Tatort Garnisonkirche: Autorin widmet Potsdams berühmten Streit einen Krimi
Die Autorin Christine Anlauff aus Potsdam hat den ersten Krimi zum Garnisonkirchen-Streit geschrieben. Dafür blickt sie in die Zukunft - doch da wird die Garnisonkirche nicht lange stehen.
Potsdam - Es musste darauf hinauslaufen. Nach den mindestens 15 Jahren, in denen die Potsdamer inzwischen auf dem Streit um die Garnisonkirche herumkauen und würgen, schrie das Ganze danach, sich einmal eruptiv zu entladen. Und das beste Ventil für Zustände, die im wahren Leben wie faulige Gewässer vor sich hin gären, ist noch immer die Literatur. Mit ihr wird alles möglich, alles denkbar, oft ist sie die einzig erreichbare Form von Katharsis.
Christine Anlauff, geboren 1971 in Potsdam, Autorin von Krimis und Gegenwartsliteratur, hat sich den „Fall Garnisonkirche“ vorgeknöpft und ihn – zumindest literarisch – auch gleich mit einem Knall erledigt: Die Geschichte beginnt in naher Zukunft, im Jahr 2016, der Wiederaufbau des Turms beginnt gerade. Mit dem ersten Spatenstich, bei dem Gegner und Unterstützer des Projekts in der Breiten Straße aufeinanderprallen und sich den üblichen Schlagabtausch – „Nazis!“ „Pöbel!“ – liefern, holt Christine Anlauff auch ortsfremde Leser sofort herein in die Gemengelage. Nur um dann – der Turm ist gerade einmal zehn Meter gewachsen – alles in Schutt und Asche zu legen, sprich: den Turm zu sprengen. Anders geht es, wenn man ehrlich ist, ja auch gar nicht, Christine Anlauff findet das einzig mögliche Bild für die aufgeladene Stimmung.
Schlupflöcher für ideologische Fronten
Aber auch die einzig mögliche Perspektive für ihren Erzähler. Just Verloren ist einer „aus der dritten Reihe“, er verfolgt den Streit intensiv, bloggt sogar seit vier Jahren darüber, tauscht sich mit den Kommentatoren Agro und Mindbeard aus – ohne sich klar zu positionieren. „Beobachter mit Tendenz zu Gegner“, erklärt er es der schönen, der honigblonden Magda im Getümmel des Spatenstich-Auflaufs. Die zuckt nur spöttisch mit der Augenbraue – die aus der dritten Reihe sind für sie feige. Nah genug dran, um alles mitzubekommen, aber aus sicherem Abstand.
Das macht Verloren erst einmal unsympathisch indifferent, allerdings hatte Christine Anlauff kaum eine Wahl: Hätte sie ihre Hauptfigur einer der beiden Seiten zugeschlagen, der Roman wäre eine Kampfschrift geworden. So wirkt ihr Verloren zwar etwas konstruiert, lässt ihr aber ausreichend Schlupflöcher, um die ideologisch gefestigten Fronten subversiv zu durchdringen.
Eines dieser Schlupflöcher ist die Literatur. Verloren ist Kritiker, ein ziemlich arroganter, deshalb will er das Manuskript, das anonym auf seinem Fußabtreter landet, eigentlich gar nicht lesen. „Üb immer Reu nach Tätlichkeit“ heißt es, in Anspielung auf „Üb immer Treu und Redlichkeit“, das Lied, das das Garnisonkirchen-Glockenspiel halbstündlich spielte, als sie noch preußische Militärkirche war.
Wer ist der Täter?
Doch dann kommt Magda. Bei ihr ist von Anfang an klar, auf welcher Seite sie steht. Sie ist zehn Jahre jünger als Verloren, bewegt sich lässig durch die linksalternative Szene und schafft es sogar, ihn zum Stammkunden der „Olga“ zu machen. Verloren findet sie zwar zu schlank, was ihn nicht davon abhält, von ihrer ersten Begegnung an mit stummem Sehnen an sie zu denken. Zum Glück ist Magda keine aus der dritten Reihe, sie weiß, was sie will – Verloren nämlich – und sie weiß, wie sie ihn bekommt. Und weil sie nach der ersten gemeinsamen Nacht neugierig das Manuskript zu lesen beginnt, lässt sich auch Verloren herab, hineinzuschauen. Und erschrickt. Denn da steht schon, was gerade erst passiert: Der Neubau-Turm wird gesprengt und – das ist eigentlich noch unheimlicher – die Beschreibung des Täters passt bis ins letzte Detail auf Verloren. Dem bleibt also gar nichts anderes übrig, als selbst zu ermitteln, das Manuskript auf der Suche nach dem Täter immer wieder mit der Realität abzugleichen.
Dieser Verloren, den Anlauff da entworfen hat, ein schluffiger Mittdreißiger, der normalerweise Romane fürs Radio rezensiert, Selbstgedrehte Kette raucht, viel Kaffee mit gemahlenem Kardamom trinkt und Angst vor ausfransenden Leberflecken hat. Bei Frauen konnte er bislang wenig reißen, seine einzige längere Beziehung, Anja, hat ihn schon vor einiger Zeit verlassen. Aus seinem Herz verschwunden ist sie aber nicht, seine Leidenschaft für Magda, das merkt man schnell, ist vor allem die des ausgehungerten Junggesellen nach körperlicher Nähe.
Liebe, Eifersucht und die Garnisonkirche
Christine Anlauff verstrickt – und das ist vielleicht die größte Stärke ihres Buches – die Geschichte von Liebe und Eifersucht über den Umweg des Romans im Roman mit der Frage, wer das Ding denn nun in die Luft gejagt und dabei einen Menschen getötet hat. Denn unter den Trümmern wird die Leiche eines jungen Psychiaters gefunden und nicht nur Verloren fragt sich, was zur Hölle der Mann nachts um halb drei auf der Baustelle getrieben haben könnte. Lange hält Christine Anlauff eine ganze Reihe von Lösungen offen, spielt mit der giftigen Versuchung, die von Verschwörungstheorien ausgeht, einer Versuchung, der nicht nur linke Blogger verfallen. War der Tod des Psychiaters ein Unfall, eine Art Kollateralschaden – oder wurde der Turm überhaupt nur gesprengt, um den Mord zu vertuschen?
So dicht Christine Anlauff mit ihren Figuren, ihrem Stoff, an den Potsdamer Befindlichkeiten dran ist, so schade ist es, dass sie sprachlich unnötige Distanz aufbaut, etwa indem sie Verloren durchgehend im Imperfekt erzählen lässt – meist die am wenigsten elegante Lösung. Trotzdem bleibt „Der Fall Garnisonkirche“ für alle, die das vergangene Jahrzehnt halbwegs bei Bewusstsein und in dieser Stadt verbracht haben, ein großer Spaß.
Christine Anlauff liest am heutigen Donnerstag, dem 5. März, in der Buchhandlung Victoriagarten, Geschwister-Scholl-Straße 10 aus „Der Fall Garnisonkirche“, Beginn ist um 20 Uhr, der Eintritt kostet 5 Euro.
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