Nobelpreisträgerin in Potsdam: Buchhändler feierte Olga Tokarczuk schon am Vorabend
Auf britische Buchmacher war Verlass: Buchhändler Carsten Wist hatte eine Vorahnung und ein glückliches Händchen mit der Einladung Olga Tokarczuks nach Potsdam.
Potsdam - Der Champagnerkorken knallte, am Mittwochabend schon. Buchhändler Carsten Wist hatte die Fenster weit geöffnet, ganz Potsdam, fand er, sollte mitbekommen, was sich hier ereignete, in seiner kleinen Buchhandlung in der Innenstadt: Olga Tokarczuk las aus ihrem neuen Buch, für die Deutschlandpremiere der „Jakobsbücher“ wurde der Champagner geköpft. Wists Kompagnon Felix Palent berichtete von den Londoner Buchmachern, die zu dieser Stunde 1:8 darauf wetteten, dass die polnische Schriftstellerin den Literaturnobelpreis bekommt.
Olga Tokarczuk scheint fast zusammenzuzucken bei der Aussicht. Eher scheu sitzt sie am Holztisch, neben sich ihre Übersetzerin Lisa Palmes, die sie zur Verstärkung mitgebracht hat. Jedes Mal, wenn die Autorin sich ihr zuwendet, schaukeln ihre Ohrringe. Es wird ein intimer Abend, vier Vortragende, dazu 30, 35 Zuhörer, dicht gedrängt im kleinen ersten Stock. Schon einmal ist die Schriftstellerin hier gewesen, 2009, mit „Unrast“.
Sie strahlt, als die Buchhändler den Untertitel des Buches rezitieren, wie einen ironischen Sprechgesang: „Eine große Reise über sieben Grenzen, durch fünf Sprachen und drei große Regionen …“ Der Untertitel ist fast so lang wie der fette historische Roman. Wobei Tokarczuk nicht glaubt, dass es einen historischen Roman geben kann: „Er ist immer ein Zeichen für die Zeit, in der er entsteht.“
Gereist ist sie selber, an all die Orte, an denen ihre Figuren waren. Gut acht Jahre hat sie gearbeitet an ihrem Werk, nichts anderes gelesen mehr. „Ich war ganz in der Sphäre gefangen.“ „Als ich fertig war, hab’ ich erst mal eine ganze Schachtel Zigaretten geraucht.“ Sie berichtet von ihren Recherchen, den zahllosen historischen Details und Fallstricken. Wie sie einmal eine Szene entwarf, in der das Kerzenlicht sich in den Nähnadeln spiegelte, nur um irgendwann festzustellen, dass es damals noch gar keine Metallnadeln gab.
Fast etwas Mädchenhaftes hat sie mit dem kurzen, geraden Pony, dem wilden Haar, bei dem man nicht ganz sicher ist, ob es nun Haar ist oder Wolle, den großen Augen, dem verschmitzten Lächeln. Beim Reden tanzt sie mit den Händen. So erklärt sie ihre Faszination für die Hauptfigur, Jakob Frank, „der sich mit der katholischen Kirche anlegte, so viele Anhänger hatte“ – und über den man in Polen, als sie mit ihrem Buch begann, doch so wenig wusste. Eine Weile habe sie schon gebraucht, um wirklich Zugang zu ihm zu kriegen. „Aus heutiger Sicht“, sagt die klinische Psychologin, die die Schriftstellerin ebenfalls ist, „würde man ihn als Psychopathen beschreiben. Aber als Neurotikerin kann ich ihn verstehen.“ Sagt’s und lacht und nimmt noch einen Schluck aus dem Champagnerglas. „Man kann ihn auch als Reformer betrachten.“
Am Schluss empfiehlt die Autorin den Zuhörern freundlich, sich eine Grippe zuzulegen, um die 1200 Seiten in Ruhe zu lesen. Und in die Welt des 18. Jahrhunderts so einzutauchen, wie sie es beim Schreiben tat.
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