobeda“. Damals besuchte Richter Meiningers Atelier, schaute sich lange ein Künstlerbuch an, das Meininger mit Wolfgang Hilbig 2005 begonnen hatte. Beenden musste Meininger es allein. Hilbig starb 2007.
Was entstand: kein Buch eigentlich, eine Weinkiste. Sechs Flaschen Bordeaux, 2007er Jahrgang, dazu ein Band mit Hilbigs Erzählung „Der Durst“ aus den späten 1970er Jahren, von Hand illustriert. Eine Kneipengeschichte aus Meuselwitz, Hilbigs Herkunftsort in Sachsen. Für Meininger eine Allegorie auf die späte DDR: Man säuft sich ins Delirium. Erzählt wird von einem Besucher aus „einer immer wohlriechenden Gegend“, der „die Stadt von wilden Tieren beherrscht glaubt“. Meininger sagt: Man könnte meinen, ein Westdeutscher, der auf die DDR schaut.
Neues ausprobieren, bloß nicht fabulieren
Könnte Meininger mit dem Begriff des Vorbilds etwas anfangen, Gerhard Richter wäre unbedingt dabei. Wegen dessen Verweigerung, erfolgreich Erprobtes zu wiederholen, zu „fabulieren“, wie Meininger sagt. Wegen des Mutes, immer wieder Neues zu behaupten. Wegen der unermüdlichen Neugier.
„Sein ist für Meininger kein Rätsel“, hat der Kunstwissenschaftler Christoph Tannert anlässlich einer Retrospektive 2016 in Jena geschrieben. „Es wird von ihm nicht meditiert, vielmehr ästhetisch praktiziert.“ Meininger sagt das ähnlich, aber anders. „Ich bin eigentlich ein Materialbetrachter.“
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